Von Zahlen und Zeiten - Matzka, ein Mathematiker des 19. Jahrhunderts

Die Karlsuniversität

Die Prager Karlsuniversität feiert in diesem Jahr ihr 660. Gründungsjubiläum. Als Karl IV. die historische Urkunde über die Gründung der ältesten Universität in Mitteleuropa unterzeichnete, ahnte er nicht, welch einer bewegten Geschichte sie entgegensah. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war besonders folgenreich für die Gestalt der Universität, wie wir sie heute kennen. Die Reform der Lehrinhalte der philosophischen Fakultät in der Mitte des 19. Jahrhunderts führte zur Anhebung des wissenschaftlichen Niveaus in allen Wissenschaftszweigen. Der Mathematikprofessor Wilhelm Matzka trug 20 Jahre lang wesentlich zur Entwicklung der mathematischen Wissenschaften an der Karlsuniversität bei - ein besonderes Kapitel aus der Geschichte der Mathematik im 19. Jahrhundert.

Als Wilhelm Matzka am 4. November 1798 im südmährischen Litobratřice / Leipertitz, das Licht der Welt erblickte, ahnte niemand, dass das 19. Jahrhundert grundlegende Veränderungen in Politik und Gesellschaft mit sich bringen würde. Ob die Ideen der erwachenden Nationalbewegung in den böhmischen Ländern den jungen Schüler Matzka in der Klosterschule in Osek / Osseg in Nordböhmen bei Teplice, erreicht haben, wissen wir nicht. Sicher ist, dass das Interesse für die Mathematik ihn bereits als 20-Jährigen bewegte, als er sein Studium an der philosophischen Fakultät in Prag begann. Großen Eindruck hinterließ vor allem sein Lehrer in mathematischer Physik, Cassian Hallaschka, der spätere Rektor der Karlsuniversität, mit dem er sich auch Jahre danach noch in tiefster Ehrerbietung verbunden wusste. Der junge Student schloss sein Studium mit ausgezeichneten Ergebnissen ab, doch unterbrach er seine Laufbahn an der Prager Universität.

Lehrbücher und Lineale vertauscht er damals mit Waffen und Munition. Im September 1819 tritt er in das 2. Artillerie-Regiment in Wien ein und dient insgesamt 18 Jahre lang dem österreichischen Militär. Als er 1831 zum Leutnant des Bombardierkorps ernannt wird, tritt er gleichzeitig seine erste Stelle als Professor der Mathematik an der Korpsschule an. Von nun an widmet sich Matzka der mathematischen Ausbildung der Nachwuchssoldaten. Er unterrichtet Algebra und analytische Geometrie, Differential- und Integralrechnung. Daneben nutzt Matzka die Gelegenheit, sich an der Wiener Universität fortzubilden, und studiert bei namhaften Größen praktische Astronomie und höhere Mathematik. Im August 1837 erreicht ihn der Ruf an die neu gegründete philosophische Lehranstalt in Tarnow (heute in Polen), das zu einem der Bildungszentren Galiziens zählte. Wilhelm Matzka entscheidet sich, Wien zu verlassen und den Lehrstuhl für Elementare Mathematik anzutreten. Hier findet er Zeit, sich der wissenschaftlichen Arbeit zu widmen und gibt im Jahr 1844 eines seiner ersten Werke, eine Chronologie heraus. Professorin Marie Bláhová, Leiterin des Lehrstuhls für historische Hilfswissenschaften an der Karlsuniversität in Prag, erklärt die Bedeutung dieses Vorhabens:

„Grundsätzlich gibt es seit dem 19. Jahrhundert Tendenzen, die Zeit zu messen und sie in Einklang mit der Bewegung der astronomischen Körper zu bringen. Dies soll dazu dienen, dass der Kalender nicht von der astronomischen Situation abweicht.“

Matzka selbst hat betont, dass der Impuls zur höheren arithmetischen Behandlung der Zeitrechnung vom genialen und scharfsinnigen deutschen Mathematiker Gauss ausgegangen sei. Matzka verglich sein Äußeres gern mit dem seines mathematischen Vorbildes, wenn ihm auch bewusst war, dass sein Werk in der Bedeutung kaum an das von Gauß anknüpfen konnte. Seine Chronologie diente vor allem als Vorlage, wie Marie Bláhová bestätigt:

„Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hatten fast alle europäischen Länder ihre eigenen chronologischen Handbücher. Diese Handbücher entstanden im Allgemeinen auf der Grundlage der mathematischen Chronologien, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts herausgegeben wurden.“

Das Jahr 1846 führt, so Matzka, mancherlei Unheil mit sich. Am schlimmsten trifft ihn in dieser Zeit der Tod seiner „vortrefflichen Frau“, wie er sie wörtlich naennt. „Mein Gemüt und mein Geist waren so niedergedrückt, dass ich mich nur schwer entschließen konnte, meine begonnenen Arbeiten zu vollenden“, schreibt er. Drei Jahre später, 1849 ergeht ein neuer Ruf an Wilhelm Matzka und führt ihn von Tarnow zurück nach Prag, berichtet Michaela Chocholová, Doktorandin an der Prager Fakultät der Mathematik und Physik, die sich mit dem Leben und Werk Matzkas beschäftigt:

„Er war ordentlicher Professor für Elementarmathematik und praktische Geometrie am Prager Polytechnikum, aber da blieb er nur ein Jahr lang. Danach wurde er ordentlicher Professor der Mathematik an der Karlsuniversität.“

Obwohl ab dem Jahre 1848 die Unterrichtssprache an der Karlsuniversität in Prag frei zur Wahl gegeben wurde, unterrichtete und veröffentlichte Matzka weiterhin nur in deutscher Sprache. Damit stand er dem Flügel der Professoren fern, die die Verselbständigung der Lehre in tschechischer Sprache förderten. Dennoch trug er in den 21 Jahren seiner Tätigkeit wesentlich zur Verbesserung und Entwicklung des Niveaus in der Mathematik bei, was vor allem seiner Aufgeschlossenheit gegenüber internationalen Veröffentlichungen und Ergebnissen zu verdanken war. Außer den Arbeiten von Gauß gehörten dazu auch die des bekannten slowenischen Mathematikers Jurij Vega, dessen Vorlesungen Matzka in überarbeiteter Fassung herausgegeben hat. Seit der Reform der Philosophischen Fakultät im Jahr 1848 richtete sich seine pädagogische Tätigkeit vor allem auf die Ausbildung angehender Oberlehrer. Seine Art des Unterrichts entsprach dabei eher der Tradition der „alten Schule“, wie den Aufzeichnungen seines ehemaligen Schülers Gabriel Blažek zu entnehmen ist:

„Er trug eintönig vor, halb der Tafel zugewandt und verglich immer die Lösungen mit der Niederschrift, die er zur Hand hatte. Einen zufälligen Fehler wischte er mit dem Finger weg, und wenn in der Kreide ein Stein war, warf er sie in hohem Bogen über die Köpfe der Zuhörer in die linke Ecke des Hörsaals. Diese Eigenschaft schrieben wir scherzhaft seinem Aufenthalt an der Schule des Bombardierkorps zu.“

Die Eintönigkeit seiner Vortragsweise stand jedoch im krassen Gegensatz zur Vielfalt der Themen, die Matzka in über 67 Publikationen während seiner Tätigkeit als Experte der angewandten Mathematik veröffentlicht hat. Matzka berechnete nicht nur die Zeit, sondern musikalische Töne und Tonleitern, Flächen und Strecken. Seine Ergebnisse trug er in der angesehenen Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften vor, der er seit 1845 angehörte und in der er sich über viele Jahre als Kassierer engagierte.

Als im Jahr 1882 die Teilung der Prager Universität – in eine deutsche und eine tschechische – vollzogen wird, ist Matzka bereits 11 Jahre im Ruhestand. Sein Nachfolger am mathematischen Lehrstuhl, František Studnička, unterrichtete bereits in tschechischer Sprache und verfasste die ersten tschechischen Lehrbücher der Mathematik. Dass Matzkas Wirken eng mit der deutschen Lehre verknüpft war, ist womöglich der Grund, dass seine wissenschaftliche Arbeit keine größere Anerkennung über die böhmischen Fachkreise hinaus erlangt haben, so Michaela Chocholová:

„Möglicherweise ist einer der Gründe, warum der Name Matzka heute kaum jemandem mehr geläufig ist, nicht in der Tatsache zu suchen, dass sich Matzka zu den Deutschen bekannt hat, sondern dass er eine deutsche Laufbahn führte, gerade in einer Zeit, in der sich alle für das Tschechische und die tschechischen Wissenschaftler interessierten und die Tschechen ihre eigene Wissenschaft und die tschechische Sprache wollten. Und das kann ein Grund sein, warum er in Vergessenheit geriet und heute unbekannt ist.“

Wilhelm Matzka starb in Prag am 9. Juni 1891, im hohen Alter von 92 Jahren. Die Nachricht von seinem Tode wurde damals sogar im Jahresbericht der Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften bekannt gegeben:

„Unsere Gesellschaft hat zahlreiche und schmerzhafte Verluste erlitten. Der unbarmherzige Tod hat drei Mitglieder des Rates und vier externe Mitglieder aus unserer Mitte gerissen, darunter das Ratsmitglied Dr. Vilém Matzka, des Regierungsrates und Professors der Prager Universität, der viele Jahre lang unsere Finanzangelegenheiten mit nichtalltäglicher Gründlichkeit und Genauigkeit versorgte.“