In den Ferien - "aufs Wasser"/ oder: wo das 'ahoj' herkommt

In den Sommermonaten bleibt Prag bekanntlich hauptsächlich den Touristen vorbehalten, die Tschechen verlassen ihre Hauptstadt im Juli und August in Scharen, Läden schließen für mehrere Wochen, Wohnungen werden untervermietet. Und auch an den tschechischen Schulen ist in den beiden heißesten Monaten im Jahr Ferienzeit angesagt. Anlass für uns, im heutigen Themenkaleidoskop einmal einen Blick auf eine derjenigen Ferienbeschäftigungen zu werfen, die ohne Zweifel zu den liebsten der Tschechen zählt. Mehr verraten wir Ihnen in den folgenden Minuten. Am Mikrophon begrüßen Sie recht herzlich Jakub Liska und Silja Schultheis.

"Aufs Wasser" - mit diesen zwei Worten ist alles gesagt: nicht nur das Reiseziel benannt, sondern auch die Tätigkeit, der man dort vorzugsweise nachgeht. "Aufs Wasser" - so umschreiben die Tschechen liebevoll das Kanufahren, zweifelsohne eine der populärsten Massensportarten hierzulande. Bei einer Fahrt durchs Land wird man unschwer zu einem ähnlichen Urteil kommen. Die Flüsse sind gesäumt von Camps für Wassersportler, die sich hier jahraus jahrein tummeln, deutlich mehr als in anderen Ländern und mit steigender Tendenz. Was eigentlich fasziniert die Tschechen so am Wasser? Eindrücke aus dem südböhmischen Wassercamp Soumarsky Most im Naturpark Böhmerwald an der Moldau, drei Busstunden von Prag und etwa 20km von der tschechisch-bayerischen Grenze entfernt.

"Ich bin fast 73 Jahre alt, aber das ganze Leben bin ich auf dem Wasser gefahren. Und die Moldau, das ist ein herzlich-herrlicher Fluss. Und die Umgebung hier, die Wälder, das Gras und das alles - das ist wunderschön. Aber wir machen nicht nur Wasser. Also Berge, Wasser - das ist das Systém des Lebens, und so sollte das vielleicht sein. Politik? - Aaaah..."

"Sie käme mit ihrer Familie hierher, weil es hier keine Duschen gäbe, keine Toiletten, keine Kultur, nichts. Nur die Natur, Lagerfeuer, das sei völlig ausreichend", sagt diese Urlauberin aus Prag.

Soumarsky Most - auf Deutsch: Ochsenbrücke - ist einer der wenigen Campingplätze für Wassersportler, an dem es ebenfalls keinen elektrischen Strom gibt. Und das soll auch in Zukunft so bleiben, sagt Zdenek Oubrecht aus dem Vorstand des örtlichen Auto-Moto-Clubs, der das Camp betreibt:

"Wir haben eine Umfrage unter den Besuchern des Camps gemacht, und die meisten von ihnen wünschen sich, dass wir alles im ursprünglichen Zustand lassen, so wie es jetzt ist, und da nicht eingreifen."

Das sei romantischer, fügt er hinzu, abends bei Gitarre und Gesang ums Lagerfeuer zu sitzen als um künstliches Licht.

Im Böhmerwald sei die Natur noch weit gehend unberührt, loben auch ausländische Touristen, die hier regelmäßig Urlaub machen, wie dieser Besucher aus der Nähe von Lörrach:

"Es ist nicht so zersiedelt. Wenn man hier in den Wald geht, trifft man oft niemanden. Und wenn man in den Schwarzwald geht, dann geht man nicht alleine.".

Doch mit der natürlichen Idylle, in die die Urlauber wenigstens einmal im Jahr zurückkehren wollen, ist es vielerorts nicht mehr weit her. Im Gegensatz zu den 20er Jahren, als sich in der Tschechoslowakei das Kanufahren in einer Art Wandervogelbewegungen massenhaft verbreitete und mit ihm der Seemannsruf "Ahoj" zum nach wie vor allerorts gebräuchlichen familiären Gruß wurde, ist der Wassersport heute zunehmend kommerzialisiert. Immer mehr Komfort, immer neue Dienstleistungen, werden angeboten, die umliegenden Wälder sind z.T. bereits zu Müllkippen degeneriert. (Doch) ein abnehmendes Interesse an der Fahrt aufs Wasser ist bislang nicht abzusehen. Schon gar nicht bei denjenigen Wasserfreaks, die z.T. seit Jahren und Jahrzehnten dieselben Flussabschnitte befahren. So Stanislav Hercig, Sport und Informatiklehrer aus dem westböhmischen Skalna, der regelmäßig im Sommer mit Schülern und Freunden an bzw. auf die naheliegende Eger reist:

"Langeweile? Ein Fluss ist jedes Mal anders - auch wenn man denkt, dass man ihn gut kennt. Und die Menschen, mit denen man unterwegs ist und die man trifft, ändern sich auch."

In eben jenem Zusammensein mit anderen entdeckt Stanislav Hercig den eigentlichen Reiz des Wassers:

"In der Truppe guter Freunde und in dem Spiel mit den Naturkräften. In diesem Spiel zeigt sich, ob die Menschen in der Lage sind, einander zu helfen, miteinander Spaß zu haben und auch kleinere Unbequemlichkeiten zu ertragen."

Für Ladislav Harvanek, Sportlehrer an einer Pilsener Grundschule, der früher an der Pädagogischen Hochschule künftige Sportlehrer ausgebildet hat, besteht der Reiz der tschechischen Flüsse nicht zuletzt in ihrer guten Befahrbarkeit. Das mache sie für breite Bevölkerungsschichten zugänglich, während wildere Flüsse etwa in Österreich hauptsächlich geübten Wassersportlern vorbehalten sind.

Die zunehmende Kommerzialisierung des Kanufahrens, das man dank der zahlreichen Bootsverleihe und Serviceeinrichtungen inzwischen auch mit äußerst geringem eigenem Aufwand betreiben kann, bedauert Ladislav Harvanek:

"Ich denke, dass diese Kommerzialisierung gerade die ursprüngliche Idee des "aufs Wasser fahren" begrenzt auf die bloße Tätigkeit des Kanufahrens. Und die weiteren Aspekte - die Wahrnehmung der Natur und das gemeinsame Campieren treten in den Hintergrund. Ich halte das für negativ und denke, die Leute, die das so wahrnehmen, bringen sich selber um die weiteren Möglichkeiten, die der Wassersport bietet."

Welche weiteren Möglichkeiten des Kanufahrens er selbst als positiv empfunden hat, beschreibt Ladislav Harvanek an einem für ihn besonders erfreulichen Erlebnis auf dem Wasser, das wir Ihnen am Ende unserer heutigen Sendung nicht vorenthalten wollen:

"Es war Anfang der 90er Jahre, als ich in der Mittelschule eine Klasse hatte, mit der ich mich nicht besonders gut verstanden habe. Und sie schlugen vor, dass wir einen Klassenausflug aufs Wasser machen. Ich fühlte mich bei diesem Gedanken gar nicht wohl, hatte Befürchtungen. Aber sie haben das alles perfekt vorbereitet und letztlich haben wir uns an diesem Fluss wunderbar verstanden und uns gegenseitig viele Dinge erklärt. Das war für mich eine sehr schöne Erkenntnis, dass man in einem anderen Umfeld als in der Schulklasse ganz andere Eigenschaften an den Menschen wahrnimmt. Seit dieser Zeit haben wir uns gegenseitig zu schätzen begonnen."