Barby-Beine an Beißzange und fliegende Drahtfigur – Festival Sculpture Line

Werk von Jaroslav Chramosta in Pilsen (Foto: Archiv SMART Communication)

Wer dieser Tage in Prag zu Fuß unterwegs ist, dürfte das eine oder andere Mal erstaunt sein. Denn er trifft auf neue Kunst im öffentlichen Raum. So zum Beispiel auf dem Platz der Republik, im alten Botanischen Garten oder auf dem Platz Jiřího z Poděbrad – überall dort sind Skulpturen installiert. Sie stammen teils von internationalen Künstlern wie Tony Cragg oder dem Schweizer Marc Moser, aber auch vom tschechischen Nachwuchs. Das Festival dazu nennt sich Sculpture Line und findet erstmals auch im westböhmischen Plzeň / Pilsen statt.

Ondřej Škarka  (Foto: Archiv PrahaTV)
Die Objekte sind abstrakt oder konkret – meist aber auffallend. Ondřej Škarka hat das Festival vor drei Jahren mitbegründet, er leitet es seitdem auch:

„In Prag sind es 21 Objekte an 19 Orten. Wie schon für frühere Jahrgänge haben wir eine Karte herausgegeben, die einen zu den Skulpturen führt. Neu ist, dass wir auch eine App fürs Smartphone anbieten, die man herunterladen kann und einem zur Orientierung dient.“

Eine Skulptur macht die Veranstalter dieses Jahr besonders stolz. Sie zeigt, wie Sculpture Line in wenigen Jahren so an Renommee gewonnen hat, dass selbst internationale Stars der Szene zusagen.

„Das prominenteste Exponat in diesem Jahr ist eine Skulptur von Tony Cragg, die auf dem Platz der Republik aufgebaut ist. Für uns ist das eine große Sache, nicht nur wegen der Ausmaße – es handelt sich um eine fünf Meter hohe Bronzeplastik“, so Ondřej Škarka.

„Gemischte Gefühle“ von Tony Cragg

„Mixed Feelings“  (Foto: Archiv SMART Communication)
Tony Cragg kommt aus Liverpool, lebt aber in Berlin. Der Brite gilt als einer der wichtigsten Bildhauer der Gegenwart. Seine Skulptur nennt er „Mixed Feelings“, also gemischte Gefühle.

Für den neuen Jahrgang sind einige neue Orte hinzugekommen. Sie liegen zum Teil außerhalb des Zentrums, so etwa im Stadtteil Chodov im Süden von Prag. Aber auch in der Innenstadt lassen sich noch attraktive Standplätze finden. Michal Gabriel ist Bildhauer und künstlerischer Leiter von Sculpture Line. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erläuterte er die Kombination:

„Die traditionellen schönen Orte haben wir nicht aufgegeben. Das heißt, wir sind am Tanzenden Haus und auf der Moldau unterhalb des Künstlerhauses Mánes. Aber für Tony Cragg haben wir mit dem Platz der Republik einen interessanten Ort gefunden. Dort machen Touristen ihre Fotos, und zugleich klar ist, dass es sich um Prag handelt. Zudem sind wir erstmals etwa auf dem Kleinseitner Platz, wo František Skála ausstellt.“

Stichwort František Skála: Auch die tschechische Bildhauerszene ist breit vertreten. Skála ist hierzulande einer der renommiertesten seiner Zunft derzeit. Internationale Anerkennung hat wiederum Olbram Zoubek gesammelt, er ist allerdings vergangene Woche im Alter von 91 Jahren gestorben. Eine seiner typischen schlanken Figuren ist am Neustädter Rathaus aufgestellt.

Werk von Jaroslav Chramosta in Pilsen  (Foto: Archiv SMART Communication)
Neben den 21 Objekten in Prag sind erstmals auch neun weitere im westböhmischen Pilsen zu sehen. Es ist ein neues Konzept, das Festivaldirektor Škarka anstrebt:

„Ich möchte nicht, dass das jetzt größenwahnsinnig klingt. Aber nach Prag wollen wir nun auch landesweit etwas aufbauen. In diesem Jahr probieren wir es mit Pilsen, was bedeutet, dass wir zwei Festivals parallel veranstalten. Aber sicher wollen wir auch noch in weitere Regionen gehen.“

Junge Künstler in Pilsen

„Connection“ von Veronika Psotková  (Foto: Archiv SMART Communication)
In Pilsen verteilen sich die Skulpturen ebenfalls über die Stadt. Und wer stellt dort aus? Josef Záruba-Pfeffermann ist Kurator des Festivals:

„Es sind sowohl bekannte Namen, als auch relativ junge Künstler, die gerade erst ihre Karriere starten. Erwähnen lässt sich zum Beispiel Veronika Psotková, die in der Smetana-Straße in Pilsen ausstellt. Ihre Arbeit ist sehr gelungen. Dabei ist es eigentlich schwerer, ein gutes Werk von einem beginnenden Künstler auszuwählen als von einem bekannten oder berühmten.“

Veronika Psotkovás Objekt nennt sich „Connection“ – es ist eine Weltraumfigur aus einem Drahtgeflecht, die schwebt. Die Skulpturen sind seit Mitte Juni komplett installiert, obwohl das Festival schon eine Woche zuvor eröffnet wurde. Bewundern kann man die Werke aber bis weit in den Spätsommer hinein, denn Sculpture Line dauert noch bis Ende September.


Kneifzange von Marc Moser  (Foto: Archiv SMART Communication)
Zur Eröffnung des Festivals war auch Marc Moser gekommen. Der Schweizer Bildhauer hat zwei Skulpturen installiert. Vor dem Tanzenden Haus in Prag ist es eine überdimensionierte Kneifzange. Sie steht auf ihren Schneiden, streckt aber Barby-Beine in die Luft. Und ein weiteres Werk von ihm ist in Pilsen am Techmania Science Centre zu sehen. Beim Start von Sculpture Line entstand folgendes kleines Gespräch mit Marc Moser.

Herr Moser, haben Sie Ihr Werke direkt für das Festival geschaffen?

„Nein, die Werke gab es schon. Ich habe einfach ein Angebot gemacht und den Organisatoren zwei Vorschläge unterbreitet. Zu meiner Freude haben sie beide Vorschläge akzeptiert

Haben Sie den Standort Ihrer Skulptur in Prag – das Tanzenden Haus – vorher gekannt?

„Nur über Internet, weil ich jetzt zum ersten Mal in Prag bin. Aber es ist ein sensationeller Ort für diese Skulptur. Sie hat dort eine sehr starke Präsenz.“

Das heißt: Die Wahl des Ortes haben die Veranstalter getroffen und nicht Sie selbst…

„Die Wahl kam von den Veranstaltern, weil sie auch die ganzen organisatorischen Abläufe erledigen müssen – die Bewilligungen zum Beispiel.“

Ihre Skulptur ist nicht massiv, sondern innen hohl. Vielleicht können Sie beschreiben, wie ein solches Kunstwerk rein technisch entsteht …

„Ich arbeite im Old-style-Verfahren ohne Computer.“

„Ich arbeite vorwiegend mit Modellen. Dies war das Modell einer Beißzange im Format 1:1, an das ich noch Barby-Beine angebracht habe. So wurde die Idee geboren dieser Skulptur, die ich ‚Gier‘ betitelt habe. Im weiteren Prozess arbeite ich im Old-style-Verfahren, ohne Computer und Ähnliches. Ich mache dann eine Vergrößerung, daraus entstehen Schablonen, so dass ich Blechteile ausschneiden kann. Die Teile setze ich zusammen, verschweiße sie und poliere sie sauber. Danach kommt das Werk in die ‚Lackierstube‘.“

Bluetoo von Marc Moser  (Foto: Offizielle Webseite des Festivals)
Warum haben Sie sich zur Teilnahme an dem Festival entschlossen?

„Das ist keine Frage – die Teilnahme ehrt mich. Ich hatte immer schon den Wunsch, in einer größeren europäischen Metropole ausstellen zu dürfen. Und auch mit dem Standort der Skulptur bin ich sehr, sehr glücklich.“

In Pilsen haben Sie, wenn ich das richtig auf den Aufnahmen gesehen habe, einen Schraubstock geschaffen…

„Es ist eine Schraubzwinge, die ziemlich deformiert ist. Das ist sehr speziell, weil ich sie einst für eine Ausstellung in Schweden konzipiert habe – für die große Kunstbiennale ‚Open Art‘ in Göteborg. Danach ist die Skulptur auf Wanderschaft gegangen: zunächst Zürich, dann Biel und jetzt Pilsen. Das ist spannend. Der Bildhauer wird so wie ein Musiker zum ‚Zigeuner‘ und geht auf Wanderschaft.“

Hat denn die Skulptur hier in Prag eine ähnliche oder ähnlich lange Geschichte?

„Skulpturen in der Größenordnung baut man nicht auf Auftrag.“

„Nein, die Skulptur habe ich 2015/16 gebaut. Der Entstehungsprozess einer Skulptur in dieser Größenordnung dauert ein bis zwei Jahre. Es handelt sich nicht um dauerhaftes Arbeiten im engeren Sinne, sondern zunächst wird die Idee geboren, und bei der Umsetzung spielt auch die Energie eine Rolle. Auf jeden Fall baut man Skulpturen in dieser Größenordnung nicht nach Auftrag, ich mache sie ‚nur für mich‘, wenn ich das so sagen darf. Und daher muss man sich die Energie bis zur Fertigstellung einteilen.“

Die beiden Motive beruhen auf Werkzeugen, mit denen Sie wohl auch arbeiten. Gibt es dazu von Ihnen eine ganze Serie?

„Ja, es existiert bereits eine rosarote Sonnenbrille. Die habe ich 2011 bei der Ausstellung ‚Sculpture by the Sea‘ in Aarhus in Dänemark ausgestellt. Sie hat dort sehr großen Anklang gefunden. Mit Vergrößerungen habe ich 2009 begonnen. Es sind eher plakative Arbeiten, die wirken. Die Menschen gehen darauf zu. Die Arbeiten sind nicht irgendwo in einem Kunstmuseum ausgestellt, sondern meist voll in der Öffentlichkeit und damit auch direkt der Kritik ausgesetzt.“

Machen Sie auch kleinere Arbeiten?

„So lange ich noch die Kraft habe, baue ich die großen Werke. Und ich denke, im höheren Alter gehe ich dann in die Reduktion und mache kleinere Arbeiten.“

Autor: Till Janzer
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