Das „Wunder von Číhošť“ und die Ermordung des Pfarrers Toufar

Josef Toufar (Foto: Tschechisches Fernsehen)

Unter den Persönlichkeiten, die am diesjährigen Staatsfeiertag am 28. Oktober der Staatspräsident Miloš Zeman ausgezeichnet hatte, war auch Josef Toufar. Dieser katholische Priester wurde 1950 von der kommunistischen Staatspolizei (STB) zu Tode gequält, weil er angeblich in seiner Kirche ein „Wunder“ inszeniert haben sollte. Das Ereignis gilt als eine der brutalsten Aktionen des sozialistischen Regimes gegen die katholische Kirche.

Dorfkirche in Číhošť  (Foto: Tomáš Vodňanský,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Es ist der dritte Adventssonntag des Jahres 1949. In der Dorfkirche in Číhošť auf der Böhmisch-Mährischen Höhe wird wie üblich ein Gottesdienst abgehalten. Pfarrer Josef Toufar sagt in seiner Predigt, man wolle sich angemessen auf die Ankunft von Retter Jesus Christus vorbereiten. Über Politik spricht er nicht, aber das Stichwort „Rettung“ lässt sich auch politisch verstehen. Die Lage in der Tschechoslowakei ist in vieler Hinsicht trostlos: Rund anderthalb Jahre zuvor haben die Kommunisten die Macht ergriffen. Seitdem sind Verhaftungen an der Tagesordnung, die Landwirte werden zur Kollektivierung gezwungen, der Konflikt zwischen dem Staat und der Kirche verschärft sich. Viele Gedanken gehen den Menschen durch den Kopf. Priester Toufar ist für sie aber ein glaubwürdiger Mensch, der ihnen in allen Lagen beistehen wird. Nun spricht er von der Erlösung, und mit den Worten „Hier ist unser Retter“ zeigt er auf den Tabernakel, also den Aufbewahrungsort für die Hostien. Er selbst schaut nicht hin, aber einige Gläubige sind erstaunt. Jaroslava Trtíková ist damals 13 Jahre alt. Vor kurzem schilderte sie im Tschechischen Rundfunk ihre Erinnerungen an das Ereignis:

Jaroslava Trtíková  (Foto: TV Nova)
„Ich stand hinter den Bänken und beobachtete den Pfarrer, wie er bei der Predigt gestikulierte. Plötzlich, als er mit der Hand in Richtung des Tabernakels zeigte, konnte ich sehen, wie sich das kleine Kreuz am Tabernakel bewegte – weder schnell noch langsam. Ich war damals oft krank, daher kam es mir wie ein Zeichen vor. Ich werde bald sterben, dachte ich mir. Nach der Messe geschah aber nichts. Ich kam nach Hause mit dem Gefühl, dass es wahrscheinlich eine Täuschung gewesen war. Erst ein paar Tage später schossen die Gerüchte ins Kraut: ‚Habt Ihr gehört? Das kleine Kreuz hat sich während der Messe bewegt, das haben viele gesehen!‘ Die Zahl der Zeugen für das Ereignis stieg immer weiter an. Und ich musste auch bekennen, dass ich das gesehen hatte. Nicht fünfmal, wie andere, aber zweimal sicher.“

Josef Toufar  (Foto: ČT24)
Josef Toufar erfuhr erst am nächsten Tag von dem Ereignis. Als er am Morgen in die Kirche ging, eilte ein örtlicher Schmied zu ihm und erzählte mit zitternder Stimme, was passiert war. Toufar glaubte ihm zunächst nicht, aber nachdem ihm weitere Manschen in diesem Sinne ansprachen, ging er im Dorf herum und fragte, wer noch die Bewegung des Kreuzes gesehen habe. Es fanden sich insgesamt 20 Menschen, deren Aussagen protokolliert wurden. Der Pfarrer meldete dies sogar bei der Polizei, diese fand aber in der Kirche nichts Verdächtiges. Die Geschichte ging jedoch inzwischen von Mund zu Mund. Miloš Doležal ist Publizist und hat ein Buch über das sogenannte „Wunder“ in Číhošť veröffentlicht:

Miloš Doležal im Jahr 2014 | Foto: Tomáš Vodňanský,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
„Die Nachricht hat sich bald in der Gegend herumgesprochen und verursachte großes Aufsehen. Es kamen immer mehr Pilger, zunächst aus der Umgebung, dann aus ganz Böhmen. Das entging natürlich auch nicht den Kommunisten vor Ort. Zunächst waren sie ratlos, sie alarmierten das Kreiskomitee in Jihlava und baten um Instruktionen. Erst Anfang 1950 kam ein erster Agent der Staatspolizei StB dorthin, er war als Pilger verkleidet. Er schrieb einen dringenden Bericht, in dem er vor der großen Gefahr für die kommunistische Politik warnte. Die Staatspolizei nahm dann die Untersuchung auf. Die erste Initiative war aber von den örtlichen Kommunisten ausgegangen, die ständig in Jihlava anriefen und sagten, bei ihnen geschehe etwas, sie bräuchten Hilfe.“

Foto: Archiv Radio Prag
Auch die Kirche war bei der Interpretation der Geschichte ratlos. Sie agierte sehr zurückhaltend, weder Toufar sprach von einem „Wunder“, noch andere Würdenträger. Das Prager Erzbistum wollte eine Kommission einsetzen, um alles zu erläutern, die Staatspolizei verhinderte aber dies. Eines Abends im Januar 1950 wurde Josef Toufar dann in seinem Pfarramt in Číhošť verhaftet. Er wurde ins Gefängnis nach Prag gebracht. Dort forderten die Ermittler ein Bekenntnis des Pfarrers, dass er selbst das Kreuz selbst bewegt habe und damit die Gläubigen gegen die kommunistische Regierung aufhetzen wollte. Miloš Doležal:

„Die Staatspolizei begann Toufar zu verhören, aber auch nach drei Monaten hatte sie nichts Konkretes in der Hand. Toufar bekannte sich nicht, und Beweise gab es keine. Auch andere Menschen aus Číhošť wurden verhört, ebenfalls erfolglos. Dann kam aus den obersten politischen Stellen der Befehl, den Fall schnell abzuschließen und den Pfarrer mit allen Mitteln zum Geständnis zu zwingen. Das Regime beschloss, einen Prozess gegen ihn zu inszenieren. Damit wollte man der Öffentlichkeit demonstrieren, wie schäbig die Katholiken seien.“

Foto: Offizielle Webseite - Číhošťský zázrak / Regionlist
Bestandteil dieses Prozesses sollte auch ein „dokumentarischer“ Film sein, in dem Toufar selbst zeigen würde, wie er das Kreuz in Bewegung gesetzt hatte. Nach dem Glauben der Anklage sollte er einen komplizierten Mechanismus konstruiert und während der Messe an Schnürchen gezogen haben. Die Ermittlungen liefen aber nicht nach Plan. Trotz der brutalen Schläge lehnte es Toufar weiter ab, das geforderte Bekenntnis zu liefern. Bei den Filmaufnahmen in der Kirche von Číhošť war der Pfarrer bereits so geschwächt, dass er nicht mehr auf den eigenen Beinen stehen konnte. Ein Polizist streifte sich daher Toufars Priestergewand über und spielte den Pfarrer. Ein paar Tage später, am 25. Februar 1950, unterlag Josef Toufar den Misshandlungen. Sein Körper wurde in ein Massengrab auf einem Prager Friedhof geworfen, wo auch andere Opfer des kommunistischen Regimes verscharrt wurden. Zum Gerichtsprozess kam es also nicht, aber der Film lief trotzdem in allen Kinos der Tschechoslowakei. Nur in Číhošť und Umgebung konnte er nicht gezeigt werden. Die Menschen hätten gesehen, dass der Priester im Film nicht Toufar war.

Ladislav Mácha  (Foto: ČT24)
Das Scheitern des Plans verstimmte die kommunistischen Spitzen. Chefermittler Ladislav Mácha wurde entlassen und kam später wegen einer anderen Sache für zwei Jahre in Haft. Miloš Doležal hat mit ihm bei der Recherche zu seinem Buch gesprochen:

„Als ich ihn fragte, ob er etwas in seinem Leben bedauern würde, antwortete er anmaßend: ´Vielleicht nur, dass ich zu viel im Büro gearbeitet habe.‘ Und dann fügte er hinzu: ‚Ich hätte jene, gegen die ich ermittelt habe, noch mehr schlagen sollen.‘ Mácha hat die kommunistische Ideologie wirklich gelebt, er hat mit Leib und Seele den Klassenkampf ausgefochten. Er und andere Kommunisten waren Atheisten, für die es keine Metaphysik gab. Für sie war nur eine Erklärung möglich gewesen: Toufar musste das Kreuz selbst bewegt haben. Der Pfarrer widersprach aber und machte nicht mit. Das brachte die Ermittler zur Weißglut. Sie haben ihn von morgens bis abends geschlagen.“

Foto: ČT24
Bleibt noch die Frage, wodurch die Bewegung des kleinen Kreuzes tatsächlich entstanden ist. Hat wirklich Pfarrer Toufar selbst etwas gemacht, um seine Worte mit einer übersinnlichen Erscheinung zu unterstreichen? Handelte es sich vielleicht um eine Provokation der Staatspolizei, um den beliebten Pfarrer beseitigen zu können? Oder unterlagen die Dorfbewohner sogar einer kollektiven Suggestion? Der Fall wurde schon 1968 untersucht, also zur Zeit des „Prager Frühlings“. Journalisten befragten damals die Zeugen noch einmal ausführlich, und die Justiz versuchte Toufars Mörder vor Gericht stellen. Die Frage, was eigentlich damals in Číhošť wirklich geschah, blieb aber offen. Miloš Doležal hat dennoch eine Antwort:

Číhošť  (Foto: Prazak,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
„Ich dachte viele Jahre lang, dass es sich um eine Provokation der StB gehandelt haben müsse. Dafür sprachen viele Indizien. Aber im vergangenen Jahr, als ich erneut und gründlich das Leben von Josef Toufar erforschte, mit etwa zehn noch lebenden Zeitzeugen sprach und auch die Protokolle der Staatspolizei las, kam ich zum Schluss, dass es eine wirklich unerklärliche Erscheinung gewesen sein muss. Die Techniker der StB bekannten nämlich, dass es ihnen nicht gelungen sei, eine sinnvolle Mechanik für die Bewegung des Kreuzes zu erfinden. Man sollte daran denken, dass die Kirche in Číhošť sehr klein ist, man sieht dort dem Pfarrer wortwörtlich auf die Hände. Wenn jemand an einigen Schnürchen zieht, wäre das sofort zu erkennen. Erst in ihrer Werkstatt in Prag konstruierten die Techniker eine Vorrichtung, die im Film einigermaßen funktionierte.“

Die katholische Kirche möchte Josef Toufar heiligsprechen. Daher wurden seine Überreste exhumiert, um sie identifizieren zu können. Vor allem ist aber geplant, den Pfarrer endlich in Würde zu begraben.

Autor: Jakub Šiška
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