Josef Sousedík war technischer Erfinder und unternehmerischer Vorreiter seiner Zeit

Josef Sousedík (Foto: Public Domain)

Hybridautos stehen heutzutage hoch im Kurs. Doch bereits im Jahr 1927 baute der tschechische Unternehmer und Erfinder Josef Sousedík seinen Wagen auf diesen Antrieb um. Insgesamt ließ er 200 Patente registrieren, die er in seiner Firma auch in die Praxis umsetzte. Sein Name galt in der Zwischenkriegszeit als Synonym für Erfolg – bis die Nazis in die Tschechoslowakei kamen.

Josef Sousedík  (Foto: Public Domain)
Die Mährische Walachei war seit Jahrhunderten eine arme Region. Noch an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war es dort üblich, dass alle Kinder einer Familie zusammen nur ein einziges Paar Schuhe hatten. Das war auch bei den Sousedíks der Fall. Josef konnte die Schule nur besuchen, wenn die Arbeit rund um die Hauswirtschaft erledigt war, genauso seine sechs Geschwister. Wegen seines ungewöhnlichen Interesses für Elektronik aller Art durfte er jedoch eine technische Schule absolvieren. Nach dem Ersten Weltkrieg, den Josef Sousedík als Radiotelegraphist verbrachte, startete er in seiner Geburtsstadt Vsetín / Wsetin in eine neue Karriere. Der junge Techniker ließ bereits 1920 sein erstes Patent registrieren: einen automatischen Schalter. Viel Glück stand ihm dazu am Anfang bei, sagt Tomáš Sousedík, Sohn des erfolgreichen Vaters.

Tomáš Sousedík  (Foto: Archiv von Tomáš Sousedík)
„Wir stehen hier vor dem Gebäude, wo mein Vater nach den Ersten Weltkrieg beschäftigt war. Es war ein Sägewerk. Mein Vater verliebte sich in die Tochter des Besitzers, heiratete sie und überzeugte den Unternehmer, den Betrieb auf die Reparaturen von Elektromotoren umzustellen. Bald danach begann die Herstellung eigener Modelle, die mein Vater selbst entwickelte. Er machte dutzende Entdeckungen in diesem Bereich und meldete sie zum Patent an.“

Eines davon war ein Pkw mit einer Kombination aus Diesel- und Elektroantrieb. Sousedík baute dafür einen Wagen der Marke Tatra um. Zunächst setzte er sich elektrisch in Bewegung; erst dann sprang der Dieselmotor an. Der Vorteil: der Wagen war beim Anfahren deutlich schneller als andere Autos von damals. Sousedík fuhr damit regelmäßig zur Arbeit, was großes Aufsehen hervorrief. Damals schrieb man das Jahr 1927 und Josef Sousedik war neben Tomáš Baťa einer der erfolgreichsten Unternehmer in der Tschechoslowakei. Am Anfang haben beide sogar eng zusammenarbeitet. Vsetín liegt schließlich nur 27 km von Zlín entfernt, wo der Schuhkönig seinen Sitz hatte. Nach einer gewissen Zeit trennten sich aber die Wege der beiden Unternehmer. Zwischen Vsetín und Zlín ist bis heute ein Zeugnis dafür erhalten geblieben: der Torso einer Eisenbahnlinie, die nie in Betrieb genommen wurde. Tomáš Baťa ließ die Strecke bauen, um den Transport zwischen seiner und Sousedíks Fabrik zu erleichtern. Er rechnete mit der Fusion beider Firmen, sein Geschäftspartner stimmte aber nicht zu.

„Baťa bemühte sich, alles Notwendige für die Herstellung selbst unter Kontrolle zu haben: neben der Fabrik auch die Rohstoffe, die Verkehrsmittel, die Bank, das Kraftwerk, die Wohnungen und Gaststätten usw. Das war das Prinzip seines Unternehmertums. Aus einigen mir unbekannten Gründen erhielt er aber nie die Konzession für die Erzeugung von Elektromotoren, die er in riesengroßer Menge brauchte. Daher suchte er einen Generallieferanten – und das wurde Sousedík. Für die Beförderung der Maschinen zwischen Vsetín und Zlín hätte sich die Eisenbahn gelohnt, Lkws konnten damals nicht mithalten. Die Termine waren eng gesteckt. Ich habe als Kind sogar die Geschichte gehört, dass zusammen mit zwei großen Elektromotoren auch zwei Lehrlinge mit Eimern auf einen Lkw geladen wurden. Sie strichen unterwegs die Maschinen.“

„Slovenská strela“  (Foto: Zdeňka Kuchyňová)
Wie schon gesagt, Sousedík lehnte es 1932 ab, seine Firma in Baťas Imperium einzugliedern. Baťa reagierte harsch: Sofort stellte er den Bau der Eisenbahnlinie ein und kündigte alle Verträge mit seinem bisherigen Generallieferanten auf. Für Sousedík war das wohl sehr schwierig, er musste etwa die Hälfte von insgesamt 700 Mitarbeitern entlassen. Bald fand er aber einen neuen Geschäftspartner: Hans Ringhoffer. Dessen Firma war damals einer der größten Hersteller von Schienenfahrzeugen weltweit und Sousedík wurde ihr Direktor. Darüber hinaus behielt er aber seine Fabrik in Vsetin. Aus der Kooperation beider Unternehmer entstand unter anderem eine echte Sensation: ein leichter und luxuriöser Triebwagen namens „Slovenská strela“, der Slowakische Schuss. 1936 begann er zwischen Prag und Bratislava zu pendeln, wobei er die Reise um mehr als eine Stunde verkürzte. Seine Reisezeit von 4 Stunden und 18 Minuten blieb bis in die 1990er Jahre unübertroffen. Bei den Probefahrten erreichte der Triebwagen das Tempo von 148 km/h, und Zeitzeugen berichteten, die Eisenbahner schafften es nicht, rechtzeitig die Schranken herunter zu lassen. Der Tschechoslowakische Rundfunk sendete von einer der ersten Fahrten eine Reportage:

„Die Reisenden registrieren gar nicht die Geschwindigkeit, mit der sich dieser Zug wie ein glatter Aal durch die Landschaft schlängelt. Die Gleise leisten nämlich diesem Zug einen deutlich kleineren Widerstand als bei einem normalen Schnellzug. Der Triebwagen ist nicht nur sehr leicht, sondern auch mit zwei modernen dieselelektrischen Motoren ausgestattet, die ein schnelles und fließendes Anfahren garantieren. Des Weiteren ist er mit einer speziellen Belüftung ausgestattet, denn die Verwendung von klassisch zu öffnenden Fenstern würde bei einem Tempo von 130 km/h einen zu starken Luftzug verursachen. Nicht zuletzt muss man das gut ausgestattete Büfett erwähnen, so dass man etwas Leckeres verspeisen und mit einem gutem Schluck nachspülen kann.“

Foto: Tschechisches Fernsehen
Der Zug war nur drei Jahre in Betrieb. Am 15. März 1939 stellte sich ihm eine neue Staatsgrenze zwischen dem Protektorat Böhmen und Mähren und der Slowakei in den Weg. Deswegen wurden auch die Pläne für die Serienherstellung des „Slovenská strela“ auf Eis gelegt.

Aber zurück zu Josef Sousedík. Von seinem ausgezeichneten Ruf zeugt auch die Tatsache, dass er 1927 im Alter von 33 Jahren zum Bürgermeister von Vsetín gewählt wurde. Dieses Amt bekleidete er ohne Pause bis 1938. Trotzdem hielt sich Sousedík für einen unpolitischen Menschen. Die von ihm gegründete „Bürgerpartei“ war ein rein lokales Projekt, das die Entwicklung der Stadt zum Ziel hatte. Die Liste der vollbrachten Projekte ist lang: ein neues Gymnasium, eine neue Gewerbeschule, ein neues Stadtkraftwerk, viele renovierte Gebäude. Erwähnenswert ist es auch, dass Sousedík seinen Bürgermeisterlohn vollständig für wohltätige Zwecke überweisen ließ. Josef Sousedík war nämlich ein großer lokaler, aber auch tschechoslowakischer Patriot. Mit allem, was er machte, wollte er der Prosperität seiner Heimat dienen, sagt der Historiker Jiří Kohutka.

Jiří Kohutka  (Foto: YouTube)
„Sousedík machte unter anderem auch mit Großbritannien Geschäfte. Die Briten forderten ihn auf, seine Fabrik zu verkaufen und eine Stelle im britischen Patentamt anzutreten. Das war ein großartiges Angebot, Sousedík wäre mit seiner ganzen Familie lebenslang versorgt gewesen. Er soll aber gesagt haben: Nein, meine Herren, ich bin ein Tschechoslowake und will für die Tschechoslowakische Republik arbeiten. Er hatte auch Angebote von General Motors, Siemens und anderen Konzernen, alle lehnte er ab. Er fühlte sich mit seiner Heimat eng verbunden. Diese Einstellung bewegte ihn auch dazu, sich während des Zweiten Weltkriegs dem Widerstand anzuschließen.“

Nach der Zerstörung der Tschechoslowakei und der Besetzung des Landes durch die Nazis begann Josef Sousedík eine Widerstandsgruppe aufzubauen. Ihre Mitglieder waren vor allem demobilisierte tschechoslowakische Soldaten, zusammen etwa 2000 Menschen. Sabotage in der Wirtschaft, aber auch Kontakte zu Widerstandsgruppen im Ausland waren ihr Ziel. Sousedík wurde dreimal von der Gestapo festgenommen, zweimal aber nach der Intervention von Hans Ringhoffer wieder freigelassen. Bei der dritten Verhaftung soll es zu einer Auseinandersetzung zwischen ihm und einem Geheimpolizisten gekommen sein, bei der Sousedík erschossen wurde. Es war am 18. Dezember 1944, drei Tage vor Sousedíks fünfzigstem Geburtstag. Das Ereignis wurde von den Besatzern verschwiegen, wahrscheinlich aus Angst vor Unruhen in der Stadt. Erst nach dem Krieg stellte sich heraus, dass die Leiche des berühmtesten Einwohners von Vsetin in Brünn verbrannt worden war.