Zu Hause, so lange wie möglich?

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Weniger Heime, mehr Heimbetreuung. Mit anderen Worten: Alte Menschen sollen wo es nur geht zu Hause leben, zu Hause gepflegt und versorgt werden. Das ist - in groben Zügen - das britische Konzept für den Umgang mit Senioren. Dahinter steckt aber oft weniger die Politik als vielmehr die Initiative privater Vereine, wie Ruth Rach aus London berichtet:

An der Rezeption eines Krankenhauses in Südlondon steht ein aufgebrachter Herr. Was ist mit meiner Tante geschehen, will er wissen. Wochenlang war die alte Dame in einem großen Krankensaal untergebracht worden, obwohl sie sich schon lange von ihrer Operation erholt hatte. Jetzt wurde sie verlegt, vorerst in ein Pflegeheim im Norden von London. Ihr Bett sei dringend benötigt worden. Aber: Sobald ihre Versorgung zuhause organisiert sei, werde sie entlassen.

Wie ältere Menschen in Großbritannien betreut werden, hängt von der jeweiligen Kommune bzw. Region ab. Seit den 80er Jahren sind zahlreiche Altenheime und Tagesstätten geschlossen worden; das hat den Druck auf die ohnehin knappen Betten in Krankenhäusern und auf den Nationalen Gesundheitsdienst überhaupt verstärkt. Aber trotz aller finanziellen Zwänge schneidet Großbritannien im Vergleich zu Deutschland in punkto Altenpflege besser ab, sagt der Arzt Markus Simmgen. Er stammt aus Deutschland, arbeitet aber schon seit 15 Jahren im britischen Gesundheitswesen:

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"Also mir scheint, hier gibt es eine bessere Chance, länger daheim gepflegt zu werden. Die Koordination des Systems ist meiner Meinung nach ziemlich ausgeklügelt, und es gibt hier ein sehr breites Spektrum von Möglichkeiten, um die Menschen davor zu bewahren, ins Altenheim oder immer wieder ins Krankenhaus zurückgehen zu müssen."

Wohltätigkeitsvereine spielen oft eine entscheidende Rolle. Sie organisieren Essen auf Rädern, holen die Wäsche ab, veranstalten Ausflüge. Manche werden von den Kommunen bezahlt, andere arbeiten umsonst oder für Billiglöhne. In Großbritannien gibt es eine lange Tradition und ein ausgedehntes Netz karitativer Organisationen. Kritiker sagen, ohne sie bräche die soziale Versorgung mancherorts zusammen. Die britische Regierung verlasse sich zu sehr auf die Arbeit von Freiwilligen. Alte Menschen sind dankbar. Sie fragen nicht, woher die Hilfe kommt.

Hausärzte haben bei der Betreuung älterer Menschen in der Gemeinde ebenfalls eine wichtige Funktion. Jeder Allgemeinpraxis sind Krankenschwestern zugeordnet, die Routineuntersuchungen durchführen, aber auch für regelmäßige Hausbesuche zuständig sind. Sie wechseln Verbände, überprüfen den Blutdruck, kontrollieren die medikamentöse Versorgung und nehmen dem Arzt viel Arbeit ab.

Trotz aller Bemühungen, alten Menschen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen: Jeder fünfte Brite, der über 85 Jahre alt ist, wird entweder im Krankenhaus oder in einem Heim betreut.

Auch bei der Versorgung schwerkranker Menschen in Großbritannien hat Dr. Simmgen Unterschiede zu Deutschland ausgemacht:

"Die Hospizbewegung hat hier in England ihre Ursprünge. Sie ist jetzt natürlich weit verbreitet. Aber hier sind spezielle Teams, die sich mit den Sterbenden beschäftigen, Gang und Gäbe. Das gibt es in jedem Krankenhaus. Im Verhältnis zu Deutschland werden auch Morphinpräparate hier wesentlich einfacher ausgegeben. Nicht unangemessener! Aber ich haben den Eindruck, dass die Leute hier doch bessere Schmerzbekämpfung erhalten, weil es einfach kein so großes Problem ist, die entsprechenden Medikamente zu verschreiben."

Aber auch in Großbritannien werden die Ressourcen immer knapper. Die Zahl der Rentner dürfte in den nächsten 25 Jahren von 11 auf 15 Millionen wachsen - das entspräche einem Viertel der Bevölkerung. Experten fordern eine Erhöhung des Rentenalters auf 70 Jahre. Der britische Gewerkschaftsdachverband widerspricht: Wenn mehr Briten im arbeitsfähigen Alter arbeiten würden, wären derartige Maßnahmen überflüssig.

Autor: Ruth Rach
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