Der Vysehrad lebt durch Kultur

Vysehrad
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Der Prager Vysehrad ist für manche ein Denkmal-Areal, das neben Erholung auch Kenntnisse über die tschechische Geschichte bringen kann. Dass es hier aber auch Angebote für Theater- und Fechtliebhaber gibt, ist nicht mehr so bekannt. Den Vysehrad hat in diesen Tagen Zuzana Burdova besucht.

Vysehrad
Man nennt den Vysehrad die grüne Oase am Rande des historischen Zentrums von Prag. Dieses zweite Symbol des tschechischen Staats wurde unter anderem durch die Symphonische Dichtung von Bedrich Smetana berühmt. Seine Geschichte beginnt aber viel früher. Und gerade darüber sprach ich mit dem Historiker Borivoj Nechvatal, der schon 40 Jahre lang die archäologische Erforschung des Denkmalkomplexes leitet.

"Die ältesten Sehenswürdigkeiten stammen aus der Urzeit. Es handelt sich um die neolitischen Kulturen, die dieses Gebiet von 2800 bis 3200 vor Christus besiedelten. Nach den neuen Radiokarbon-Methoden kann man diese Kulturen sogar auf das vierte Jahrtausend vor Christus zurückdatieren. Die weitere Besiedlung beginnt dann erst im frühen Mittelalter, am Ende des 10. Jahrhunderts. Der Vysehrad schloss damals den Talkessel der Prager Besiedlung, er gehörte zum Gebiet des ältesten Siedlungszentrums. Einen weiteren Entwicklungsschritt verzeichnet der Vysehrad im 14. Jahrhundert, als hier Karl IV. seine Residenz baute. Er erweitert die Kirche im Stil der südfranzösischen Basiliken in Toulouse und Narbonne. Der gesamte Komplex der Kirche war damals 110 Meter lang und damit das größte Sakralgebäude im damaligen Prag. Die nächste bedeutende Periode für den Vysehrad kam im 19. Jahrhundert. Eine Gruppe von dort ansässigen national eingestellten Priestern baut und erweitert den Friedhof, sie gründen Slavin, den nationalen Ehrenfriedhof, einen Platz, wo die bedeutenden Männer und Frauen der tschechischen Nation ihre ewige Ruhe finden. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart wurden hier sechshundert Persönlichkeiten des Kulturlebens begraben."

St.-Martins-Rotunde  (Foto: Autorin)
Es ist nicht einfach Borivoj Nechvatal in seinem Büro anzutreffen. Er widmet sich nämlich oft der Arbeit an seinen Büchern - jetzt gerade ist seine interessante Publikation über die Kirche der Heiligen Peter und Paul erschienen - oder er beobachtet, wie geht es vorangeht mit der Erforschung des Vysehrads, wo er jeden Stein kennt. Was ist nach seiner Meinung besonders sehenswert am Vysehrad?

"Am sehenswertesten ist sicher der Ehrenfriedhof am Vysehrad, als Denkmal der tschechischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, und weiter die Kirche der heiligen Peter und Paul. Sie ist jeden Tag außer Montag geöffnet, von 10 bis 12 Uhr und nachmittags von 13 bis 16 Uhr. Die Kirche ist mit hoch geschätzten Wandmalereien im Jugendstil vom Ehepaar Urban verziert, inspiriert von Arbeiten des bekannten Malers Alfons Mucha. Diese Jugendstil-Dekoration wirkt im Sakralraum ganz eigenartig."

Und was bedeutet der Vysehrad für Borivoj Nechvatal persönlich?

"Für mich ist der Vysehrad eine große Liebe. Ich arbeite hier seit dem Jahr 1966. Viele Arbeiten unternahm ich hier allein, viele mit meinen Kollegen, aber wir sehen gleichzeitig, dass es immer noch sehr viele Aufgaben gibt und dass hier immer noch Arbeit für mehrere Generationen von Archäologen ist. Ich denke, wir haben etwa ein Drittel von unserer Arbeit und von dem, was wir erreichen wollen, geschafft."

Aber kommen wir jetzt von der Geschichte in die sicher nicht weniger interessante Gegenwart des Vysehrad zurück. Neben der Erholung in den Parkanlagen und Gastwirtschaften und dem bezaubernden Blick auf Prag bietet der Vysehrad auch viele Kulturangebote. In dieser Jahreszeit kann man das Freilicht-Theater besuchen, wo man neben den klassischen Stücken z.B. auch jeden Donnerstag historische Fechtvorführungen sehen kann. Die Sommerbühne lockt nicht nur Zuschauer, sondern auch Theaterproduzenten. Einer von ihnen ist Michal Hruby, der hinter der erfolgreichen Vorstellung "Am Ende des Regenbogens" mit Hana Maciuchova in der Hauptrolle steht. Es handelt sich um die Lebensgeschichte der Swingsängerin Judy Garland. Über die Atmosphäre der Open-Air-Vorstellung sagt Michal Hruby:

"Es ist ein einzigartiger, wunderschöner Raum. Man spielt dort sehr gut, obwohl sich die Schauspieler oft gegen äußere Einflüsse durchsetzen müssen, weil man eben unter freiem Himmel spielt. Das heißt, es singen dort die Vögel, es läuten die Glocken vom Glockenspiel aus der Kirche, manchmal sind auch die Züge zu hören. Die Geschichte ist aber so stark, dass sie den Zuschauer in ihren Bann zieht und er sich nicht stören lässt. Und dann ist es wieder schön, wenn die Hauptdarstellerin vom Gesang der Vögel spricht, und auf einmal beginnen tatsächlich Vögel in den Bäumen zu singen, oder wenn sie über bellende Hunde spricht, und man hört auf einmal wirklich Hundegebell. Wie ein Zauber ist das, und es ist, denke ich, sehr gut für diese Art von Inszenierung und einfach für den Sommer. Wir führen das Stück Ende August, Anfang September noch acht Mal auf."

Der Sommer und der Herbstanfang tauchen den Vysehrad in viele Farben. Ab September wird dann auch das Kulturangebot dieser Sehenswürdigkeit größer, dank des neuen Saals in dem rekonstruierten Gebäude der Alten Burggrafschaft. Worauf wir uns freuen können sagt Miloslava Havelkova, Direktorin des Kulturdenkmals Vysehrad.

"Wir werden weiter Sonntagmärchen für Kinder aufführen, wir arbeiten dabei mit verschiedenen Marionettentheatern und alternativen Theatern zusammen. Wir haben auch den Donnerstag zum Thema ´Kelten´ eingeführt, den die Vereinigung ´Luk´, zu Deutsch Bogen vorbereitet, die hier früher große Vorführungen der bildenden Kunst zum Thema Geschichte und Einfluss der Kelten organisierte. Am Donnerstag gibt es jetzt fast immer ein Konzert. Zu weiteren Musikterminen zählen dann die Jazzmontage. Wir wollen verschiedene kleinere Gruppen vorstellen, weil der Saal ziemlich klein ist, für ca. 80 Menschen. Wir werden hier auch eine Besonderheit haben. Am 21. September wird hier eine Gruppe aus dem Altai-Gebirge auftreten, ihr Name ist Al Tai Kai. Sie führen Obertongesang auf. Im September dann noch das Festival ´Vysehratky´. Es wendet sich an die ganze Familie, hauptsächlich an Kinder. Es handelt sich um ein Marionettenfestival, aber man sieht hier nicht klassisches Marionettentheater, sondern alternative Produktionen."

Wäre Miloslava Havelkova unsere Begleiterin im Areal, dann würde sie uns am Anfang zu den Schanzanlagen führen. Was ist ihrer Meinung nach sehenswert auf dem Vysehrad?

"Außer dem Spaziergang auf den Schanzen und in den Parks sollten Sie auch die Kasematten und den unterirdischen Saal Gorlice besuchen. Das ist wirklich außergewöhnlich. Und auch wenn man nicht an bildender Kunst interessiert ist, ist das Gebäude der Galerie auf dem Felsen in architektonischer Hinsicht sehenswert. Auch sein Interieur mit dem ursprünglichen Gewölbe ist interessant. Neben dem Haus befindet sich auch der Zugang zu einem Aussichtsplateau auf den Südteil von Prag, die Stadtviertel Branik und Modany und den Fluss. Dann ist sicher die neue historische Ausstellung über die Geschichte des Vysehrad zu erwähnen, die wir gemeinsam mit dem Gebäude der Alten Burggrafschaft eröffnet haben. Sie befindet sich in einem unterirdischen Raum, genannt Gotischer Keller. Es ist das erste Mal, dass Besucher dorthin können."

Und was bedeutet der berühmte Vysehrad über der Moldau für die Frau, die hier seit mehr als 15 Jahren daran arbeitet, dass die Besucher an dieser Prager Sehenswürdigkeit immer mehr Gefallen finden?

"Ich denke, es ist wirklich ein Platz, wo man Energie tanken kann. Obwohl ich hier immer Arbeit habe, mag ich den Vysehrad sehr. Zur Arbeit komme ich zu Fuß, und so kann ich mich aus der Großstadt irgendwie herauslösen. Es ist eine Oase. Ich nehme die Atmosphäre von diesem Platz wahr und ich versuche sie gemeinsam mit meinen Kollegen weiter zu verbessern. Aber nur auf eine behutsame Art, sodass wir hierher nichts bringen, was mit dem Ort nichts zu tun hat. Jedenfalls versuchen wir Leben in diese Sehenswürdigkeit bringen, weil es wichtig ist, dass es nicht nur ein Areal ist, nicht nur ein Park für Ausflüge, sondern dass es hier auch ein entsprechendes Kulturangebot gibt."

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