Geschichte des Reisens: die Tschechen und die südslawische Adriaküste

Opatija (Foto: Library of Congress, Free Domain)

Weihnachten ist die richtige Zeit, um sich an die Urlaubserlebnisse vom Sommer zu erinnern. Dann werden der Verwandtschaft Fotos und Videos gezeigt. Hierzulande stammen die Aufnahmen recht häufig aus Kroatien. Denn die dortige Adriaküste ist seit der politischen Wende zum beliebtesten Urlaubsziel tschechischer Touristen geworden. Im Sommer vergangenen Jahres waren über 800.000 Tschechen in Kroatien auf Urlaub. In diesem Jahr dürften es sogar noch mehr gewesen sein. Doch die Liebe zu dieser Gegend Europas hat eine Geschichte, die über 100 Jahre zurückreicht.

Lenka Bergmanová  (Foto: Archiv von Lenka Bergmanová)
Weltweit zählt der Tourismus zu den größten Wirtschaftszweigen überhaupt. Seit die Tschechen durch die politische Wende auch ihre Reisefreiheit wiedererlangt haben, ist dies auch hierzulande zu spüren. Besonders der Westbalkan steht hierbei im Fokus. Das hat tiefe historische Gründe. So lebten Tschechen und Slowaken genauso wie Slowenen und Kroaten vier Jahrhunderte lang in demselben Staat: der Habsburger Monarchie. Lenka Bergmanová hat sich mit dem Beginn des tschechischen Tourismus in den südslawischen Ländern, vor allem an der Adria-Küste, beschäftigt. 2010 schrieb sie ihre Magisterarbeit an der Masaryk-Universität im südmährischen Brno / Brünn zu diesem Thema:

„Die gegenseitigen Beziehungen zwischen Tschechen und den slawischen Völkern auf dem Balkan vertieften sich zunehmend im Lauf des 19. Jahrhunderts. Der Prozess ihrer Annäherung, der in der Nachwirkung der Romantik und der Französischen Revolution entstand, basierte in den Gedanken des so genannten Panslawismus. Sein Ziel war die kulturelle, religiöse und politische Einheit aller slawischen Völker Europas. In all den Bereichen gab es eine breite Skala von Inspirationen und gegenseitiger Beeinflussung. Hierzu gehörte eben auch der Tourismus.“

Vojtěch Náprstek
Die Entstehung des Massentourismus war besonders in den Böhmischen Ländern durch den stark ausgeprägten Panslawismus motiviert. Doch erst die Industrielle Revolution schuf die Voraussetzung, dass auch breitere Schichten auf Reisen gehen konnten – und nicht wie bis dahin nur der Adel. Nach und nach entstanden auch in der k.u.k. Monarchie entsprechende Vereine und Klubs:

„Zu den ersten gehörten die Alpenvereine. Mitte des 19. Jahrhunderts galten insbesondere die Alpen als beliebtes Reiseziel. Die Julischen Alpen in Slowenien wurden bis in die 1890er Jahre aber fast ausschließlich von Mitgliedern der deutschen Touristenvereine besucht. 1893 wurde in Ljubljana das erste slowenische Pendant - der Slowenische Verein für Bergsteiger - gegründet. 1888 entstand in Böhmen der tschechische Wanderverein auf Initiative des Volkskundlers Vojtěch Náprstek. Ab 1889 gab der Verein eine Monatszeitschrift heraus. Der Wanderverein organisierte unter anderem Vorträge seiner Mitglieder und geladener Gäste, die über ihre Reisen und Reiseerfahrungen berichteten. Hinzu kamen Ausstellungen, die Herausgabe von Reisebüchern und Landkarten. und nicht zuletzt wurden auch Gemeinschaftsausflüge unternommen. Der tschechische Wanderverein knüpfte auch Kontakte zu ähnlichen Vereinen in weiteren slawischen Ländern. Man tauschte vor allem Zeitschriften und Publikationen aus“, so Bergmanová.

Geplant war sogar, einen gemeinsamen slawischen Dachverband zu gründen. Das Projekt wurde allerdings nie umgesetzt, auch wegen der politischen Verhältnisse in der damaligen Habsburger Monarchie. Das aber schmälerte die Reiselust der Tschechen nicht, im Gegenteil. Im Lauf der Zeit nahm das Interesse tschechischer Touristen an Reisen an die Adria kontinuierlich zu. Darum verdient machte sich auch der 1912 gegründete Touristenverein ´Adria´, er setzte sich maßgeblich für die Vorteile tschechischer Touristen ein, zum Beispiel in Hotels, auf der Eisenbahn oder auf Schiffen. Der Verein organisierte auch selbst Reisen ans Meer und versorgte die Klienten mit nützlichen Informationen. Lenka Bergmanová:

Postojna  (Foto: Rudolf Bruner-Dvořák,  Free Domain)
„Im Jahr 1887 hatte die erste Gemeinschaftsfahrt tschechischer Touristen an die Adria stattgefunden, es waren rund 500 Menschen, die über Ljubljana nach Bled und Postojna an der slowenischen Adria-Küste reisten. Von der dortigen Bevölkerung wurden die Tschechen sehr herzlich empfangen. Die nächste Fahrt wurde zehn Jahre später vom Tschechischen Wanderverein veranstaltet. Diesmal führte sie nach Dalmatien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina. Der Zug hatte sieben Waggons.“

Der Gedanke des Panslawismus war im Lauf der Zeit nicht mehr der Hauptgrund für die Tschechen, nach Jugoslawien zu reisen. Den Tschechen, die in den slawischen Süden reisten, ging es anfangs darum, das unbekannte, in mancher Hinsicht aber auch nahe Land kennenzulernen sowie etwas Abenteuerliches zu erleben. Nach einiger Zeit setzte sich ein neuer Trend durch. Nachdem an der Adria-Küste die ersten Seebäder gegründet wurden, reisten immer mehr Tschechen auch wegen der medizinischen Heilwirkungen dorthin. Fast zeitgleich kamen aber weitere Gründe hinzu:

Opatija  (Foto: Library of Congress,  Free Domain)
„An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert waren tschechische Unternehmer sehr daran interessiert, in den südslawischen Regionen der Habsburger Monarchie zu investieren und damit auch neue Absatzmärkte für die tschechische Industrieproduktion zu erschließen. Eines der bedeutendsten Projekte wurde zum Beispiel vom Prager Bankhaus ´Živnostenská banka´ umgesetzt. 1912 gründete die Bank in Triest die ´Jadranska banka´, die es bis heute gibt. Die tschechischen Aktivitäten zielten auch auf das Hotelwesen und das Gastgewerbe. Tschechische Besitzer oder Betreiber leiteten eine Reihe von Hotels, Pensionen und Erholungseinrichtungen an der kroatischen Adriaküste. Ein Beispiel: In Opatija auf der Halbinsel Istrien entstand 1889 das erste Seebad und der erste Seeluftkurort an der Adria. 1905 kaufte der tschechische Unternehmer Josef Landr eine Villa vom ungarischen Adelsgeschlecht Esterházy und baute sie zu einer Pension um.“

Zdeňka Čermáková  (rechts)
Zu einem wahren Pionier der Adria-Reisen wurde Emil Gestlich, Direktor der Prager Druckerei „Politika“. Binnen kurzer Zeit machte er sich um die Beliebtheit der kroatischen Insel Krk verdient. Im dortigen Städtchen Baška eröffnete er im Mai 1910 das erste tschechische Restaurant. Auf seine Initiative hin wurde dort ein Jahr später auch ein Hotel mit 32 Zimmern für tschechische Touristen eröffnet - direkt am Strand. Gestlichs Motto lautete „Aus dem Zimmer ins Meer“. Der Reisepionier wurde auch in Baška begraben. In seiner Nähe liegt zudem seit 1968 auch die tschechische Ärztin Zdeňka Čermáková, die 40 Jahre in dem Städtchen eine Praxis führte. Das heutige medizinische Zentrum von Baška trägt im Übrigen ihren Namen.

Damals wurden auch bereits weitere Fundamente für die heutige Tourismusindustrie gelegt.

„Die Entwicklung des modernen Tourismus war auch von der Entstehung eines neuen literarischen Genres begleitet - des Reiseführers. Zudem entstanden eigene Zeitschriften, wie 1910 der ´Slovanský turista´ (Der slawische Tourist) mit dem Untertitel ´Zeitschrift für die Entwicklung der Touristik in den slawischen Ländern´. Hier fanden die Leser neben praktischen Ratschlägen zum Beispiel auch Fahrpläne und Preise von Zügen und Schiffen und Informationen über Unterkunfts- oder Ausflugsmöglichkeiten. Bald erschienen auch die ersten Konversationswörterbücher, touristische Landkarten und Stadtpläne“, sagt Bergmanová.

Halbinsel Istrien 1929  (Quelle: Discusmedia,  Free Domain)
Der Erste Weltkrieg setzte der ersten Welle des Tourismus ein vorläufiges Ende. Zudem endete die Geschichte der Habsburger Monarchie, 1918 entstanden dann neue Staaten, darunter die Tschechoslowakei und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Der Name des zweiten Staates änderte sich 1929 in Königreich Jugoslawien. Dieses Staatsgebilde musste allerdings territoriale Verluste hinnehmen - die Halbinsel Istrien einschließlich der Hafenstadt Triest fiel Italien zu. Die Tourismusbranche erholte sich aber relativ, behauptet Bergmanová:

„Den Sommer 1922 verbrachten bereits 25.000 tschechoslowakische Touristen an der jugoslawischen Adria-Küste. Damals begann aber auch Italien um Touristen zu werben. Zum Angebot gehörten aber nicht nur die Strände am Meer, sondern auch die verlockenden Kulturdenkmäler Italiens. Nichtsdestotrotz blieb die jugoslawische Meeresküste das beliebteste Urlaubsziel für viele tschechoslowakische Besucher. In der Rangliste der ausländischen Touristen in Jugoslawien belegten die Tschechoslowaken in der Regel den dritten Platz - nach den deutschen und den österreichischen Touristen. 1937 waren es 36.000 Deutsche, 16.000 Österreicher und 12.000 Tschechen und Slowaken.“

Die Struktur der letztgenannten Klientel war offenbar bunt:

„An die Adria fuhren sowohl gut verdienende Menschen wie zum Beispiel Firmendirektoren, Staatsräte und dergleichen mehr, als auch weniger Betuchte, darunter Lehrer, Studenten oder ganze Pfadfindergruppen. Ihren Urlaub verbrachten dort gerne auch Persönlichkeiten in hohen politischen Positionen wie Regierungschef Antonín Švehla. Genannt seien auch bekannte Künstler wie der Komponist Jaroslav Ježek, die Maler Antonín Slavíček, Václav Špála, Emil Filla und Toyen. Als traditionales Beförderungsmittel galt in der Zwischenkriegszeit der Zug, mit dem einzelne Häfen an der Adriaküste erreicht werden konnten. In den 1930er Jahren wurden auch Busfahrten von je einem staatlichen Reisebüro der beiden Landesteile organisiert. Eine große Rolle in der Entwicklung des Tourismus spielte der schnelle Aufstieg des Flugverkehrs. Am 1. August 1930 wurde die erste Flugverbindung zwischen der Tschechoslowakei und Jugoslawien eingeführt. Die Flugzeuge aus Prag flogen Zadar und Sušak an der kroatischen Adria an.“

Mit dem Zweiten Weltkrieg kam es jedoch zu einem Bruch. Und danach brachte der kalte Krieg die Entwicklung für lange Zeit zum Stillstand. Lenka Bergmanová:

„Die gespannten Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg hatten zur Folge, dass ab 1948 keine Touristen aus den von Moskau politisch beherrschten Sattelitenländern einschließlich der Tschechoslowakei die jugoslawische Adriaküste besuchen durften.“

Dabei hatten sie dort in der Zwischenkriegszeit zu den häufigsten Gästen gehört. Allein Tschechen, Slowaken sowie Ungarn stellten in den Jahren 1936 bis 1938 insgesamt 35 Prozent der ausländischen Gäste dort.

Foto: Archiv Radio Prag
Erst mit dem politischen Tauwetter in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre konnten wieder mehr Tschechen und Slowaken nach Jugoslawien reisen, ihre Zahl war jedoch strikt reguliert. Als die Warschauer Paktstaaten am 21. August 1968 in die Tschechoslowakei einmarschierten, befanden sich etwa 10.000 Urlauber aus dem Land in Jugoslawien. Mehrere Tausend von ihnen emigrierten von dort in den Westen. Danach wurden die Möglichkeiten erneut stark beschnitten. Erst 1990 öffneten sich die Grenzen.