Der Traum von der tschechischen Kolonie in Amerika

Foto: Archiv der Nationalen Bibliothek der Tschechischen Republik

Im 19. Jahrhunderts erlebte Europa eine Massen-Auswanderungswelle. Viele der Menschen machten sich auf den Weg über den Ozean, um in Amerika ein besseres Leben zu beginnen. Die Zahl der Migranten aus den Böhmischen Ländern in die USA wird auf bis zu 200.000 geschätzt. Dabei gab es auch mehrere Versuche, eine tschechischsprachige Kolonie in den Staaten aufzubauen – allerdings ohne Erfolg.

Tschechen in Chicago im 19. Jahrhunderts  (Foto: Archiv der Nationalen Bibliothek der Tschechischen Republik)
Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo jeder seine Lebensträume verwirklichen und dabei auch Millionär werden kann. So wirkten die Vereinigten Staaten von Amerika auf die Europäer ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die „Neue Welt“ lockte sowohl Männer, die Geld für ihre Familien verdienen und dann zurückkehren wollten, als auch ganze Familien, die ihrer Heimat für immer den Rücken zukehrten. Die Auswanderer mussten nicht immer auf eigene Faust aufbrechen. Schon bald entstanden Reiseagenturen, die sich auf ihre Bedürfnisse spezialisierten. Die Auswanderungsvermittlung wurde zu einem einträglichen Geschäft. Einer der erfolgreichsten Unternehmer in diesem Bereich war Alois Kareš. Jaroslav Kříž, Historiker an der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:

Bremen  (Bremerhaven) in der 1850er Jahre
„Alois Kareš war ein Geschäftsmann aus der ostböhmischen Stadt Vamberk. Anfang der 1850er Jahre erkannte er die große Chance, an der Auswanderung reich zu werden. Er ließ sich als Vertreter einer Agentur aus Bremen anstellen und warb mit seinen Mitarbeitern für den Gang nach Amerika. Sein Bezirk war zunächst Vamberk und Umgebung, wo er Flugblätter und Broschüren verteilte. Bald eröffnete er aber auch Filialen in Prag und Aussig, also in den Städten, die sich damals an der neuen Eisenbahnlinie zwischen Böhmen und Deutschland befanden. Die gute Erreichbarkeit der Häfen im Norden war offensichtlich auch ein Argument dabei. Dank dem imposanten Erfolg war Kareš innerhalb kurzer Zeit in ganzen Böhmen aktiv.“

Die USA bestehen zu einem Großteil aus Europäern,  die im 19. und 20. Jahrhundert geflohen sind
Der ostböhmische Geschäftsmann brauchte natürlich auch gute Kontakte in die USA. Dazu baute er ein Netz von Mitarbeitern in verschiedenen Teilen des Landes auf, diese sollten geeignete Gegenden für die Ansiedlung suchen. Weitere Agenten empfingen die Übersiedler in den amerikanischen Häfen, denn die Neuankömmlinge wussten meist nicht, wie ihre Reise weitergehen sollte.

Klimatische Bedingungen wie zuhause

Generalkonsul Vicente Pérez Rosales
Dabei träumten nicht nur arme Europäer von einer neuen Existenz jenseits des Atlantiks. Auch arrivierte Gewerbetreibende packten ihre Sachen und brachen auf. Manche von ihnen waren sogar finanziell in der Lage, ein Grundstück in Amerika zu erwerben, um dort bereits ein Standbein zu haben. Auch in solchen Fällen war Karešs Agentur behilflich. Wie die Suche nach der neuen Heimat verlief, davon kann man sich aus folgendem Brief ein gewisses Bild machen. 1856 schrieben die beiden Agenten Josef Zábrodský und František Procházka an Alois Kareš. Frei übersetzt stand in dem Schreiben:

„So Gott will, werden wir die uns gestellte Aufgabe auch erfüllen können. Bisher haben wir uns aber nicht entschieden, welches Land wir für die neue Gruppe unserer lieben Landsleute auswählen. Die Regierung der USA ist nicht in der Lage, uns Vorteile zu gewähren, denn viele Immigranten drängen derzeit ins Land. Wir haben aber ein großzügiges Angebot erhalten vom amerikanischen Generalkonsul in Chile, Herrn Rosales, mit dem Sie in Hamburg mehrmals gesprochen hatten. Er will uns gratis Grundstücke und noch andere Vorteilen geben. Das Klima in Chile ist ähnlich dem in unserer alten Heimat, was unsere Kunden natürlich begrüßen würden. Chile liegt jedoch tief in Südamerika, daher wären die Reisekosten sowohl über das Meer als auch auf dem Festland riesig. In Nordamerika liegen aber viele Flächen brach, die sich ein paar Hundert Meilen entfernt von der Küste befinden!“

Chile
Gerade die zusätzlichen Reisekosten waren der Hauptgrund, warum die USA bevorzugt wurden. Mit Chile als Zielland der Emigranten hatte damals auch noch niemand Erfahrung. Später landeten auch dort einige Böhmen, ihre Zahl war aber gering. In den USA wollte Kareš am liebsten eine große Fläche für alle seine Kunden finden. Er dachte unternehmerisch: Die Kommune, in der die Menschen dieselbe Sprache sprachen und dieselben Traditionen pflegten, würde sich wirtschaftlich rasch entwickeln können. Im Hintergrund stand auch der Patriotismus: Der Ort sollte übersetzt etwa „Neu-Böhmen“ heißen.

Habsburgermonarchie
„Der Plan scheiterte vor allem an der amerikanischen Seite. Zwar wurde über die Absteckung einer bestimmten Fläche verhandelt, es kam aber zu keiner Einigung. Der Grund könnte gewesen sein, dass die Tschechen damals keinen eigenen Staat hatten, sie lebten im österreichischen Teil der Habsburgermonarchie. Die Amerikaner hielten die Vertreter der tschechischen Minderheit nicht für gleichwertige Partner. Zudem waren sich die Tschechen auch nicht einig über ihre Ziele. Einige wollten in der Stadt arbeiten, andere träumten von einer eigenen Ranch. Auch die Tschechen, die sich schon in den USA niedergelassen hatten, standen den Plänen dagegen: Für sie war die Vorstellung, wieder umzuziehen und etwas Neues anzufangen, nicht akzeptabel“, so Jaroslav Kříž.

Die österreichische Regierung sah die Auswanderung nicht gern, und die Aktivitäten von Alois Kareš blieben ihr nicht verborgen. Sie ließ daher Kareš und seine Agenten überwachen. Ein Mitarbeiter des Unternehmers war der in den 1850er Jahren populäre Prager Journalist Jan Ohéral, der offen zur Ausreise nach Amerika aufrief. Oheral wurde aber verboten, sich mit Kareš zu treffen. Da ihm Gefängnis angedroht wurde, gab er die Zusammenarbeit auf.

Willkommen in Praha, Texas

Alois Kareš war jedoch nicht der einzige, der sich für eine tschechische Kolonie in Amerika begeisterte. Auch unter den schon etablierten Auswanderern lebte diese Idee über Jahrzehnte weiter. Viele Bemühungen sind heute sicher nicht mehr bekannt, über andere sind nur kurze Nachrichten erhalten. Jaroslav Kříž nennt einige Beispiele:

František Klácel
„Der Schriftsteller František Klácel setzte sich für die Gründung der tschechischen Gemeinde namens Černé Vrchy (Schwarze Hügel, Anm. d. Red.) in Dakota ein. Der Journalist Jan Oliverius schlug als Sitz von ‚Neu-Böhmen‘ den Staat Oregon vor. Überliefert ist auch die Sage von einer tschechischen Kommune eines gewissen Jan Sykora – er beschrieb sie 1875 als eine Vision, die aber nie verwirklicht wurde. Zudem lässt sich der reiche Bauer Antonín Dignovitý erwähnen, der 1888 eine tschechische Kolonie in Texas gründen wollte. Er besaß große Grundstücke in Texas und im Norden von Mexiko, die er dazu zur Verfügung stellen wollte. Er hat darüber einen Zeitungsartikel geschrieben, mehr Informationen gibt es heute aber nicht mehr. Auch dieser Plan wurde also offensichtlich nicht realisiert.“

Praha in Texas  (Foto: Aida,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Die Tschechen lebten in den Vereinigten Staaten eher zerstreut, trotzdem entstanden mehrere kleinere Kommunen. In Texas, wo bis heute die größte Zahl von ihnen lebt, besteht eine Gemeinde namens Praha. Der Ort war zwar unter einem anderen Namen von englischen Zuwanderern gegründet worden, 1854 kaufte aber mit Matthias Novak der erste Tscheche dort ein Grundstück. Bald folgten weitere seiner Landsleute und gaben der Gemeinde den Namen der Hauptstadt Böhmens.

„In zahlreichen Dokumenten über die Besiedlung von Texas habe ich die Information gefunden, dass die Amerikaner kaum Interesse am Leben dort hatten. Der Boden dort war nämlich sehr hart und unfruchtbar. Den Tschechen, aber auch den Deutschen, gelang es jedoch, diesen Boden zu bearbeiten und fruchtbar zu machen. Als die schlauen Einheimischen das Interesse spürten, verkauften sie den Boden sehr teuer an die Neuansiedler. Diese hatten keine Ahnung vom tatsächlichen Preis, deswegen willigten sie ein, wenn sie die Summe bezahlen konnten. Auch wenn das überteuert war, zeugen zahlreiche Beispiele davon, dass sie letztlich kein Verlustgeschäft machten“, erläutert Historiker Jaroslav Kříž.

Antonin Cermak  (Foto: Archiv U.S. Library of Congress,  Public Domain)
Eigentlich galt aber seit dem 19. Jahrhundert Chicago als Zentrum der Tschechen in Amerika. Vor dem Ersten Weltkrieg war es die Stadt mit der drittgrößten Gesamtzahl an Tschechen (rund 100.000) – nach Prag und Wien. Mehrere Stadtviertel waren tschechisch geprägt, die große Minderheit verfügte zum Beispiel über eine eigene Sparkasse und ein eigenes Theater. Insgesamt 40 Zeitungen und Zeitschriften erschienen damals auf Tschechisch. Und 1931 wurde Antonin Cermak, geboren im mittelböhmischen Kladno, zum Bürgermeister von Chicago gewählt. Zwei Jahre später starb der gebürtige Tscheche nach einem Attentat. Bis heute trägt der 19 Meilen lange Cermak Road seinen Namen.