Ausstellung in Prag: Zwangsarbeit als Massenphänomen im NS-Staat

Foto: Martina Schneibergová

Während des NS-Regimes haben mehr als 20 Millionen Menschen Zwangsarbeit geleistet, unter ihnen waren auch 500.000 Tschechinnen und Tschechen. Eine Ausstellung zu diesem Thema ist zurzeit im Belvedere auf der Prager Burg zu sehen.

Günter Saathoff  (Foto: Martina Schneibergová)
Die Ausstellung erläutert das Phänomen der Zwangsarbeit anhand von konkreten Geschichten. Zu sehen sind über 450 Fotos und 500 Dokumente. Initiiert wurde die Ausstellung von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“. Günter Saathoff ist seit 2003 Vorstand der Stiftung. Bei der Eröffnung der Wanderausstellung in Prag erklärte er:

„Wir wollen mit dieser Ausstellung zeigen, dass sich unsere Stiftung dafür einsetzt, dass es um eine dialogische Aufarbeitung der Geschichte geht, und nicht nur eine deutsche Aufarbeitung. Deswegen wurde sie als eine internationale Wanderausstellung konzipiert. In jedem Land, wo sie gezeigt wird, wollen wir einen Dialog darüber führen, was damals Zwangsarbeit bedeutet hat, wer davon betroffen war, und wie die heutige Erinnerungskultur im jeweiligen Land aussieht.“

Foto: Martina Schneibergová
Zusammengestellt wurde die Ausstellung von der Stiftung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Die gesamte Geschichte der Zwangsarbeit bis 1945 sowie die Nachgeschichte ab 1945 in gesamteuropäischer Perspektive darzustellen, ist im Rahmen einer Ausstellung nicht möglich. Die Kuratoren haben sich darum auf Fallgeschichten beschränkt, die die verschiedenen Aspekte der Zwangsarbeit darstellen. Jens-Christian Wagner ist eine der Kuratoren:

„Insgesamt sollen diese 60 Fallgeschichten, die wir präsentieren, Folgendes abdecken: erstens die Bandbreite verschiedener Kategorien von Zwangsarbeitern. Es ist wichtig, den Besuchern deutlich zu machen, dass es sehr verschiedene Kategorien von Zwangsarbeitern gab. Zweitens wollen wir die regionale Differenzierung zeigen, das heißt, deutlich machen, dass Zwangsarbeit überall stattgefunden hat, nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern auch im Reich selbst. Die Zwangsarbeit gehörte zum Alltag der deutschen Bevölkerung – nicht nur rein quantitativ durch die 13 Millionen Zwangsarbeiter, die im Reich eingesetzt wurden, sondern auch beispielswiese durch die Lager. Allein in Berlin gab es mindestens 700 Zwangsarbeiterlager. Zwangsarbeit hat überall stattgefunden, sie war ein öffentliches Verbrechen. Drittens haben wir in didaktischer Perspektive versucht, die Handlungsspielräume darzustellen. Denn die Geschichte passiert nicht, die Geschichte wird von handelnden Akteuren gemacht. Dies betrifft sowohl die Täterseite, als auch die Zwangsarbeiter selbst. Auch sie versuchen wir als handelnde Akteure darzustellen, nicht nur als Opfer.“

Foto: Martina Schneibergová
Die Ausstellung ist in vier Teile gegliedert. Im ersten Abschnitt wird die Zwangsarbeit vor Kriegsbeginn dargestellt. Der Kurator:

„Das war uns insofern sehr wichtig, als viele Deutsche nach dem Krieg behauptet haben, Zwangsarbeit sei eine Begleiterscheinung des Krieges gewesen. Das habe dazu gehört. Es war aber nicht so: Zwangsarbeit war integraler Bestandteil der NS-Gesellschaft, die auf den Prinzipien von Exklusion und Inklusion basierte. Es war eine Ausgrenzung der sogenannten ´Gemeinschaftsfremden´ in einer extrem rassistischen Gesellschaft, die seit 1933 formiert wurde. Das versuchen wir zu zeigen. Denn im Grunde genommen wurde vor 1939 das eingeübt, was dann nach Kriegsbeginn zuerst in die besetzten Gebiete exportiert und radikalisiert wird - und 1942 in das Reich zurückkommt.“

Jens-Christian Wagner  (Foto: Martina Schneibergová)
Im zweiten Teil der Ausstellung wird die Zwangsarbeit in den besetzten Gebieten seit 1939 beschrieben. Eine zentrale Rolle spielt dabei die „Vernichtung durch Arbeit“. Dieser brutalen Form waren Juden sowie Sinti und Roma ausgesetzt. Jens-Christian Wagner:

„Hier stellen wir beispielsweise auch das Lager Lety vor. In das Lager wurden tschechische Roma geschickt. 1942 wurden sie nach Auschwitz deportiert und größtenteils ermordet. Gleichzeitig zeigen wir, dass das System der Zwangsarbeit in den besetzten Gebieten radikalisiert wurde.“

Im dritten Abschnitt wird die Zwangsarbeit im Reich als Massenphänomen dargestellt. Ab Herbst 1941 wurden immer mehr deutsche Soldaten in die Wehrmacht eingezogen. Es entstand eine große Lücke in der Rüstungsindustrie, die durch Zwangsarbeiter gefüllt werden sollte. Dabei war das NS-Regime eigentlich bemüht, keine Ausländer ins Reich zu holen, da es eine homogene Gesellschaft propagierte. Als es aber an Arbeitskräften mangelte, wurden aus ökonomischen Gründen Millionen ausländische Zwangsarbeiter geholt. Für diese wurde jedoch ein sehr repressives Regelwerk erlassen.

Foto: Martina Schneibergová
Der vierte Teil der Ausstellung beginnt mit dem Jahr 1945. Beschrieben wird die Aufarbeitung der Zwangsarbeit. Sie führt vom Kampf um die Anerkennung bis zu den Auszahlungen an die Überlebenden. Als Historiker könne er das Fazit mit zwei Worten ausdrücken, sagt Jens-Christian Wagner:

„Diese zwei Worte lauten: eingeschränkte Gerechtigkeit, weil dieses Entschädigungsprogramm viel zu spät gekommen ist. Es war formal kein Programm, sondern es waren Hilfszahlungen, die an ehemalige Zwangsarbeiter ausgezahlt wurden. Mehr als 90 Prozent der 1945 noch lebenden Zwangsarbeiter waren 2001 bereits verstorben. Und es ist eine eingeschränkte Gerechtigkeit, weil große Gruppen von Zwangsarbeitern von diesen Hilfszahlungen ausgenommen blieben.“


Birgit Schlegel  (Foto: Martina Schneibergová)
Birgit Schlegel hat als Designerin die Ausstellung mitgestaltet.

Frau Schlegel, wie ist das didaktische Konzept der Ausstellung?

„Man kommt in die Ausstellung und wird von ganz großen Fotos empfangen, wobei man erst einmal nicht ganz genau weiß, was sie bedeuten. Aber jedes dieser Fotos ist beispielhaft für ein Thema der Ausstellung. Man kann natürlich seitlich lesen, woher das Foto kommt, aber zunächst kennt man den Kontext nicht. Dann muss man den vorderen Teil der Ausstellung lesen, um über den Vorlauf zur Zwangsarbeit zu erfahren. Dieser Teil ist anders als die übrigen Abschnitte gestaltet, er scheint etwas harmlos zu sein. Es wird erzählt, was in der Gesellschaft bis dahin passiert ist: Es gab da welche, die anders als die anderen waren und ausgegrenzt wurden. Sie wurden irgendwann als minderwertig eingestuft. Dann kommt man in die Ausstellung rein. In jedem Kapitel gibt es ganz große Flächen, auf denen gesagt wird, was bisher passiert ist und was sich in der Außenpolitik abspielt. Dies ist der Hintergrund, um weitere Sachen darzustellen. Dann gibt es solche grauen Kästchen – diese erzählen, wie sich beispielsweise das Deutsche Reich ausgebreitet hat. Dann kommen immer Zusammenfassungen zum Thema. Dann geht man in die sogenannte ´Szene´. Da diese Szene in sich abgeschlossen ist, versteht man alles besser. Wir haben versucht, so wenig wie möglich Papier auszustellen, weil das für viele langweilig ist. Wenn doch Papiere ausgestellt ist, dann immer mit der Übersetzung: Hier ist es Deutsch, dazu wird die Transkription beigelegt.“

Foto: Martina Schneibergová
Wurde die Ausstellung auch durch Material speziell aus Böhmen ergänzt?

„Ja, schon. Oben in der Etage bei den Zeitzeugen finden sich einige Beispiele: Es wird der Lebensweg von konkreten tschechischen Zwangsarbeiterinnen und Arbeitern geschildert.“

Wird die Ausstellung in jedem der Länder auf diese Weise erweitert?

„Das machen wir in jeder der Städte, wo sie gezeigt wird.“

Im Blickpunkt stehen vor allem die Zwangsarbeiter. Erfährt man auch mehr über diejenigen, die die Idee der Zwangsarbeit ins Leben riefen?

„Man findet hier die Biographien der Nationalsozialisten, die die Idee vorangebracht haben, die dieses System immer weiter perfektioniert haben. Die Porträts dieser Männer sind immer gleich gestaltet.“

Foto: Martina Schneibergová
Die allgemeine Vorstellung ist, dass die Zwangsarbeiter hauptsächlich in der Rüstungsindustrie eingesetzt worden sind. Wie hier gezeigt wird, stimmt das aber wohl nicht…

„Da viele Männer während der Zeit zur Armee eingezogen wurden, gab es bald keine Arbeitskräfte mehr. Viele Zwangsarbeiter wurden auf dem Lande bei den Bauern als Aushilfe oder einfach in den Haushalten eingesetzt. Zahlreiche deutsche Haushalte, die nie eine Hilfe hatten, hatten plötzlich eine Helferin oder einen Helfer zu Hause.“

Foto: Martina Schneibergová
Weiß man, wie die Beziehungen zwischen den Zwangsarbeitern und sozusagen ihren Arbeitgebern waren. Wird dieser Aspekt erwähnt?

„Das will die Ausstellung auch sagen, dass die Deutschen alle involviert waren und jeder Kontakt hatte. Es war eine Frage der Menschlichkeit, wie man sich mit den Menschen, die als Zwangsarbeiter kamen, vertragen hat. Es gab sehr gute Beispiele. Aber manche, die schon durch die Nazi-Ideologie sehr verdorben waren, haben die Leute ausgenutzt.“

Die Ausstellung mit dem Titel „Zwangsarbeit - Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“ ist im Belvedere auf der Prager Burg installiert. Sie ist täglich von 10 b ist 18 Uhr geöffnet und läuft bis 31. Oktober. Zur Ausstellung gibt es ein reichhaltiges Begleitprogramm.