Anarchist und Utopist: der Dichter Hugo Sonnenschein, genannt Sonka

Hugo Sonnenschein (Foto: Friedensbibliothek)

1889 bei Brünn geboren, ist er heute, weniger als 60 Jahre nach seinem Tod, beinahe in Vergessenheit geraten: der deutschsprachige mährische Schriftsteller Hugo Sonnenschein, der sich selbst als Anarchist und Utopist bezeichnete und bisweilen unter dem Pseudonym Sonka auftrat. Er gilt heute als einer der rätselhaftesten und umstrittensten deutschsprachigen Schriftsteller. Die Ursache dafür sind auch in seiner bewegten persönlichen Biographie zu suchen. Im Ersten Weltkrieg war Hugo Sonnenschein in der Roten Garde und der österreichischen Kommunistischen Partei aktiv, 1943 wurde er von den Nazis nach Auschwitz deportiert. 1945 befreit, wurde er nur wenige Jahre später wegen angeblicher Kollaboration mit den Nazis vom kommunistischen Regime erneut verhaftet. 1953 starb er unter nie restlos geklärten Umständen im nordmährischen Gefängnis Mírov / Mürau. Der Übersetzer und Schriftsteller Radek Malý hat vor einiger Zeit zahlreiche Gedichte von Hugo „Sonka“ Sonnenschein neu herausgegeben. Im Radio-Prag-Gespräch versucht er, etwas Licht in die von vielen Fragezeichen umgebene Literatur von Hugo Sonnenschein zu bringen.

Herr Malý, Sie haben die Gedichte von Hugo Sonnenschein ins Tschechische übersetzt. Hugo Sonnenschein ist in Mähren geboren, hat aber auf Deutsch geschrieben. Wie würden Sie ihn einordnen? Ist er ein tschechischer, ein mährischer oder ein österreichischer Autor? Er selbst hat sich ja auch einmal als „kultureller Bastard“ bezeichnet.

Radek Malý  (Foto: Michal Maňas)
„Diese Charakteristik des kulturellen Bastards ist natürlich am besten. Aber was die Sprache und sein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe betrifft, würde ich sagen, dass er sich selbst auf jeden Fall als tschechischer Schriftsteller wahrgenommen hat. Das sieht man auch in seiner Lyrik, die zwar auf Deutsch geschrieben ist, aber er lebte ja noch in der Zeit der Monarchie und damals war es mit der Identität sowieso schwierig. Ich würde also sagen, Sonnenschein hat sich als tschechischer Schriftsteller mährischer Herkunft, jüdischer Herkunft und mit deutscher Muttersprache gefühlt.“

Diese kulturelle Vielseitigkeit zeigt sich ja auch darin, dass er tschechische Elemente in seine Gedichte einfließen hat lassen.

„Er ließ sich zum Beispiel durch mährische Volkslieder inspirieren, das ist sehr interessant. Aber auch diese Elemente in seinen Texten sind natürlich auf Deutsch verfasst.“

Hugo Sonnenschein hat ein sehr vielschichtiges, sehr vielseitiges Werk verfasst. Wie kann man ihn denn stilistisch einordnen? Als Expressionisten, Symbolisten, als Individualisten oder einfach als Provokateur?

„Expressionist auf jeden Fall. Er lebte ja in diesem expressionistischen Jahrzehnt und diese Tendenzen sind bei ihm auch sehr stark zu erkennen. Aber er war vor allem von Natur aus ein Individualist: Man findet bei ihm, wie gesagt, die Töne des tschechischen Volksliedes, aber auch der tschechischen Lyrik der Zeit. Man hört in seinen Gedichten Töne von Petr Bezruč, František Gellner, seinen auf Tschechisch schreibenden Kollegen also. Außerdem war Sonnenschein auch im Stande, sehr engagierte politische Lyrik zu schreiben. Das alles muss man bei der Betrachtung von Sonnenscheins Werk berücksichtigen.“

Sie haben die engagierte politische Lyrik gerade angesprochen. Nicht nur, aber vor allem wegen seiner jüdischen Herkunft ist Hugo Sonnenschein zunächst von den Nationalsozialisten verfolgt worden und war einige Jahre im KZ Auschwitz interniert. 1945 ist er befreit worden. Lange hat seine Freiheit aber nicht gewährt, denn die Kommunisten haben ihn wegen angeblicher Kollaboration mit den Nazis erneut eingesperrt. 1953 ist er dann in Mírov im Gefängnis gestorben. Ist das der Grund dafür, dass er dann nach dem Krieg sowohl in Tschechien als auch im deutschsprachigen Raum als Autor in Vergessenheit geraten ist?

„Ich glaube ja. Das ist wirklich der Grund dafür. Bis jetzt herrscht keine Klarheit darüber, was Sonnenschein im Zweiten Weltkrieg wirklich gemacht hat. Und das hat wohl dazu geführt, dass es nach dem Krieg still um ihn geworden ist.“

Es hat dennoch weiterhin Versuche gegeben, seine Werke zu übersetzen. Ludvík Kundera, Alena Bláhová zum Beispiel haben das versucht. 1984 ist außerdem sein Werk auf Deutsch neu herausgegeben worden. Sie sind jetzt der dritte in der Reihe jener, die Hugo Sonnenscheins Texte ins Tschechische übersetzt haben. Das sind alles andere als einfache Texte, sprachlich wie inhaltlich. Wie geht man denn als Übersetzer an so einen Text heran, wie geht man denn mit so einem Text um?

„Ich muss sagen, diese Texte sind zum Beispiel viel einfacher, als die Gedichte von Georg Trakl, die ich auch übersetzt habe. Nachdem man so schwierige Texte übersetzt hat, ist Hugo Sonnenschein nicht so kompliziert. Ich schreibe auch selbst gereimte Lyrik, also war es für mich nicht so schwierig, diese Verse ins Tschechische zu bringen.“

Hugo Sonnenschein  (Foto: Friedensbibliothek)
Hat Hugo Sonnenschein Spuren in der zeitgenössischen mährischen, tschechischen oder vielleicht auch der deutschsprachigen Literatur hinterlassen?

„Da weiß ich wirklich nicht, inwieweit ihn seine tschechischen Kollegen überhaupt gekannt haben. Er war berühmt als Phänomen, als Mensch. Aber ob der auch gelesen wurde, das weiß ich gar nicht.“

Manchmal hat man den Eindruck, dass Hugo Sonnenscheins literarisches Schaffen ein wenig in den Hintergrund tritt hinter seinem sehr bewegten, sehr kontroversen Leben.

„Ja, genau. Ich glaube, seine Lyrik war nur ein Teil seiner Persönlichkeit: Er hat sich quasi selbst zum Dichter ernannt und deswegen hat er geschrieben. Aber das war nur ein Teil der Legende, die er um sich selbst aufgebaut hat.“


Dieser Beitrag wurde am 15. August 2010 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.