Buch für die Heimat: Deutscher veröffentlicht eine Stadtgeschichte von Kaplice

Kaplice (Foto: Miloš Hlávka, CC BY-SA 3.0)

Das südböhmische Kaplice bekommt bald ein Geschenk: ein Buch, das die Geschichte der Kleinstadt erstmals auf Tschechisch zusammenfasst. Das Buch allerdings hat ein ehemaliger deutscher Kaplitzer geschrieben, dessen Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit ihm die Stadt verlassen mussten. Aber er konnte viele Ereignisse zusammentragen, die den meisten jetzigen Bewohnern der Stadt unbekannt sind.

Kaplice liegt zwischen Česke Budějovice / Budweis und Linz, etwa 10 Kilometer von der tschechisch-österreichischen Grenze entfernt. Die Stadt und ihre Umgebung waren bis 1945zu etwa 90 Prozent deutschsprachig besiedelt; diese ursprünglichen Einwohner mussten aber nach den Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen. Als Neuansiedler kamen neben Tschechen aus dem Inland auch Slowaken aus Rumänien – diese hatten sich ursprünglich in der Slowakei ansiedeln wollen und wurden amtlich nach Südböhmen „verwiesen“. Diese Menschen fanden nur schwer und sehr langsam eine positive Einstellung zu der Region, von der „deutschen Geschichte“ der Stadt wollten sie lange nichts hören. Dieser Bruch in der Geschichte von Kaplice ist bis heute noch zu spüren, sagt Bürgermeister Pavel Talíř:

„Die Einstellung der Kaplitzer zu ihrer Stadt ist zweigeteilt. Wenn man das Vorkriegs-Kaplitz erwähnt, provoziert man bei gewissen Bürgern großes Missfallen, weil es doch um Deutsche gehe. Anderseits gibt es auch diejenigen, denen die Vergangenheit, aber meistens auch die Gegenwart der Stadt absolut egal ist. Ich selbst gehöre zu der kleinen Gruppe der Einheimischen, die tschechisch-deutsche Wurzeln haben. Mich interessiert sowohl die alte, als auch die neue Geschichte nach dem Krieg, die das Leben hier geprägt hat. Daher habe ich die Initiative für eine Übersetzung des Buches von Herbert Sailer begrüßt. Der Leser erfährt dort, wie sich die Stadt entwickelt hat, wie unsere Vorfahren gelebt haben, welche bedeutende Persönlichkeiten hier tätig waren und welche wichtige Ereignisse sich hier abgespielt haben.“

Prominente Familie im Ort

Herbert Sailers Buch heißt im Original „Kaplitz – Geschichte eines Städtchens im Böhmerwald“. Die erste Auflage erschien 1997 im Selbstverlag. Sailer schrieb das Buch für seine vertriebenen Landsleute, damit diese eine Erinnerung an ihre ursprüngliche Heimatstadt haben. Er ist dazu besonders berufen, denn seine Familie gehörte zu den prominenten Kaplitzern der Vorkriegszeit. Herbert war der jüngste unter vier Brüdern.

Edvard Beneš in Kaplice  (Foto: Archiv der Stadt Kaplice)
„Mein Vater ist nach den Ersten Weltkrieg Lehrer geworden. Als er als Leutnant aus dem Krieg heimgekommen war, wusste er nicht wohin. In Budweis hat er die Lehreranstalt abgeschlossen. 1925 hat er eine Prüfung mit Auszeichnung für die Bürgerschule gemacht, wurde dann nach Kaplitz versetzt und schon 1927 wurde er zum Direktor der dortigen Bürgerschule ernannt. Ich bin als jüngste seiner Kinder aufgewachsen. Ab der dritten Klasse der Volksschule wurde tschechisch unterrichtet. Dieses dritte Jahr habe ich noch mitgekriegt. Ich kenne nur die Ausspracheregeln und kann bis zehn zählen. Auch „Ty jsi osel“ oder sowas ist mir in Erinnerung geblieben.“

„Ty jsi osel“, das bedeutet auf Deutsch „Du bist ein Esel“. Die Schuldirektorenstelle seines Vaters war wahrscheinlich der Grund, warum 1937 dem damals siebenjährigen Herbert eine besondere Aufgabe zufiel. In diesem Jahr unternahm der tschechoslowakische Staatspräsident Edvard Beneš eine Reise durch Südböhmen und kam dabei auch nach Kaplice. Wie in der Stadtchronik steht, fand am Ringplatz der feierliche Empfang statt. Auf der Ehrentribüne vor dem Brauhaus wurde der Präsident durch Bürgermeister Dechant Franz Schützner begrüßt. Dann sagten die Schulkinder Herbert Sailer und František Stejskal jeweils in ihrer Muttersprache ihre Sprüchlein auf. Der Text des Sprüchleins lautete:

„Hoch verehrter, lieber Herr Staatspräsident! Herzlich begrüßen wir Kinder unseren lieben Herrn Staatspräsidenten in unserer Heimat. Aus aufrichtigen Kinderherzen wünschen wir, es möge unserem Herrn Staatspräsidenten stets wohlergehen. Wir Kinder versprechen dem verehrten Herrn Präsidenten, stets brav und fleißig zu sein, damit aus uns tüchtige Bürger unseres Staates werden!“

Einzigartiges Schulprojekt in der k.u.k. Monarchie

Kaplice  (Foto: Miloš Hlávka,  CC BY-SA 3.0)
Nicht nur dieses Ereignis beschreibt Herbert Sailer ausführlich in seinem Buch. Er hat sich auch bemüht, alle zur Verfügung stehenden Quellen zur Kaplitzer Geschichte zu untersuchen und übersichtlich zusammenzufassen. Der Leser erfährt zum Beispiel, dass Ferdinand Kindermann in Kaplitz als Priester tätig war. 1772 gründete er dort eine Schule, die in der ganzen k. u. k. Monarchie einzigartig war: Kindermann arbeitete selbst einen festen Lehrplan aus. Neben Lesen, Schreiben und Rechnen wurden auch Grundlagen in Geschichte, Geographie, Naturkunde und Musik unterrichtet. Jungen und Mädchen saßen gemeinsam auf den Schulbänken. Eine wahre Neuheit waren die Praktika im Schulgarten, bei denen die Kinder moderne Erkenntnisse aus der Landwirtschaft erhielten. Das Konzept war so erfolgreich, dass Kindermann von Kaiserin Maria Theresia beauftragt wurde, das Schulwesen in der ganzen Monarchie zu reformieren. Übrigens wurde neben Deutsch auch Tschechisch unterrichtet, das ja die Muttersprache vieler Kinder vor allem aus den umliegenden Dörfern war.

Die interessantesten Kapitel betreffen jedoch das Geschehen im 20. Jahrhundert. Obwohl Herbert Sailer streng die sachliche Linie hält, verschweigt er nicht, dass er die Ereignisse aus deutscher Sicht interpretiert. So schreibt er zum Beispiel über die Lage nach dem Zerfall der Monarchie und der Gründung der Tschechoslowakei 1918.

„Schwer belastet wurde das deutsch-tschechische Verhältnis durch die Vorgänge vom 4. März 1919. Da den Deutschen nicht erlaubt wurde, sich an den Wahlen zum deutsch-österreichischen Nationalrat zu beteiligen, riefen die Sozialdemokraten zum Generalstreik auf. In allen Bezirksstädten demonstrierten die Deutschen für das Selbstbestimmungsrecht. Tschechisches Militär löste die Versammlungen auf. Auch in Kaplitz musste sich die Bevölkerung auf die neuen Verhältnisse einstellen. Die Tschechen waren nun die Herren und zeigten dies auch. In der Nacht vom 3. zum 4. Mai 1919 stürzten tschechische Soldaten der Garnison das Standbild Kaiser Josefs II. von seinem Sockel. Dabei ging es zum Teil in Trümmer.“

Relativ gute Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen

Trotzdem beurteilt Herbert Sailer die Beziehungen zwischen den beiden Nationalitäten in der Zwischenkriegszeit als relativ gut. Er hebt zum Beispiel die Rolle des Kaplitzer Dechanten Franz Schützner hervor, der 1937 und 1938 auch Bürgermeister der Stadt war. Dieser Mann habe sein Bestes gegeben, um die Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen zu mildern. Die Entwicklung in Hitler-Deutschland beeinflusste jedoch auch die Stimmung in diesem südböhmischen Städtchen. Während sich die Tschechen immer mehr vor der Aggression des Dritten Reiches fürchteten, nahm die Begeisterung der örtlichen Deutschen für das Nazi-Regime zu. Sie hätten vor allem die wirtschaftlichen Erfolge im Nachbarland bewundert, sagt Herbert Sailer:

„Ich erinnere mich an einen Nachbarn aus der Langen Gasse, wo auch wir gewohnt haben. Er hatte Arbeit irgendwo in Deutschland oder Österreich und erzählte mit Begeisterung, wie gut er verdiene und wie alles aufwärts gehe. Die Beamten, und auch mein Vater als Lehrer, hätten eine Loyalitätserklärung für die Tschechoslowakei unterschreiben müssen. Das wollte er aber nicht mehr. Er war Deutscher. Der alte Traum aus der nachnapoleonischen Zeit, ein einheitliches Deutschland, schien sich plötzlich zu erfüllen. Aber die erste Enttäuschung war der deutsche Einmarsch in die Tschechoslowakei im März 1939. Das hat keiner verstanden. Beim Kriegsausbruch war auch kaum einer noch begeistert.“

Es ist symbolhaft, dass ein Österreicher die Übersetzung von Sailers Buch ins Tschechische angeregt hat. Es ist der in Kaplice lebende Fremdsprachenlehrer Bernhard Riepl, der sich seit Jahren für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit engagiert. Die Übersetzung erledigen nun in einem Gemeinschaftsprojekt zahlreiche Tschechen, die sich für die Geschichte ihrer Heimat interessieren. Wenn alles klappt, wird die fertige zweisprachige Version mit Unterstützung der Stadt Kaplice und zusammen mit dem Autor im Jahr 2016 präsentiert werden können.