Der Mensch gegen das System: Das dramatische Werk Vaclav Havels

Das dramatische Werk Vaclav Havels

Er habe das Theater nie als sein Schicksal empfunden und könne nicht sagen, ohne Theater nicht leben zu können, schreibt er in seinen berühmten "Briefen an Olga". Doch trotzdem wurde er als Dramatiker genauso berühmt, wie als Bürger und Politiker: Vaclav Havel. Gerade dem dramatischen Werk Vaclav Havels gilt der heutige Kultursalon, in den Markéta Maurová den Theaterwissenschaftler Martin Svejda eingeladen hat.

Ein Konflikt zwischen dem menschlichen Individuum und dem System: Damit wird das grundlegende Thema des dramatischen Schaffens von Vaclav Havel charakterisiert. Wie kann man dies verstehen? Was repräsentiert das System und was der Mensch? Ich habe danach den Theaterwissenschaftler Martin Svejda gefragt, der mir auch eine allgemeinere Charakteristik vorgeschlagen hat:

Martin Svejda: "Das Wort System ist eigentlich ein allgemeiner Begriff, durch den man - in den 60er Jahren verständlicherweise - eine direktere Bezeichnung des kommunistischen Systems mied. Wie jedoch später festgestellt wurde, konzentrierte sich Havel nicht nur auf das kommunistische System. Ich würde eine allgemeinere Bezeichnung, nämlich "Mechanismus" verwenden. Denn unter dem "System" versteht man eine ideologische Funktionsweise eines gewissen politischen Regimes. Mit dem "Mechanismus" wird die Gesellschaft bzw. die westliche Zivilisation der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Und der Mensch, der in den Streit mit dieser Zivilisation gerät, repräsentiert das Natürliche, die in ihrem eigenen Leben bestehende Welt."

Das Problem entsteht immer dort, wo dieses System von einer Ideologie, von einem Machtapparat beherrscht wird, der den Gehorsam des Menschen fordert und sich nicht an demokratische Regierungsformen hält. Das ist das Wesentliche, das Vaclav Havel in seinem Schaffen behandelt. Und wie setzt sich der Mensch mit diesem Konflikt auseinander? Muss dieser Konflikt zwangsläufig zur Niederlage des Menschen führen?

Das dramatische Werk Vaclav Havels ist sehr einheitlich und kompakt. Wenn wir die Worte des Schriftstellers Premysl Rut aufgreifen, dann hat Vaclav Havel sein ganzes Leben lang ein Theaterstück geschrieben. Trotzdem lässt sein Schaffen gewisse Perioden erkennen. Die einfachste Teilung ist die in zwei Perioden, die mit Havels Lebenserfahrung fast identisch sind. Die Grenze liegt etwa in der Mitte der 70er Jahre.

Martin Svejda: "Der Bruch kam mit dem Stück "Audienz". Vaclav Havel schrieb es eigentlich nur zur Unterhaltung seiner Freunde, es gelang ihm jedoch in diesem Einakter, die Atmosphäre der Zeit und auch seine eigene Position sehr genau zu erfassen. Er ließ sich für dieses Stück durch seine eigene Lebenserfahrung, nämlich die Arbeit in einer Bierbrauerei, inspirieren und zeigte eine Modellsituation des Zusammenstoßes eines als Arbeiter tätigen Intellektuellen und Dissidenten mit den Menschen, die sich dem Regime gefügt haben. Es hat sich herausgestellt, dass gerade dies das Tragfähige und Interessante in Havels Schaffen der 70er und 80er Jahre sein wird."

Václav Havel gilt als einer der Autoren des absurden Dramas. Er passte die Instrumente der absurden Dramatik an die tschechische Erfahrung bzw. an die Erfahrung mit dem totalitären sozialistischen Regime an.

Martin Svejda: "Eines der Prinzipien des absurden Dramas ist die Wiederholung, die Entleerung gewisser natürlicher Dinge. Havels Texte sind mathematisch, geometrisch strukturiert, der strukturelle Mechanismus weist auf den Mechanismus der Macht hin. Ein weiteres wichtiges dramatisches Prinzip ist die Arbeit mit der Sprache, eine formale Entleerung der Sprache. Die Figuren reden übereinander, sprechen sinnlose Repliken aus, die das Chaos im Kopf des Haupthelden, die Verwirrung, den Identitätsverlust widerspiegeln.

Die Theaterstücke leben natürlich besonders in ihren Inszenierungen. Wie kann man aus dieser Hinsicht Havels Werk charakterisieren?

Martin Svejda: "Havel wurde bereits mit seinem ersten abendfüllenden Theaterstück 'Das Gartenfest' sehr populär. Alle drei Texte, die er in den 60er Jahren verfasst hat und die in den tschechischen Theatern noch normal aufgeführt werden durften und konnten, hatten eine relativ reiche Inszenierungstradition. Sie wurden nicht nur in Havels Heimattheater "Am Geländer", sondern auch in Theatern außerhalb von Prag, und - was besonders wichtig ist - auch in vielen europäischen Theatern gespielt. Vaclav Havel wurde zu einem Symbol der Intellektuellenresistenz im Ostblock, und seine Stücke wurden nicht nur aus künstlerischer Sicht, sondern auch aus nicht-künstlerischer Sicht betrachtet: Der Respekt vor Havels Standpunkten als Bürger trug damals im Ausland dazu bei, dass seine Stücke gespielt wurden. Hierzulande durften Havels Dramen seit den 70er Jahren offiziell nicht aufgeführt werden und wurden sozusagen illegal inszeniert. Daran haben sich besonders das "Theater auf dem Zug" und der Regisseur Andrej Krob verdient gemacht."

Die Lage hat sich mit der politischen Wende von 1989 radikal geändert.

Und wie sieht Martin Svejda die jetzigen und künftigen Rezeptionsmöglichkeiten des dramatischen Werkes von Vaclav Havel an?

Martin Svejda: "Die Rezeption von Havels Dramen hätte anders ausgesehen, wenn sie in dem Moment aufgeführt worden wären, als sie geschrieben wurden. Die Reflexion einer konkreten gesellschaftlichen Situation in einer konkreten Zeit spielt eine wichtige Rolle bei Havel, es ist eigentlich eine Schicht seiner Dramen. In der heutigen Zeit ist diese Schicht, die wohl als satirische Schicht bezeichnet werden kann, nicht mehr attraktiv. Ich befürchte daher, dass die Dramen, als Dokumente der Zeit und wegen ihrer absurden Mittel eher eine Angelegenheit für Intellektuelle sind und keine breiten Zuschauerschichten ansprechen werden."

Und damit möchten wir unseren heutigen Kultursalon abschließen. Ich danke dem Theaterwissenschaftler Martin Svejda, der das dramatische Werk des gegenwärtigen Staatspräsidenten für uns analysiert hat. Wird die politische Position Vaclav Havels, die gerade dieser Tage an ihr Ende gelangt, eine neue Periode in seinem dramatischen Schaffen zur Folge haben? Darauf wird erst die Zeit, und natürlich vor allem Vaclav Havel selbst eine Antwort geben. Für heute verabschieden sich von Ihnen Gerald Schubert und Markéta Maurová.