Vom Hexengesetz zur Geistheiler-Föderation

Die National Federation of Spiritual Healing - der Britische Verband der Geistheiler (NFS) - wurde 1955 gegründet. Erst kurz zuvor war das berüchtigte "Hexengesetz" in England abgeschafft worden, in dessen Rahmen jeder Laienheiler verhaftet und im extremsten Fall sogar mit dem Tod bestraft werden konnte. Viel mehr als 50 Jahre sind seither nicht vergangen, aber die Geistheilerei ist in Großbritannien mittlerweile zum florierenden Nischenprodukt geworden. Ruth Rach berichtet aus London:

Foto: Jitka Hrabankova
Jean Dreghorn ist um die 70, schlank, charmant, kultiviert, tiefblaue Augen. Eine Frau, die man gerne zur Oma hätte. Seit vielen Jahren ist sie Geistheilerin. Jeden Mittwochnachmittag trifft sie sich mit einer Gruppe von Heilern in einer alten Kirche in Esher, südlich von London. Zu den Sitzungen kommen Patienten aus allen Schichten und Altersgruppen. Sie werden sorgfältig registriert, und dann zu einem Stuhl oder einer Couch geleitet.

Eine individuelle Sitzung dauert etwa 30 Minuten: Jean schließt die Augen und stimmt sich ein. Sie beginnt mit Entspannungsübungen, gefolgt von einer Bilderreise. Dann Schweigen. Jean führt ihre Hände über den Körper ihres Patienten, ohne ihn jedoch zu berühren. An bestimmten Stellen verweilt sie länger, als horche sie in sich hinein. Später erklärt sie, sie arbeitet mit dem Energiefeld des Patienten. Jean glaubt, dass sich jede Krankheit in der Aura eines Menschen manifestiert: seinem Energiekörper also, der aus dem Gleichgewicht geraten sei. Ihre Aufgabe bestehe darin, die Energiezentren - oder Chakren - ihres Patienten neu auszubalancieren und damit seine Heilkraft zu stärken.

Jean ist Mitglied der National Federation of Spiritual Healers, dem Nationalen Verband der Geistheiler. Der Verband hat eine lange Tradition. Seine rund 6000 Mitglieder arbeiten zumeist ohne Honorar in den 58 Zentren im ganzen Land. Roy Hutcheson ist ihr Sprecher.

"Dies ist keine religiöse Organisation", unterstreicht Roy Hutcheson. "Die Heiler kommen aus verschiedenen Glaubensrichtungen, und auch aus sehr unterschiedlichen Berufen: Lehrer, Taxifahrer, Studenten, Krankenpfleger, Rentner sind dabei. Und bisweilen auch Ärzte."

Training und Praktikum dauern mindestens zwei Jahre. In den Kursen werden nicht nur esoterische Kenntnisse, sondern auch medizinisches Fachwissen vermittelt. Die Heiler müssen Prüfungen ablegen, sich registrieren, sich versichern. Erfahrene Kollegen halten ein Auge auf sie. Der letzte Präsident des Nationalen Verbands der Geistheiler war selbst Arzt. Das hat das Image der Organisation gestärkt. Inzwischen haben zehn Arztpraxen in England Geistheiler angestellt. Auch in Krankenhäusern sind sie tätig: in Bristol, Leeds, London, Plymouth, Manchester. Ich frage Roy Hutchinson, wie er sich den Vorgang des Heilens erklärt:

"Man muss sich eine Lebenskraft vorstellen, die in der Natur, im Universum und im Menschen existiert", sagt Roy Hutcheson. "Der Heiler hat die Fähigkeit entwickelt, mit dieser Kraft in Verbindung zu treten und sie an seinen Patienten weiterzugeben - quasi als Starthilfe, damit dieser sein eigenes Heilungspotential aktivieren kann."

Jeder könne Heiler werden, meint Hutcheson. Falls er sich wirklich für diesen Weg entscheidet.

Autor: Ruth Rach
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