Die "größte Tschechin"

Derzeit läuft eine Umfrage des Tschechischen Fernsehens, wer wohl der größte Tscheche aller Zeiten ist. Noch ist das Ergebnis nicht bekannt, doch die Fernsehleitung hat bereits verraten, dass unter den ersten hundert 18 Frauen vertreten sein sollen - nicht gerade viel, doch besser als in Deutschland, wo es bei einer ähnlichen Fernsehumfrage nur 14 Frauen unter die ersten hundert schafften. Im folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte werfen Jitka Mladkova und Katrin Bock einen Blick auf mögliche Siegeskandidatinnen.

Seit Wochen sind Tschechinnen und Tschechen auf der Suche nach dem bedeutendsten Tschechen in der Geschichte. Noch wurde der Sieger nicht ermittelt, doch es zeichnet sich ab, dass die Bewohner des Landes ihre weiblichen Vorfahren zu vergessen scheinen. Vielleicht liegt es auch an der Fragestellung - die geplante Fernsehsendung soll "Nejvetsi Cech - der größte Tscheche" heißen, vielleicht liegt es daran, dass Frauen bis ins letzte Jahrhundert kaum eine Chance hatten, sich politisch, wissenschaftlich oder anders zu profilieren. Wie dem auch sei, über 380.000 Stimmen wurden bisher abgegeben, doch unter den 100 meistgenannten Namen sollen laut Angabe des tschechischen Fernsehens nur 18 weibliche sein. Bis zur Bekanntgabe des Siegers im Juni bleibt die Reihenfolge geheim, doch dass soll uns nicht davon abhalten, ein wenig zu spekulieren, welche Frauen es geschafft haben könnten. Zu diesem Zweck habe ich mich auch ein bisschen auf der Strasse umgehört. Doch lauschen wir nun erst einmal einer Oper, die Bedrich Smetana zu Ehren einer bedeutenden Tschechin komponiert hat:

Zu hören war die Opernsängerin Eva Urbanova, die es übrigens auch unter die ersten Hundert geschafft haben könnte. Sie singt die Rolle der Titelfigur der Oper Libuse, der sagenhaften Gründerin von Prag. Ganz zu Beginn der tschechischen Geschichte spielte Libuse eine große Rolle: im 8. Jahrhundert soll sie immerhin die Stammmutter des Geschlechts der Premysliden gewesen sein, unter dem Böhmen als wichtige Macht Mitteleuropas aufstieg und das über vier Jahrhunderte bis Anfang des 12. Jahrhunderts geherrscht hat.

"Also als erstes fällt mir die heilige Ludmilla ein. Weil sie sich bedeutend an der Erziehung des heiligen Wenzel beteiligt hat, der heute als tschechischer Landespatron bezeichnet wird."

Die heilige Ludmilla war in der Tat eine wichtige Frau für die Geschichte der Böhmischen Länder. Mit ihrem Gatten Borivoj aus dem Geschlecht der Premysliden ließ sie sich im Jahre 883 taufen und trug sehr zur Verbreitung des Christentums in Böhmen bei. Sie übte großen Einfluss auf ihren Enkel Wenzel -Vaclav aus und brachte ihm das Christentum näher. Wer weiß, ob er es ohne die Erziehung seiner Großmutter bis zum Landespatron gebracht hätte. Wenzel wurde 929 von seinem Bruder Boleslav ermordet - angeblich störte diesen die Religiosität des Bruders. Auch Ludmilla wurde ermordet - im Jahre 921 von ihrer Schwiegertochter Drahomira, der Mutter Wenzels.

"Meiner Meinung nach ist die größte Tschechin die heilige Agnes und die heilige Zdislava. Beide haben sich den Ärmsten gewidmet. Und noch dazu - die heilige Agnes war eigentlich eine Prinzessin, die alles abgelegt, alle Macht und Reichtum abgelegt hat und sich den Kranken gewidmet hat und war für mich die größte Tschechin."

Im 13. Jahrhundert gründete die Premysliden-Prinzessin Agnes - tschchechisch Anezka in Prag ein Kloster, sie widmete sich den Kranken und Armen und stand in Kontakt mit dem heiligen Franz von Assisi. Eine große Rolle sollte diese böhmische Adelige einige Jahrhunderte nach ihrem Tod spielen. Am 12. November 1989 wurde Agnes in Rom endlich heilig gesprochen. Der Sage nach sollte sich, sollte Agnes jemals heilig gesprochen werden, etwas in den böhmischen Ländern verändern - und siehe da, eine Woche später begann die Samtene Revolution, die das Ende des Kommunismus brachte. Viele sind von dem Einfluss der heiligen Agnes auf diese Ereignisse überzeugt.

In den kommenden Jahrhunderten hatten Frauen in den Böhmischen Ländern kaum keine Chance, sich zu profilieren - mit Ausnahme von Herrscherinnen.

Maria Theresia
" Also ich sage nur den Namen: Maria Theresia. Wenn ich die Geschichte so betrachte, dann fällt nur sie mir ein, weil ich denke, dass sie wirklich viel vollbracht hat und als Herrscherin konnte sie sich ohne Zweifel auch mit Männern messen."

Maria Theresia war zwar keine Tschechin, doch herrschte sie knapp 40 Jahre über die Böhmischen Länder.

Tschechische Frauen machten erst im 19. Jahrhundert wieder auf sich aufmerksam - vor allem als Schriftstellerinnen, tschechische Patriotinnen und Kämpferinnen der beginnenden Emanzipationsbewegung. In erster Linie wäre da Bozena Nemcova - die wohl bekannteste tschechische Schriftstellerin des 19. Jahrhunderts, die von 1820 bis 1862 lebte. Beliebt sind bis heute die von ihr gesammelten und verfassten Märchen sowie ihr Roman "Babicka" - "Die Großmutter", der noch heute zu besten Werken der tschechischen Literatur gehört.

1785 kam Magdalena Rettigova zur Welt. Bekannt wurde sie dank ihres 1826 erschienenen Kochbuches. Das erste tschechische Kochbuch überhaupt prägte Generationen tschechischer Köchinnen. Doch Magdalena Rettigova beschränkte ihre Tätigkeit nicht nur auf die Küche, sondern war auch in der beginnenden Frauenbewegung aktiv.

Die Schriftstellerin Eliska Krasnohorska, die von 1847 bis 1926 lebte, verfasste unter anderen Libretti für Opern von Bedrich Smetana und anderen Komponisten. Außerdem engagierte sie sich in der Frauenbewegung. Eines ihrer Verdienste war die Eröffnung des ersten Mädchengymnasiums in der gesamten österreichischen Monarchie - und zwar 1890 in Prag.

"Also ich denke, Milada Horakova. Sie erlebte schwierige Zeiten, kämpfte stets für die Gerechtigkeit, für die sie dann auch starb."

Die 1950 von den Kommunisten hingerichtete Milada Horakova ist eines der Symbole des antikommunistischen Widerstands überhaupt. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg war sie Mitglied der tschechischen Nationalen Sozialistischen Partei gewesen, während des Protektorats war sie in Theresienstadt und anderen Zuchthäusern wegen ihrer politischen Überzeugung inhaftiert. Nach 1945 engagierte sie sich für die Wiederbelebung ihrer Partei und war eine der führenden Politikerinnen. In einem politischen Schauprozess wurde sie 1950 von den Kommunisten zum Tode verurteilt - selbst internationaler Protest konnte die Hinrichtung nicht verhindern.

"Katka Neumannova, würde ich sagen. Ich denke ihre sportlichen Ergebnisse sprechen für sich und dazu kümmert sie sich so schön um ihr kleines Kind."

Katerina Neumannova  (Foto: CTK)
Aus der heutigen Zeit sind es vor allem Sportlerinnen und Pop-Sängerinnen, die von den Tschechinnen und Tschechen verehrt, bewundert und geliebt werden. Zu erwähnen sei die mehrfache Olympiasiegerin von Mexiko 1968 Vera Caslavska, die Tennisspielerin Martina Navratilova oder eben die frisch gebackene Mutter und Langlaufweltmeisterin Katerina Neumannova.

Meine persönliche Favoritin ist Milena Jesenska. Bekannt ist sie vor allem als Freundin Franz Kafkas, deren Werke sie ins Tschechische übersetzte. In den 1930er Jahren gehörte sie zu den führenden kritischen Journalisten ihrer Zeit. Ihre Artikel, insbesondere über die Situation in den Sudetengebieten vor dem Münchner Abkommen sind noch heute lesenswert. Nach Okkupation der Böhmischen Länder im März 1939 war sie im Widerstand aktiv. 1944 starb Milena Jesenska im Alter von 47 Jahren im Konzentrationslager Ravensbrück.

Nun, das tschechische Fernsehen wird uns noch etwas auf die Folter spannen - Anfang Mai will es die Namen der ersten hundert veröffentlichen und im Juni soll dann die feierliche Bekanntgabe des Siegers - oder der Siegerin stattfinden.