Der Prager "Vitalis"-Buchverlag nach der grossen Flut

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Gerade mal neun Monate sind nach der grossen Flut vom August 2002 vergangen, und neun Monate nachdem praktisch der gesamte Buchbestand des renommierten "Vitalis"-Verlags vernichtet wurde, ist er aus den Fluten wieder aufgetaucht. In alter Frische und mit neuem Elan. Dazu der folgende Beitrag von Alexander Schneller.

Es geschah zwischen dem 13. und 16. August 2002, als eine verheerende Flutkatastrophe grosse Teile der Prager Innenstadt arg in Mitleidenschaft zog.

Dazu gehörte auch der Buchverlag "Vitalis". In einer, wie für den Verlag üblich, schön gestalteten und informativen vierfarbigen Broschüre hat sich "Vitalis" wieder zurückgemeldet. "Versunkene Literatur taucht wieder auf" heisst es da auf dem Titelblatt. In einem lebendigen und spannend zu lesenden Bericht des Verlegers Harald Salfellner lesen wir unter anderem: "Seit Tagen regnet es in Böhmen, die Pegel steigen, Prag rüstet sich gegen die drohende Flut. Als am Montag, dem 12. August, die Wassermassen die tschechische Hauptstadt erreichen, stehen Krummau und andere Städte am Oberlauf der Moldau bereits unter Wasser, die Staudämme halten kaum noch stand."

Nun beginnt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verlags eine kritische und nervenaufreibende Zeit. Vorkehrungen werden getroffen, Sandsäcke sollen das Eindringen des Wassers verhindern oder mindestens verzögern, wertvolle Bände werden in der "Vitalis" -Buchhandlung auf der Kleinseite auf höhere Etagen gestapelt, denn ein Abtransport ist nicht mehr möglich, die Zufahrt zum Überschwemmungssektor ist gesperrt. Aber alles Bangen und Hoffen nützt nichts. Am Dienstag, dem 13. August, wird die einzige deutsche Buchhandlung der Stadt mit all ihren Büchern und dem gesamten Mobiliar Opfer der schlammigen Lauge. Es zeigt sich schnell, dass keine Hoffnung mehr besteht, irgendetwas zu retten, denn bald ist das Geschäft bis zur Decke geflutet. Die Prager "Vitalis"-Buchhandlung auf der Kleinseite, die eigentliche und erste Franz-Kafka-Buchhandlung, existiert nicht mehr. Dieser Ort der Begegnung und Literatur für unzählige Einheimische und Reisende wurde binnen Stunden zu einem Ort der Vergangenheit, ist in den Fluten versunken.

Nun beginnt das Bangen um den Verlag selbst, der sich ebenfalls auf der Kleinseite befindet. Und was man nicht für möglich hielt, tritt ein: Das Wasser bahnt sich unaufhaltsam seinen Weg und dringt ins Verlagsgebäude, in die etwas tiefer liegenden Studioräumlichkeiten und verwüstet dort alles: Möbel, Telefone, elektronische Geräte, Rechner, archivierte Dokumente, Akten. Der erste Stock bleibt wie durch ein Wunder verschont. Dennoch scheint die Aufbauarbeit eines Jahrzehnts vernichtet.

Wie war damals die Gefühlslage von Harald Salfellner, wollte ich von ihm wissen.

Nomen est omen, heisst es zuweilen. Für den Prager "Vitalis"-Verlag, der heuer sein zehnjähriges Bestehen feiern kann, trifft das in besonderem Mass zu. Denn man liess sich von den eingangs erwähnten Schicksalsschlägen nicht beirren.

Das Verlagsprogramm von "Vitalis" umfasst unter anderem natürlich viele informative, höchst interessante und prächtig gestaltete Bücher über Prag.

Besonders umfangreich und wertvoll ist die Reihe "Bibliotheca Bohemica", deren Anliegen es ist, die Werke bekannter, aber auch, und hier liegt ein besonderes Verdienst dieser Reihe, die Werke weniger oder kaum bekannter Autorinnen und Autoren, ob deutscher oder tschechischer Zunge, in Erinnerung zu halten oder rufen, die in irgendeiner Form mit Böhmen, Mähren, ja auch Schlesien zu tun haben. Wir finden in diesem Zusammenhang Werke von Oskar Wiener, Rainer Maria Rilke, Wilhelm Raabe, Ferdinand von Saar, Boena N"mcová, Ivan Slavík, Vít"slav Nezval, natürlich von Franz Kafka, Franz Werfel, Paul Leppin, Adalbert Stifter oder des Österreichers Gustav Meyrink, dessen gruselige Geschichte "Golem" weltbekannt geworden ist.

In der Reihe "Literatursalon" finden sich auch Werke der internationalen Literatur, so unter anderem von Shakespeare, Daniel Defoe, Oscar Wilde, Alexander Puschkin oder Edgar Alan Poe.

Es würde den Rahmen dieser Sendung bei Weitem sprengen, wollte ich alle die Schätze aufzählen, die man in der kürzlich wieder erstandenen Franz-Kafka- Buchhandlung des Vitalis-Verlags auf der Prager Kleinseite finden kann.

Das Stöbern dort lohnt sich allemal für Freunde guter, sorgfältig lektorierter und bibliophil gestalteter Bücher. Ausserdem findet man die wichtigsten Publikationen des Verlags in allen Buchhandlungen Prags.

In einer zukünftig erweiterten Europäischen Union ergeben sich gerade für Unternehmen wie den Vitalis-Verlag, die von Beginn an im Dienste des Kulturaustauschs, der Völkerverständigung standen und stehen, durchaus interessante Perspektiven. Dazu meint Harald Salfellner:

Wir erinnern uns: Am 12. August 2002 kam das grosse Wasser und verschlang tausende Bücher. Aber, versunkene Literatur taucht wieder auf!, oder, um mit dem grossen deutschen Dichter Friedrich Hölderlin zu sprechen:

"Und die Flut und den Fels und Feuergewalt auch Bezwinget mit Kunst der Mensch."

In diesem Sinn verabschiedet sich von Ihnen, liebe Hörerinnen und Hörer, Alexander Schneller.