Der letzte Abschied – Tod und Beerdigungspraxis in Tschechien

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Am 1. Juli diesen Jahres starb der bisher älteste Mensch in Tschechien, Marie Kráslová, im hohen Alter von 109 Jahren. Das Titelthema der tschechischen Tageszeitung „Mladá fronta Dnes“ über die ganze Seite lautete dazu: „Tschechen leben länger, Hundertjährige nehmen zu.“ Dass sich nicht nur die Lebensdauer geändert hat, sondern auch die Beschäftigung mit Sterben und Tod wieder stärker in das Bewusstsein der Gesellschaft rückt, wird nur am Rande thematisiert. Dabei hat sich in Tschechien in den vergangenen 100 Jahren im Umgang mit dem Tod, dem Sterben und der Beerdigungspraxis vieles verändert.

Erfahrungen mit Beerdigungen hat so gut wie jeder im Laufe seines Lebens gesammelt. Unvermeidlicher Bestandteil des Rituals sind der Sarg mit dem Verstorbenen und die nächsten Angehörigen, Trauergäste und ihre Trauerbekundungen. Die Beerdigungsfeier wird begleitet von Trauerrede und Musik, dem Niederlegen von Blumen und Kränzen. Schwarze Kleidung ist ebenso obligatorisch wie die Trauer selbst. Das Grab gilt als letzte Ruhestätte des Verstorbenen und der Friedhof als würdiger und geschützter Ort. In den meisten westeuropäischen Staaten gehören zum Beerdigungsritual in der Regel noch eine Pfarrerin oder eine Pfarrer, die Segnungsworte in der Friedhofskapelle und Bibelworte am offenen Grab. In Tschechien werden die kirchlichen Beerdigungsrituale nur noch selten und zumeist in Dörfern praktiziert. Die Sozialanthropologin Olga Nešporová erklärt, wie es zu dieser Entwicklung kam:

„Die größten Unterschiede beruhen auf beziehungsweise stehen in Verbindung mit dem kommunistischen Regime, das die säkulare Beerdigung seit den 50er Jahren propagierte. Dies hat sich dann relativ schnell ausgebreitet. Das bedeutete, dass man sich von den kirchlichen Beerdigungen distanzierte und – ähnlich wie in Ostdeutschland – zu bürgerlichen Bestattungen überging, die praktisch immer in der Einäscherung bestanden.“

War der Tod während des Zweiten Weltkriegs noch allgegenwärtig, ist er seit den 50er Jahren zum Tabu geworden. Gestorben wird meistens im Krankenhaus, nur in Ausnahmefällen noch zu Hause und im Kreis der Familie. Der kommunistische Staat propagierte ein Gesundheitssystem, das unfehlbar war. Der Tod wurde – ähnlich der Entwicklung im Westen – nicht mehr als natürliches Lebensende verstanden, sondern als Scheitern der Medizin aufgefasst. Um die bürgerliche Bestattung durchzusetzen, musste das religiöse Verständnis des Todes durch die kommunistische Weltanschauung ersetzt werden, bestätigt Olga Nešporová:

„Selbstverständlich musste der Staat den Tod als solchen irgendwie einordnen. Die Soziologen Berger und Luckmann bestätigen, dass jede Gesellschaft die finale Krisensituation des Todes legitimieren, erklären und in den Kontext einfügen muss, damit sie annehmbar ist. Das kommunistische Regime konnte selbstverständlich kein Leben nach dem Tod, Auferstehungshoffnungen oder etwas Ähnliches anbieten. Das bedeutet, dass eine Lösung mehr oder weniger in der Leugnung des Todes bestand. Seine Überwindung sahen sie im Aufbau der sozialistischen Gesellschaft und in der Arbeit für die Gesellschaft und die nachfolgenden Generationen gewährleistet.“

Die seit 1919 von der Regierung der neu gegründeten Tschechoslowakei erlaubte Feuerbestattung bot sich den Kommunisten als einfache, hygienische und billige Lösung der Bestattungsfrage an.

„Die Ausbreitung der Feuerbestattung vollzog sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eher allmählich. Es waren Ausnahmefälle, wenn sich jemand für die Einäscherung entschied. Eine weitaus größere Entwicklung vollzog sich ab den 50er Jahren, so dass Ende der 70er Jahre bereits die Mehrheit der Verstorbenen eingeäschert wurde“, sagt Olga Nešporová.

Der Leugnung des Todes entspricht eine Bestattungspraxis, die den letzten Abschied so kurz und schmerzlos wie möglich machen soll. Die Einäscherung des Verstorbenen und die nachfolgende Urnenbestattung bieten sich für eine schnelle Regelung im Todesfall an. Sozialanthropologin Olga Nešporová sieht darin eine der Ursachen für den unaufhaltbaren Siegeszug der Feuerbestattung in Tschechien:

„Ich würde sagen, dass bei der Zeremonie die Person des Verstorbenen nicht mehr im Mittelpunkt steht. Es fehlt der frühere Kontakt zwischen dem Geistlichen oder dem Redner zu den Hinterbliebenen oder zum Verstorbenen. Meistens ist dort ein professioneller Redner, der eine sehr kurze Ansprache während der Zeremonie hält. Heute kommt es sogar vor, dass die Angehörigen eine Zeremonie ohne jegliche Ansprache wählen, das heißt, dass während der Trauerfeier lediglich Musik erklingt, die die Hinterbliebenen meist auf Empfehlung des Beerdigungsinstitutes oder aus einem Katalog mit passender Musik ausgewählt haben. Die Zeremonie dauert etwa 20 Minuten. Wenn ein gesprochener Teil dabei ist, was in der Regel der Fall ist, dauert er etwa fünf Minuten.“

„Mit Sicherheit weiß ich, dass heute einige Krematorien anbieten, den Verstorbenen zu dem Zeitpunkt einzuäschern, den sich der Klient wünscht. Das heißt, wenn sie sich in Deutschland am 18. März um 12 Uhr versammeln, können sie vereinbaren, dass genau um diese Zeit oder eine Stunde später der Verstorbene am anderen Ort eingeäschert wird“, wie Olga Nešporová erläutert.

Im Tschechien gibt es die Redewendung: „Ich habe das wie den Tod vergessen“ (Zapomněl jsem na to jak na smrt), was die Verdrängung des Todes in der Gesellschaft ausdrückt. Es wird noch eine Weile dauern, so Olga Nešporová, bis die Bestattung als wichtiger und denkwürdiger letzter Abschied hierzulande wieder an Bedeutung gewinnt.