Klassisch und problematisch - Volkszählung in Tschechien

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Das Land ist in der heißen Phase. In der Nacht vom 25. auf den 26. März 2011 genau um Null Uhr steht in Tschechien eine Volkszählung an – und zwar auf die klassische Weise. Tausende Volkszählungskommissare statten derzeit Millionen von Bürgern einen persönlichen Besuch ab. Auch in einem kleineren Land wie Tschechien mit seinen rund zehn Millionen Einwohnern ist das eine Monsteraufgabe, bei der auch vieles schief gehen kann. Und es gibt Menschen, die nicht unbedingt alles von sich preisgeben wollen.

Volkszählung 2011
Alte Menschen, Familien, Vietnamesen oder Polen, Handwerker oder Akademiker – alle sind aufgerufen sich an der Volkszählung in Tschechien zu beteiligen. Das Statistikamt hat schon im Februar eine umfangreiche Informationskampagne gestartet, mit der die Menschen im Lande überzeugt werden sollen - auf dass ein jeder sich schätzen ließe. Jan Sedláček war an der Konzeption der Kampagne beteiligt:

„Die Kampagne steht auf zwei Säulen. Die erste Säule ist das Internet, die zweite das Fernsehen. Es gibt acht verschiedene Werbespots. Jeder hat eine andere Zielgruppe, zum Beispiel die Zielgruppe Familie oder Senioren. Im Internet gibt es spezielle Werbebanner, und natürlich haben wir auch Konten auf Twitter und Facebook und einen speziellen Kanal auf Youtube, wo zum Beispiel auch die Infospots aus der TV-Kampagne zu sehen sind.“

Und seit dem 26. Februar ist ein eigens eingerichtetes Call-Zentrum damit beauftragt, verzweifelten Fragestellern Antworten zu geben. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass alle beim größten statistischen Ereignis der letzten zehn Jahre mitmachen. Der entscheidende Augenblick für Millionen von Tschechinnen und Tschechen wird am 25. März genau um Mitternacht sein. Klingt dramatisch und vor allem für die Statistiker ist es das auch. Ein Baby, das eine Minute nach zwölf auf die Welt kommt, wird von dieser Volkszählung nicht mehr erfasst. In Tschechien wird auf der Grundlage des Status Quo zu dieser nächtlichen Stunde gemessen, wie viele Tschechen es gibt, wo und wie sie leben und hunderte weiterer Details. Es gibt drei verschiedene Arten von Fragebögen, wie Jan Sedláček erklärt:

„Der erste ist ein persönlicher Fragebogen, wo es darum geht, wie alt die Person ist, ob sie studiert oder arbeitet und auf welche Weise sie zur Arbeit fährt, ob mit dem Zug oder mit dem Auto. Dann gibt es noch einen Fragebogen für Wohnungen, das heißt der wird nur ein Mal pro Wohnung ausgefüllt. Der dritte Bogen ist das Formular, das nur ein Mal pro Haus ausgefüllt wird. Und da wird zum Beispiel gefragt, aus welchem Material das Haus gebaut wurde. Das ist wichtig für die Feuerwehr, denn wenn es irgendwo brennt, dann müssen die Feuerwehrmänner wissen, ob zum Beispiel Gas im Haus ist oder wie hoch das Haus ist.“

Am 8. März begannen rund 13.000 Postmitarbeiter mit einem Sonderauftrag auszuschwärmen: Sie bringen als so genannte Volkszählungskommissare die Formulare persönlich bei den Menschen vorbei und sollen – wenn nötig - mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Stanislav Drápal
Dass bei solch einem Massenereignis Pannen passieren, ist beinahe sicher. Die schriftlichen Besuchsankündigungen der Volkszählungskommissare landen nicht immer korrekt ausgefüllt im Briefkasten der Bürger, und manchmal warten die Menschen vergeblich auf den Postmitarbeiter mit Sonderauftrag, erklärt der Vizechef des tschechischen Statistikamtes, Stanislav Drápal:

„Wir haben am Montag mehrere Fälle registriert, in denen der Volkszählungskommissar zum angekündigten Zeitpunkt einfach nicht erschien.“

Und dann laufen die Drähte des Call-Zentrums heiß. Heißer als man erwartet hatte, gibt Drápal zu:

„Wir haben das Call-Zentrum nach theoretischen Belastungsannahmen konzipiert. Jetzt zeigt sich, dass die Belastung vor allem am Vormittag äußerst hoch ist, so dass lange Warteschleifen entstehen.“

Für manche Bürger, vor allem die älteren, sind diese Probleme jedoch Kinkerlitzchen. Sie sind Opfer falscher Volkszählungskommissare geworden, die ihnen zu Hause das Geld aus der Schublade gezogen haben. So geschehen einer alten Frau in Karlsbad, wie eine Polizeisprecherin berichtet:

„Sie hat der angeblichen Postmitarbeiterin einen Kaffee gekocht und sich ein bisschen mit ihr unterhalten, und in einem unbemerkten Augenblick hat es die Frau geschafft, der alten Dame aus dem Garderobenschränkchen 13.000 Kronen zu stehlen. Das hat die alte Dame erst bemerkt, als die Frau schon wieder weg war.“

13.000 Kronen, das sind immerhin knapp 550 Euro. Und dies ist kein Einzelfall. Das Statistikamt warnt daher: Kein Mitarbeiter der Volkszählung kann verlangen in die Wohnung gelassen zu werden. Der Volkszählungskommissar muss sich mit dem Personalausweis und dem Ausweis des Statistikamtes identifizieren.

Zwei andere heiße Eisen bei der tschechischen Volkszählung 2011 sind Ausländer und Angehörige von Minderheiten wie Roma:

„Die Ausländer haben, wenn sie hier mindestens 90 Tage wohnen, auch die Pflicht, die Fragebögen auszufüllen. Die Fragebögen gibt es in acht Sprachen, unter anderem in Deutsch, und alles andere ist genauso wie bei Tschechen, die das ausfüllen“, so Jan Sedláček vom Statistikamt.

Werbespot für Zielgruppe Minderheiten
Bei der Volkszählung 2001 haben sich fast 40.000 Menschen mit tschechischem Pass zur deutschen Nationalität bekannt. Das entspricht nach Aussagen von Minderheiten-Organisationen angeblich der Realität. Bemerkenswert und alarmierend ist jedoch, dass sich damals nur knapp 12.000 Roma zur ihrer nationalen Herkunft bekannten. Dabei machen auch Politiker kein Geheimnis daraus, dass sie von rund 300.000 Roma in Tschechien ausgehen. Angst vor Diskriminierung und Datenmissbrauch ist auch hier eine Tatsache. Und dennoch: Ein Aufbegehren der Bürger gegen die Volkszählung gab es in Tschechien bisher nicht und wird es wohl auch nicht mehr geben. Und Jan Sedláček wirkt im Rahmen der Medienkampagne auch immer wieder beruhigend auf die Menschen ein:

„Wenn die Fragebögen zum Statistikamt zurückkommen, dann werden alle anonymisiert. Der Name, die Adresse und die Geburtsnummer werden gelöscht, und es bleiben nur die statistischen Daten. Und sofort, wenn diese physischen Formulare gescannt sind, werden sie vernichtet.“