Der Rundfunk im Protektorat IV. - der Reichssender Böhmen

Палатка в районе Кбели у Праги

Im heutigen Kapitel aus der tschechischen Geschichte hören Sie den letzten Teil unserer Sendereihe über den Rundfunk im Protektorat. Diesmal stellt Ihnen Katrin Bock den deutschsprachigen Reichssender Böhmen vor.

Am 18. Mai 1923 begann die Geschichte des tschechoslowakischen Rundfunks. Damals meldete sich das Radiojournal zum ersten Mal im Äther - auf Tschechisch. Doch in der 1918 entstandenen Tschechoslowakei lebten neben knapp 9 Millionen Tschechen und Slowaken auch über drei Millionen Deutsche. Diese forderten schon bald einen eigenen deutschsprachigen Sender. Die Prager Regierung erfüllte den Wunsch erst, als es zu spät war. Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 war die von den Reichssendern ausgestrahlte Propaganda bei den Sudetendeutschen auf offene Ohren gestoßen. Erst 1938 reagierte die Prager Regierung mit der Errichtung des deutschen Senders Melnik, der sich mit folgender Erkennungsmelodie meldete:

Der deutschsprachige Sender konnte die Entwicklungen jedoch nicht aufhalten. Ende September 1938 wurde das Münchner Abkommen unterzeichnet, Anfang Oktober die überwiegend von Deutschen besiedelten Grenzgebiete der Tschechoslowakei an das Deutsche Reich abgetreten. Das vorläufige Ende des Senders Melnik war gekommen. Nach der Errichtung des Protektorats, am 16. März 1939 meldete sich der Sender wieder auf Deutsch. Der amerikanische Historiker Rick Pinard beschäftigt sich seit langem mit der Geschichte des Rundfunks im Protektorat und hat auch über den deutschsprachigen Reichssender Böhmen einiges zu erfahren versucht:

"Zunächst hieß das volksdeutscher Sender Melnik, und dann ab Juni 1939 wurde er in Reichssender Böhmen umbenannt. Der Reichssender Böhmen war dann in etwa wie die anderen Reichssender. Es war wahrscheinlich nicht so gut ausgestattet mit Personal, nach den Entfernungen von vielen der bisherigen Mitarbeiter des Radiojournals."

In einer Ansprache vom 12.Juni 1941 äußerte der damalige Leiter der Sendestelle Brünn seine Meinung über den ehemaligen Sender Melnik:

 Rundfunkgebäude im Mai 1945
"Nur das es taktisch vielleicht unklug war, nach der Errichtung des Protektorats bis zur Namensgebung des neuen Reichssenders die Ansage weiter mit dem verpönten Namen Melnik zu verbinden in der Form, hier ist der Volksdeutsche Sender Melnik. Damals in den ersten Stunden und Minuten nach dem Einmarsch sahen wir unseren Stolz gerade darin, mit frohem Herzen und glücklichen Stimmen es so sagen zu können mit der tieferen Bedeutung: Hört ihr, nun ist Melnik wirklich doch ein deutscher Sender geworden. Erschwerend für die Überwindung dieses alten Vorurteils wiegt ferner die Tatsache, dass der Krieg die Produktion neuer Empfangsgeräte einschränkte, neuer Empfangsgeräte, auf deren Skala schon die Namen Böhmen oder Donau hätten stehen können. Damit blieb eigentlich bei vielen Familien auf den Rundfunkgeräten weiter der ominöse Name Melnik oder Prag II. Und wenn man seinen Empfängerknopf auf den Namen Melnik einstellen soll, dann bekommt halt das Herz einen Ruck und dieser Ruck überträgt sich vom Herzen auf die Hand und man rückt weiter."

Der Reichssender Böhmen umfasste als Sendegebiet den Sudetengau und das Protektoratsgebiet. Über sein Programm konnte Rick Pinard folgendes feststellen:

" Der Reichssender Böhmen hatte nur bis zur Einführung des deutschen Einheitsprogramms im Juni 1940 eine eigene Sendeleistung zu erbringen, sein eigenes Programm zu erstellen. Ich würde sagen, der hat vieles gemacht. Ich weiß, der hat Programme gesendet zu vielen Themen also kulturellen Themen aus dem Sudetenland, aus dem Protektorat wie beispielsweise die Umbenennung der Straßennamen in Prag."

"Die Protektorathauptstadt Prag hat in jüngster Zeit eine Veränderung mancher Straßennamen erfahren. Herr Primatorstellvertreter Professor Dr. Pfitzner, wollen Sie uns bitte sagen, wie die Straßenumbenennung zustande gekommen ist." "Gleich mit der Aufrichtung des Protektorats im Frühjahr 1939 war es für uns eine Selbstverständlichkeit, dass wir aus dem bestehenden Prager Namensanglitze all das ausmerzen, was mit der wahren Vergangenheit und Bestimmung Prags in einem unheilvollen Widerspruche stand."

Rund 60 Mitarbeiter arbeiteten im Reichssender Böhmen, der im ehemaligen Nationalhaus im Prager Vorort Karlin- Karolinental sein Funkhaus hatte. Ausgestrahlt wurde das Programm vom Sender Melnik. Über den Reichssender Böhmen existiert heute nur wenig Archivmaterial, wie Rick Pinard bei seinen Forschungen feststellen musste:

"Also das ist ein sehr schwieriges Unterfangen, über diesen Sender viel herauszubekommen, weil im deutschen Rundfunkarchiv in Frankfurt ist von denen so gut wie nichts erhalten. Und hier in Böhmen ist nach dem Krieg scheinbar deren Archiv vernichtet worden. Also zu den einzelnen Mitarbeitern des Reichssenders Böhmen habe ich bisher fast nichts herausgebracht. Ich weiß von einigen Reichsdeutschen Rundfunkbüchern aus der Zeit, dass etwa vier hauptsächliche Mitarbeiter aus dem Reich hierher transferiert worden sind, aber ansonsten habe ich sehr wenig herausgebracht über sie. Vom Programm her zu urteilen, würde ich sagen, es müssen sehr viele nazistisch eingestellte Sudentendeutsche mit am Werk gewesen sein."

"Eines der wichtigsten und berühmtesten Stücke dieser Ausstellung ist das Brünner Schöffenbuch. 1446 beendet. Dieses Buch war während der 20jährigen Tschechenzeit versteckt gehalten. Man hat es erst im Augenblicke der Befreiung wieder hervorgeholt und dem Führer anlässlich seines Besuchs am 17. März 1939 als Geschenk überreicht."

Der Reichssender Böhmen unterstand als einer der Reichssender direkt dem Propagandaministerium.

"Das war direkt der Reichsrundfunkgesellschaft angegliedert - und der Intendant, das war zunächst ein kommissarischer Intendant namens Hans Günter Marek, der kam vom Deutschlandsender, das war der Vorläufer vom Deutschlandfunk, also in der Nazizeit natürlich. Das ging bis etwa 1942 und dann wurden die Intendanten vom Reichssender Böhmen und vom Tschechischen Rundfunk zusammengelegt in einer Personalunion unter diesem Ferdinand Thürmer."

Nach dieser Zusammenlegung des Reichssenders Böhmen mit dem Tschechischen Rundfunk in die Sendegruppe Böhmen und Mähren meldete sich der Reichssender Böhmen wie folgt im Äther:

"Sendergruppe Böhmen-Mähren mit den Sendern Prag, Brünn und Mährisch-Ostrau."

Wahrscheinlich meldete er sich mit folgender Erkennungsmelodie, die im Prager Rundfunkarchiv erhalten ist:

Zu Beginn der Geschichte des Reichssenders Böhmen steht eine Reportage über den Einzug der Wehrmacht auf dem Prager Wenzelplatz im März 1939. Sein Ende markiert diese im Archiv erhaltene Aufnahme vom Frühjahr 1945:

Rote Armee in Prag
"Der Sender Brünn der Sendergruppe Böhmen-Mähren schaltet sich nunmehr wegen Annäherung feindlicher Flugzeuge ab."

Nicht nur über den deutschsprachigen Reichssender Böhmen ist wenig Archivmaterial erhalten, mit einem ähnlichen Problem kämpft der Historiker Rick Pinard auch, was den tschechischen Rundfunk betrifft:

"Es ist nur ein absolut kleiner Bruchteil erhalten. Es gibt einige hunderte von Sendungen, die auf Band aufgenommen sind, natürlich, die sind zu hören. Aber ansonsten hat sich sehr wenig erhalten. Also wirklich es muss also 99 Prozent dem Papiermangel des Kommunismus zum Opfer gefallen sein, oder jemand hatte ein Interesse daran, die Sachen nicht überleben zu lassen. Oder sie wurden am Anfang vielleicht nicht erhalten, ich weiß es nicht."

Und wie sieht es mit der Forschung aus? Gibt es viele tschechische Historiker, die sich mit der Geschichte des Rundfunks während des Protektorats befassen?

"Hier und da sieht man vielleicht im Internet etwas auf tschechisch von jemand, der sich für Rundfunkgeschichte interessiert, aber ansonsten glaube ich nicht, dass es sehr weit verbreitet ist, also das Interesse daran."

Liegt das daran, dass es nicht gerade eine ruhmvolle Geschichte ist, oder ist sie ruhmvoll in den Grenzen, die möglich waren? "Schwer zu sagen. Das sind so viele Schattierungen von grau. Es gibt einige Fälle, die wirklich heldenhaft waren. Ich glaube, die Tschechen insgesamt haben sehr wenig zur Aufarbeitung ihrer Geschichte gemacht, ihrer Geschichte ab 1938. Vielleicht kommt das noch. Ich mein, die hatten während der Kommunisten-Zeit wenig Möglichkeiten dazu. Aber ich glaube, diese Gesellschaft hat es dringend nötig und man muss das irgendwann lichten."

Mit dieser Feststellung des amerikanischen Historikers Rick Pinard sind wir am Ende unserer Sendereihe über den Rundfunk im Protektorat.