Braunkohle in Nordböhmen: Bevölkerung gegen Ausweitung der Förderung

Foto: Tomáš Adamec, ČRo

In Nordböhmen wird bereits seit dem 15. Jahrhundert Braunkohle abgebaut, und noch heute dominieren die riesigen Tagebaugruben die Landschaft. Der Staat hat Förderhöchstmengen bestimmt und will den Abbau auslaufen lassen. Nun wird aber diskutiert, ob diese Quoten angehoben werden sollen. Die Befürworter argumentieren mit Arbeitsplätzen und Energiesicherheit, die Gegner mit Landschaftszerstörung und der schlechten Umweltbilanz der Braunkohle. Eine neue Umfrage zeigt: Zwei Drittel der Tschechen sind gegen eine Anhebung der Quoten.

Foto: Tomáš Adamec,  ČRo
Im Jahr 1991 beschloss die Regierung, die Braunkohleförderung im sogenannten nordböhmischen Becken auslaufen zu lassen. Dazu setzte sie Förderhöchstmengen für die verbliebenen Gruben fest, diese werden etwa 2022 erreicht sein. Da aber der Weltmarktpreis für Braunkohle steigt und Nordböhmen eine strukturschwache Region ist, brachte Staatspräsident Miloš Zeman im Oktober 2013 das Thema wieder auf den Tisch. Bei einem Besuch in Ústí nad Labem / Aussig sagte er damals:

„Ohne die Ausweitung der Fördermengen kommt es zu einem schrittweisen Verlust von bis zu 8500 Arbeitsplätzen. Und das vor allem in Most, wo es bereits jetzt eine der höchsten Arbeitslosenquoten landesweit gibt. Das ist eine Tragödie, wenn wir die Arbeitslosigkeit nicht nur als ökonomisches, sondern auch als soziales und psychologisches Problem begreifen.“

Die Bewohner der Region begreifen den Tagebau aber wohl vor allem als ein ökologisches und ein persönliches Problem: Die riesigen Gruben fressen sich in die Siedlungen, und die Braunkohlekraftwerke sorgen mit ihren Emissionen für eine extrem hohe Feinstaubbelastung, vor allem im Winter. Um die Stimmung in der Bevölkerung festzustellen, wurden in den vergangenen Monaten zwei große Umfragen durchgeführt. Eine hatte die Firma „Severní energetická“ in Auftrag gegeben, sie betreibt die Grube „Tschechoslowakische Armee“. Bei einer Ausweitung der Kohleförderung würde dieser Tagebau den Ort Horní Jiřetín / Obergeorgenthal bedrohen. Helena Sailerová wohnt dort und berichtet vom Besuch der Meinungsforscher:

Horní Jiřetín  (Foto: Google Maps)
„Das Treffen verlief in einer sehr freundlichen Atmosphäre. Die Frau, die bei uns war, hat sich sehr angenehm verhalten. Sie hat uns gefragt, welchen Preis wir uns für unser Haus vorstellen würden, wie wir uns ein neues Haus vorstellen würden und wie groß es sein sollte. Dann wollte sie wissen, ob wir noch arbeiten oder schon in Rente sind und ob unsere Kinder oder unsere Enkel bei uns wohnen.“

Die Erhebung hat das renommierte Meinungsforschungsinstitut Stem durchgeführt. Direktor ist Jan Hartl. Über den Auftrag sagt er:

„In Horní Jiřetín haben wir eine tiefgreifende soziologische Studie durchgeführt. Wir haben dort alle Häuser und sämtliche Haushalte besucht.“

Insgesamt waren die Forscher in 735 von 749 Haushalten und führten dabei 538 Interviews. Am Dienstag vergangener Woche stellte Stem dann die Ergebnisse der Studie vor: 57 Prozent der Einwohner von Horní Jiřetín sind gegen den Abbau von Kohle in ihrer Gemeinde. Allerdings befürchten etwa zwei Drittel der Einwohner, dass die Förderobergrenzen in den nächsten zehn Jahren aufgehoben wird – und sie dann ihre Häuser verlassen müssen.

Der Meinungsforscher Hartl betont aber, dass sich etwa 75 Prozent der Bewohner mit einem Umzug der gesamten Gemeinde abfinden könnten. Ein großes Problem für die Menschen sei eher die Unsicherheit darüber, was wann passieren werde, so Hartl.

Jan Rovenský  (Foto: Greenpeace)
Am selben Tag, an dem die Agentur Stem ihre Studie für den Energiekonzern „Severní energetická“ vorstellte, wurde noch eine weitere Umfrage veröffentlicht. In Auftrag gegeben hatte sie Greenpeace Tschechien. Die Ökologen wollten von den Menschen im ganzen Land wissen, ob die Kohleförderlimits in Nordböhmen angehoben werden sollten oder nicht. Jan Rovenský ist bei der Umweltorganisation für den Bereich Energie zuständig. Bei der Pressekonferenz von Greenpeace erklärte er:

„Es hat sich gezeigt, dass etwa 70 Prozent der tschechischen Bevölkerung eine Zerstörung von Dörfern für den Kohleabbau ablehnt. Diese Meinung hält sich seit vielen Jahren. Einige kleinere Einzelheiten überraschen, vor allem was die politischen Präferenzen und das Geschlecht der Befragten angeht, aber das Gesamtergebnis war zu erwarten.“

Demnach sind nur rund elf Prozent der Tschechen für eine Zerstörung von Dörfern für die Kohleförderung. Nur sechs Prozent der Befragten wollen, dass die Fördergrenzen aufgehoben werden, im Gegenzug wollen zwei Drittel, dass die Quoten beibehalten werden.

Diese Zahlen gefallen den Grubenbetreibern natürlich nicht, aber auch die Gewerkschaften kämpfen für eine Anhebung der Förderobergrenzen. Jaromír Franta leitet den Betriebsrat beim Bergbauunternehmen Czech Coal. In einem Interview in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks zweifelte er den Sinn der Greenpeace-Studie an:

Jaromír Franta  (Foto: OS PHGN)
„Ich bin überzeugt, dass die Förderobergrenzen eine Frage für Fachleute sind. Eine Umfrage in der Öffentlichkeit, ob die Menschen in Teplice oder Liberec für eine Anhebung der Limits sind, sollte auf die Frage keinen Einfluss haben. Es sollten da Experten ans Werk gehen, die nicht von irgendeinem politischen Sekretariat oder einer grünen Ideologie beeinflusst sind.“

Rovenský machte jedoch klar, dass die Studie nicht von Greenpeace selbst erstellt, sondern nur in Auftrag gegeben wurde. Die Systematik des Fragebogens und die Umfrage sei vom renommierten Meinungsforschungsinstitut Ipsos ausgearbeitet worden. Der Greenpeace-Mann parierte aber auch die Forderung, dass sich nur Fachleute mit dem Problem beschäftigen sollten:

„Ich stimme damit nicht überein. Die Frage, ob 2000 Menschen ihre Häuser verlassen müssen und ihre Gemeinde planiert wird, ist keine Frage für Fachleute. Ganz im Gegenteil, das ist eine Frage für die Politik. Die Fachleute können Gutachten erstellen. Aber ob wir 8000 Angestellten von ‚Severní energetická‘, die ihren Job verlieren könnten, oder den 2000 Menschen, die ihre Häuser verlieren würden, den Vorzug geben, das kann kein Fachmann entscheiden. Das ist gerade eine Entscheidung der Politik.“

Die Politik jedoch hält sich zurück. Die Beamtenregierung unter Premier Jiří Rusnok wollte die Limits noch erhöhen, nachdem Präsident Zeman sich dafür ausgesprochen hatte. Allerdings ruderte sie im Dezember 2013 wieder zurück: Dies solle dann doch lieber die kommende gewählte Regierung entscheiden.

Foto: Archiv Radio Prag
Eine solche gibt es nun, aber im Koalitionsvertrag findet sich nur der Hinweis, dass sich in den kommenden zwei Jahren eine Fachkommission mit dem Thema befassen solle. Der sozialdemokratische Industrie- und Handelsminister Jan Mládek hatte kurz vor seinem Amtsantritt eine weitere Variante ins Spiel gebracht:

„Damit es eine legitime Lösung gibt, wäre ein verbindliches Referendum im Kreis Ústí die Option. Ich kann mir eine Anhebung der Förderquoten vorstellen. Aber es ist überhaupt nicht klar, unter welchen Bedingungen dies geschehen soll und wer diese Entscheidung treffen wird. Daher sollte die Politik an ihre Basis zurückkehren.“

Bohuslav Sobotka, der neue sozialdemokratische Premier, hat sich bislang nicht geäußert. Auch in seiner Regierungserklärung ging er nur am Rande auf die Frage ein. Eine Woche vor der Veröffentlichung der beiden Meinungsumfragen wagte sich aber der Umweltminister an das Thema heran. Richard Brabec sagte, seine Partei Ano sei klar gegen eine Anhebung der Förderlimits. Und er sei fest davon überzeugt, dass Premier Sobotka die Quoten nicht erhöhen werde. Ob dies nun eine Ankündigung für die Öffentlichkeit oder eine Drohung an den Koalitionspartner war, lässt sich nicht beantworten.

Der Greenpeace-Experte Rovenský indes glaubt, dass die Menschen sich nicht um ihre Häuser sorgen müssten, solange sie weiter kämpfen würden:

„Die Menschen in Tschechien, nicht nur in Horní Jiřetín, sondern auch anderswo, haben die Tendenz, im Konflikt mit dem Staat ihre eigene Kraft zu unterschätzen. Es sind nun zehn Jahre vergangen, seit die ‚Severní energetická -‘ beziehungsweise der Vorgänger ‚Mostecká uhelna‘- mit ihrer Kampagne zur Erhöhung der Förderlimits begonnen hat. Aber tatsächlich haben sich die Quoten bislang nicht verändert, sie sind genauso hoch, wie noch vor zehn Jahren.“