Lorbeeren und Kochkultur – erster Michelin-Stern für Tschechien

Andrea Accordi (Foto: ČTK)

18 Jahre nach der Wende ist erstmals ein tschechisches Restaurant in die Spitzenliga der internationalen Gastronomie vorgestoßen. Das „Allegro“ im Prager Fünf-Sterne-Luxushotel „Four Seasons“ gilt seit langem als die beste Adresse im Lande. Dieser Tage wurde es mit einem der begehrten Michelin- Sterne ausgezeichnet - zugleich der erste Stern im gesamten ehemaligen sozialistischen Block. Thomas Kirschner über den Stand von Kochkultur und Spitzengastronomie in Tschechien.

Andrea Accordi  (Foto: ČTK)
Elegante Atmosphäre, italienische Spezialitäten, das Vier-Gänge-Menü mit ausgewählten Weinen für umgerechnet 150 Euro. Das Prager „Allegro“ belegt bereits seit Jahren den Spitzenplatz in der tschechischen Gastronomie – und wurde dafür nun mit dem kulinarischen Oscar belohnt: einem Stern im Guide Michelin.

„Man braucht große Erfahrung, und das aus ganz unterschiedlichen Restaurants, und man muss natürlich ein Gespür für Aroma und Geschmack mitbringen und mit den verschiedenen Produkten und Zutaten richtig umgehen können.“

So erklärt Chefkoch Andrea Accordi das Geheimnis des Erfolges. Der 31-jährige Italiener kam bereits als Sternekoch nach Prag und steht seit einem halben Jahr an der Spitze des etwa 30-köpfigen Küchenteams im Allegro. Mit dem neuen Stern krönt er die fünfjährige Arbeit seines Vorgängers Vito Molica:

„Ich glaube, ein großes Stück Arbeit hat bereits mein Vorgänger abgeliefert und sich damit auch sehr stark darum verdient gemacht, dass unser Restaurant diesen Stern bekommen hat. Ich hatte auch das Glück, dass ich bereits in Florenz einen Stern bekommen habe. Auf jeden Fall ist das eine große Ehre für mich.“

Der Guide Michelin erscheint bereits seit 108 Jahren und gilt als die Bibel der Gourmets. Auch in den letzten Ausgaben wurden bereits tschechische Restaurants empfohlen, allesamt übrigens in Prag, aber in einer niedrigeren Kategorie. Der Prager Michelin-Stern für das Allegro ist daher ein besonderer Erfolg, meint der tschechische Restaurantkritiker Pavel Maurer – und das gleich für die ganze tschechische Spitzengastronomie, denn es ist der überhaupt erste Stern, der in ein ehemals sozialistisches Land vergeben wurde.

„Das ist ein Riesenerfolg für unsere Gastronomie und überhaupt für Tschechien im Kontext der ehemaligen Ostblockstaaten. Dass Prag die erste Stadt auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs ist, die einen Michelin-Stern vorweisen kann, ist ein wichtiges Zeichen – und sei es schon wegen des psychologischen Effekts für unsere Köche und überhaupt für die ganze Nation. Das ist wirklich prima, und ich hoffe, dass das ein Ansporn ist für alle, die es mit der Gastronomie wirklich ernst meinen.“

Wermutstropfen für böhmische Patrioten mag allenfalls sein, dass der Gastro-Oskar nicht für zarten Lendenbraten und flaumige Topfengolatschen nach Prag verliehen wurde, sondern an einen italienischen Koch für italienische Küche geht. Das böhmische Element spielt dabei eine untergeordnete Rolle:

„30 bis 40 Prozent der Zutaten kommen aus Tschechien, der Rest wird eingeführt“, räumt Chefkoch Andrea Accordi ein. Aber:„Wenn man wirklich italienisch kochen will, dann braucht man auch italienische Zutaten.“

Gerade die Zutaten sind für die gehobene Gastronomie häufig ein Problem. Wirklich frischer Meeresfisch etwa ist in Prag schon aufgrund der Lage kaum zu bekommen. Aber auch gewöhnliche Produkte wie Brot und Käse bereiten Probleme – während etwa in Frankreich die besten Käsesorten buchstäblich an jeder Ecke zu kaufen sind, bieten in Tschechien selbst die riesigen Hypermärkte zum Großteil nur Industrie-Standardware an.

„Die Lage bei den tschechischen Lebensmitteln wird immer besser, aber trotzdem fehlt immer noch der richtige Grund, die Sachen hier zu kaufen. Zurzeit ist es nur der Preis. Das Angebot ist klein, alle wollen es billig haben – da gibt es nur wenig Raum und Geld für eine Entwicklung.“

Das meint Zdeněk Pohlreich, Chefkoch im renommierten Prager Restaurant-Café Imperial. Ihm fehlen die ambitionierten Landwirte, die sich um außergewöhnliche Qualität bemühen:

„Ich habe den Eindruck, dass die tschechischen Bauern heute vor allem Raps für Biodiesel anbauen, um sich damit über Wasser zu halten, und dass es nicht mehr um die eigentlichen Produkte geht.“

Dennoch: in einigen Bereichen können tschechische Produzenten durchaus gut mithalten. So wird etwa Wild aus Böhmen auch an französische Restaurants verkauft.

Bleibt die Frage, für wen die Spitzenköche in Tschechien eigentlich kochen. 150 Euro für ein Haute-Cuisine-Menü – das ist ein Fünftel des tschechischen Durchschnittslohns. Auch wenn eine immer größere Schicht von Wohlhabenden sich solche Extravaganzen leisten können – die Realität auf tschechischen Tellern sieht anders aus. Und das ist nicht nur eine Preisfrage, meint Gastro-Kritiker Pavel Maurer:

„Nach der Statistik bekennen sich etwa 80 Prozent der Tschechen zur klassischen böhmischen Küche, also: Gulasch, Schweinebraten, Schnitzel und so weiter. Nur 20 Prozent sind bereit zu experimentieren und eine andere Küche zu probieren. Wenn man die Küche hierzulande fördern will, dann glaube ich, braucht das erstens eine breite Unterstützung, zweitens eine Anstrengung seitens der Chefköche und drittens ein Bemühen um gute Zutaten – das ist der einzige Weg, wie wir das Niveau der tschechischen Gastronomie heben können.“

An Nachwuchs fehlt es der tschechischen Kochkunst jedenfalls nicht. Das kann Hana Hubková von der Gastronomie-Fachschule in Liberec / Reichenberg ausdrücklich bestätigen:

„Das Interesse nimmt nicht ab! Jedes Jahr melden sich die Schüler bei uns, es gibt kein Problem, die Klassen zu füllen. Die Frage ist nur, was das für Schüler sind. Ein Drittel kommt, weil sie die Gastronomie von zu Hause kennen und zum Beispiel den elterlichen Betrieb übernehmen wollen. Dann gibt es ein Teil, den Kochen Spaß macht und der sein Hobby zum Beruf machen will. Immer wieder sind aber auch Schüler dabei, die gar nicht wissen, warum sie eigentlich Koch werden wollen und die vielleicht von den Eltern geschickt worden sind. Und bei denen muss man dann versuchen, die Leidenschaft für das Kochen zu entzünden, denn wer das Feuer weitergeben will, der muss selbst brennen.“

Und vielleicht ist es ja gerade der Prager Michelin-Stern, der die Glut der Leidenschaft in den Herzen der tschechischen Köche nochmals neu anfacht. Chefkoch Zdeněk Pohlreich jedenfalls meint, dass die Auszeichnung für die gesamte tschechische Spitzengastronomie ein Ansporn ist:

„Auf einmal ist die Möglichkeit, einen Stern zu bekommen, ganz in die Nähe gerückt. Die Michelin-Sterne waren immer etwas, auf das wir als tschechische Köche aus weiter Ferne geschaut haben. Und jetzt gibt es hier in Prag ein Restaurant mit einem Stern. Das zeigt erst einmal ganz simpel: die Tester kommen hierher, nach Tschechien, in die Restaurants, und jetzt liegt es an den Restaurants selbst, das Niveau zu erreichen, das Andrea erreicht hat. Denn jetzt wissen alle, dass es nicht unmöglich ist, sondern eben eine Frage von viel Arbeit, viel Geld und großen Opfern. Und das muss ja auch so sein, sonst hätte jeder den Stern, und er hätte keinen Wert. Aber die Botschaft ist eben: Er ist erreichbar, und er ist auch hier in Prag erreichbar.“