Ein Blick hinter die Kulissen der Nationen

Liebe Hörerinnen und Hörer, auf den Wellen von Radio Prag haben Sie sicher schon viel über den Themenkomplex Deutsche und Tschechen gehört, über Vergangenheitsbewältigung und Sudetendeutsche und die Benesdekrete sind Ihnen sicher auch ein Begriff. Im heutigen Kultursalon möchten wir ein wenig hinter die Kulissen der nationalstaatlichen Attribute blicken. Die Sendung zusammengestellt hat Marcela Pozarek.

Der tschechische Staatspräsident Vaclav Havel hat sich über das tschechisch-deutsche Verhältnis einmal folgendermassen geäussert:

"Wenn wir in so überzeugender Weise sehen, dass vieleTschechen und Deutsche in Wahlverwandtschaft lebten und zusammen arbeiteten, wie die Dichter Jan Skacel und Reiner Kunze, dann können wir auch der Hoffnung Ausdruck geben, dass diese Wahlverwandtschaft, unsere bisherige Schicksalsgemeinschaft und unsere harhundertealte, wenn auch nicht immer einfache Nachbarschaft in der Mitte Europas bereichern und ergänzen wird."

Vielleicht ist es interessant zu sehen, was bei allen verwandtschaftlichen Diskursen eigentlich immer stillschweigend vorausgesetzt wird: Jedes Land hat seine eigene Identität und man spricht gerne von nationalem Charakter, ohne zu hinterfragen, was genau es mit diesen spezifischen Eigenschaften auf sich hat. Der Historiker Georg- Christoph Berger-Waldenegg weilte im Frühling diesen jahres zu Gastvorlesungen an der Prager Karlsuniversität und ging unter anderem der Frage nach, wie es um Staaten und deren Charaktereigenschaften bestellt ist:

Im vergangene Jahr sorgte in der Tschechischen Republik eine essayistisch humorvolle Abhandlungen über die Geschichte des 20. Jahrhunderts für Furore: "Europeana" des in Paris lebendenden Autors Patrik Ourednik wurde zum meistgelesentsten Buches des Jahres gekürt. Darin lesen wir im Kapitel "Nation und Zivilisation".

"Der 1. Weltkrieg war national und vaterländisch und die Menschen glaubten sehr an Patriotismus und die nationale Seele und an Gräber für gefallene Soldaten und noch lange nach dem 2. Weltkrieg, den die Menschen für einen zivilisatorischen Krieg hielten, dachten die Menschen eher in nationalen Kategorien und und jede Nation hat ihre spezifischen Eigenschaften. Die engländer waren pragmatisch und die Engländerinnen hatten lange Beine und die Italienerinnen einen grossen Busen und Italiener waren sorglos und Deutsche waren sehr hygienebewusst und hatten keinen Sinn für Humor. Die Iren waren ständig besoffen und Schotten waren gut zu Fuss, Franzosen waren arrogant und Griechen hatten Minderwertigkeitskomplexe, Tschechen waren feige, die Polen Alkoholiker, Italiener laut und Die Bulgaren hinterwäldlerisch, Spanier melancholisch und Ungarn eingebildet."

Gerade der vielbeschworene Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn war so ein Gebilde, dass sehr oft idealisiert wurde. War die Monarchie eigentlich ein spannenendes Staatsgefüge ?

Ein weiterer wichtiger Begriff im deutsch-tschechischen kulturpolitischen Diskurs ist das Wort "Sudetenedeutsche", aber auch damit steht es nicht so einfach und selbstverständlich, wie man prima vista glaubt.

Liebe Hörerinen und Hörer, vielleicht haben wie Sie im heutigen Kultursalon dazu angeregt einmal nachzudenken über Fragen der sogenannt nationalen Identität oder kollektiver und indvidueller Mentalitätsunterschiede. Damit sind wir am Schluss unserer Sendung, es verabschiedet sich Marcela Pozarek von Ihnen.

Autor: Marcela Pozarek
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