Das Attentat auf den „Henker von Prag“

Es ist das einzige erfolgreiche Attentat auf einen hochgestellten NS-Politiker. Vor 75 Jahren wurde Reinhard Heydrich in Prag schwer verletzt. Einige Tage später starb er in einem Krankenhaus der Stadt. Wie das Attentat vorbereitet wurde und welche Folgen es hatte, dazu mehr in einem weiteren Kapitel aus der tschechischen Geschichte.

Reinhard Heydrich  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 146-1969-054-16 / Hoffmann,  Heinrich / CC-BY-SA 3.0)
„Amtlich wird mitgeteilt: Am Tage der Beisetzung des gefallenen stellvertretenden Reichsprotektors, SS-Obergruppenführer Heydrich, Dienstag, 9. Juni 1942, ist für das Gebiet Böhmen und Mähren allgemeine Trauerbeflaggung angeordnet.“

So hieß es in einer damaligen Radioansage des nationalsozialistischen „Senders Böhmen“. Reinhard Heydrich war am 27. Mai 1942 von tschechischen Widerstandskämpfern angegriffen worden und erlag am 4. Juni seinen Verletzungen.

Heydrich ruft Standrecht aus

Genau acht Monate vorher trifft Heydrich in Prag ein. Er übernimmt praktisch die Funktion des eigentlichen Reichsprotektors Konstantin von Neurath. Das heißt, er bestimmt über die politischen Geschicke in Böhmen und Mähren. Zwar ist in Prag auch noch eine tschechische Regierung im Amt sowie Staatspräsident Emil Hácha – doch die Vorgaben kommen aus Berlin.

Reinhard Heydrich sieht seine Aufgabe darin, die tschechische Bevölkerung gefügig zu machen. Den Widerstand zu bekämpfen. „Ruhe im Raum“ ist seine Losung, und das versucht er mit drastischen Mittel zu erreichen. Er ruft das Standrecht aus, über 5000 Menschen werden verhaftet und Hunderte Todesurteile vollstreckt. Heydrich ist sofort verhasst, nun heißt er der „Henker von Prag“.

Jan Kubiš und Jozef Gabčík
Dies bleibt auch der tschechoslowakischen Exilregierung in London nicht verborgen. Schon Anfang Oktober 1941 beschließt ihr militärischer Abschirmdienst, auf die nationalsozialistische Führung in Prag ein Attentat zu verüben. Damit betraut werden die Fallschirmspringer Jozef Gabčík und Karel Svoboda. Als sich Svoboda aber bei einem Absprung verletzt, wird er durch Jan Kubiš ersetzt.

Dennoch dauert es Wochen, bis die Aktion mit dem Namen „Anthropoid“ auch wirklich anläuft. Zunächst erfolgt eine Spezialausbildung bei den britischen Sondereinsatzgruppen in Schottland. Vojtěch Šustek leitet das Prager Stadtarchiv und ist Fachmann für die Ära Heydrich im Protektorat:

„Die tschechoslowakische Auslandsarmee in Großbritannien war verständlicherweise beim Material von den Briten abhängig. Und diese stellten erst zum Jahreswechsel 1941/42 ein Flugzeug für die Fallschirmspringer bereit. In dem Flugzeug flogen neben der Gruppe ‚Anthropoid‘ noch zwei weitere Fallschirmspringergruppen mit. Dazu kam, dass man die Windbedingungen berücksichtigen musste, und die Nächte mussten ausreichend lang sein. Also sprang die ‚Anthropoid‘-Gruppe erst in der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember in der Nähe von Prag ab. Beide Fallschirmspringer verkündeten ihrem Vorgesetzten noch im Flugzeug, sie seien bereit, Heydrich zu töten, auch wenn sie dabei selbst ums Leben kommen würden.“

Sicherheitsdienst glaubt den Warnungen nicht

Eigentlich soll der Absprung 100 Kilometer weiter westlich, in der Nähe von Plzeň / Pilsen stattfinden. Die Widerstandskämpfer müssen also dorthin zurück, um ihre Kontaktpersonen zu finden. Die kommen aus den Kreisen des tschechischen Turnerbundes Sokol (Der Falke). Allerdings erhalten die NS-Behörden gewisse Warnungen:

„Heydrich war so verhasst, dass er ständig anonyme Drohbriefe bekam. Und der Sicherheitsdienst fing im April 1942 sogar bestimmte Nachrichten ab, die als Trugbild und Unsinn bezeichnet wurden. Es hieß, die Tschechen würden sich erzählen, dass SS-Obergruppenführer Heydrich ermordet würde. Der Sicherheitsdienst hielt das wohl für dummes Geschwätz und nahm die Meldungen nicht ernst“, so Vojtěch Šustek.

Panenské Břežany  (Foto: ČT240
Doch Heydrich hätte durchaus klar sein müssen, dass die Lage für ihn gefährlich ist:

„Die Gestapo bekam den Absprung einiger Fallschirmspringer mit und nahm auch einige von ihnen fest. Dabei konfiszierte sie Maschinenpistolen und Bomben. Sie warnte dann sogar Heydrich, dass sogenannte Fallschirmagenten im Land seien. Das heißt, der Chef der Prager Gestapo schrieb einen Brief an das Amt von Heydrich mit der dringenden Aufforderung, auf dessen Sicherheit zu achten. Deswegen wurden in Panenské Břežany nahe Prag, wohin Heydrich an Ostern 1942 gezogen war, die Sicherheitsmaßnahmen sehr intensiviert.“

Gemeinsamer Angriff entgegen dem Plan

Dennoch können die Widerstandskämpfer am Morgen des 27. Mai zuschlagen. Jozef Gabčík und Jan Kubiš warten an einer Straßenbahnhaltestelle im Prager Stadtteil Libeň. Dort muss der Wagen von Heydrich abbremsen, um durch eine abschüssige Rechtskurve zu fahren. Weiter oben steht mit Josef Valčík ein dritter Widerstandskämpfer. Er gibt mit einem Taschenspiegel ein Zeichen, als das Auto heranfährt. In dem Mercedes Cabrio sitzt außer dem stellvertretenden Reichsprotektor nur noch sein Fahrer Johannes Klein. Geschichtswissenschaftler haben erst vor zwei Jahren den genauen Verlauf des Anschlags rekonstruiert. Sie widersprechen der früheren These, dass zunächst nur Jozef Gabčík angreift. Militärhistoriker Eduard Stehlík:

Foto: Bundesarchiv,  Bild 146-1972-039-44,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0
„Beide greifen zur selben Zeit an. Jozef Gabčík versucht mit einer Maschinenpistole zu schießen, doch der Schuss bleibt stecken. Im selben Moment wirft Jan Kubiš eine Handgranate, obwohl der eigentliche Plan gewesen war, zunächst die Granate zu werfen und dann aus der Maschinenpistole zu feuern. Das Auto fährt noch ein Stück, bevor es wegen seines Schadens stehenbleibt.“

Gabčík, Kubiš und Valčík können fliehen. Die Handgranate hat zwar nur das rechte Hinterrad des Wagens getroffen. Doch Splitter haben Heydrich verletzt, er bricht über der Kühlerhaube zusammen. Nach tagelangem Todeskampf stirbt der NS-Funktionär, der auch den Massenmord an den europäischen Juden maßgeblich organisiert hat, am 4. Juni.

Warum ließ sich Heydrich aber entgegen der Warnungen so schutzlos durch Prag fahren? Vojtěch Šustek erklärt dies nicht mit dessen Sorglosigkeit, sondern im Gegenteil mit dessen paranoidem Misstrauen. Und zwar gegenüber dem Gestapo-Kommissar Paul Schumm, der den Personenschutz befehligte. Als dieser nach dem Krieg verhaftet wird, gibt er den tschechischen Ermittlern zu Protokoll, dass Heydrich ihn der Spionage für den abgesetzten Reichsprotektor Konstantin von Neurath verdächtigte:

Konstantin von Neurath
„Heydrich vertraute weder Schumm noch der Polizei im Protektorat, bei der Deutsche und Tschechen dienten. Deswegen verbot er den Polizisten, ihn bei den Fahrten nach Prag zu bewachen. So kam es zu einem Provisorium, bei dem die Sicherheitsvorschriften nicht eingehalten wurden. Das heißt, aus Schlendrian hatte Heydrich an einem Tag einen Begleitschutz, am anderen nicht. Das wussten Gabčík und Kubiš natürlich aus eigenen Beobachtungen und weil sie einen Mann in der technischen Verwaltung der Prager Burg hatten. Der gab ihnen die Informationen, wann Heydrich mit und wann ohne Begleitschutz fuhr. Wegen ihrer genauen Beobachtungen kamen sie beim Attentat bis auf anderthalb Meter an Heydrich heran.“

Minister droht eigenen Landsleuten

Der Anschlag bringt die NS-Führung im Protektorat auf. Sie leitet Razzien ein und verhängt erneut das Standrecht. Doch die Attentäter sind untergetaucht.

In der tschechischen Regierung ist der Minister für Schulwesen und Volksaufklärung, Emanuel Moravec, der hitlertreuste Politiker. Am 31. Mai hält er eine Rundfunkansprache, in der er seinen eigenen Landsleuten droht:

„Im Namen der Regierung und aller Tschechen, die hinter dem Deutschen Reich stehen, werde ich ohne Rücksicht gegen alle Angehörigen des tschechischen Volkes kämpfen, die nicht ihrer gesetzmäßigen Regierung und ihrem Staatspräsidenten gehorchen. Die tschechische Regierung wird dem Reich bei der Auslöschung feindlicher Elemente auf unserem Boden alle Mittel zur Verfügung stellen, um den Kampf gegen die fünfte Kolonne bei uns so zu beenden, wie es die Ruhe und die Arbeit für das Reich erfordern.“

Lidice
Was folgt, ist eine massive Terrorwelle im Protektorat. Täglich werden Menschen verhaftet und erschossen. Dafür genügt wenig. Es reicht der Verdacht, dass jemand das Attentat auf Heydrich gutgeheißen hat. Oder dass er polizeilich nicht gemeldet ist. Um die Bevölkerung einzuschüchtern, werden die Todesurteile im Radio verlesen.

3000 Menschen werden verhaftet und 1300 hingerichtet. „Heydrichiade“ hat sich im Tschechischen später als Begriff für diese Zeit eingebürgert. Zum traurigen Symbol wird der Überfall der Nazis auf das Dorf Lidice bei Prag am 10. Juni. Alle männlichen Einwohner über 16 Jahre werden erschossen, die Frauen ins Konzentrationslager gebracht und die Kinder verschleppt. Sie sterben meist in den Gaskammern von Chelmo. Die Häuser von Lidice werden niedergebrannt.

Karl-Borromäus-Kirche
Letztlich werden die drei Attentäter verraten. Sie haben sich mit vier weiteren Fallschirmspringern in der Karl-Borromäus-Kirche nahe des Prager Karlsplatzes versteckt. Gestapo und SS umstellen die Kirche am 18. Juni. Es kommt zu Gefechten, doch die Widerstandskämpfer haben keine Chance zur Flucht. Als die Verfolger in die Krypta eindringen, haben sich die Eingeschlossenen bereits selbst erschossen.

Autor: Till Janzer
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