Antonín Železný: Der Widerstandskämpfer, der den Nazis zu wichtig war

Antonín Železný (Foto: Archiv von Eduard Železný)

In seiner Fabrik wurden Komponenten für die V1- und V2-Raketen hergestellt. Trotzdem war der Unternehmer Antonín Železný im Widerstand gegen die Nazis aktiv. Die Geschichte eines Mannes, der den ganzen Krieg ein doppeltes Spiel spielen musste.

Antonín Železný  (Foto: Archiv von Eduard Železný)
Anfangs gleicht das Leben von Antonín Železný dem amerikanischen Traum. 1914 kommt er mit 11 Jahren aus dem Dorf Žihobce / Schihobetz am Fuß des Böhmerwaldes an das Gymnasium nach Prag. Er ist mittellos. Das befreite ihn nicht nur von der Schulgebühr, sondern garantierte ihm auch kostenlose Mittagessen, Schulsachen und einmal im Jahr neue Kleider. Der Junge scheint klug und zielstrebig. Nach dem Ersten Weltkrieg geht er nach Wien und Paris und studiert dort Flugzeugtechnik. Die Hochschule für Aeronautik in der französischen Hauptstadt ist damals die einzige iherer Art in Europa. Dadurch erwirbt Antonín Železný viele Kontakte zu Menschen, die später bedeutende militärische und politische Posten besetzen. Nach der Rückkehr in die Tschechoslowakei wird der junge Mann Kampfpilot und unterrichtet an der Militärschule in Olomouc / Olmütz. Die nächste Station in seinem Leben ist ein Führungsposten in der Flugzeugfabrik Walter in Prag. 1936 wird er jedoch von seinem Schwiegervater gebeten, dessen marode kleine Maschinenfabrik im südböhmischen Städtchen Velešín / Weleschin zu übernehmen. Eduard Železný ist der Sohn des Unternehmers:

„Mein Vater ist dorthin gegangen und hat das in Ordnung gebracht. Das heißt, er hat die Schulden und Kredite bezahlt. Zudem hat er angefangen, dort Flugzeugteile zu produzieren. Dafür musste er neue qualifizierte Techniker und Arbeiter anstellen. Während 1936 in der Fabrik 50 Leute arbeiteten, waren es 1938 schon etwa 600. Bei der Verstaatlichung 1945 bereits 2000.“

Teurer Erfolg

Junkers 88  (Foto: Bundesarchiv,  Bild 101I-417-1766-03A / Ellerbrock / CC-BY-SA 3.0
Die Blüte des Betriebs während des Zweiten Weltkriegs war aber nicht umsonst. Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei durch Hitler-Deutschland und der Ausrufung des Protektorats Böhmen und Mähren 1939 wurde die Firma von Antonín Železný zu einem strategischen Kriegsbetrieb. Zur Konfiskation kam es nicht, als Aufsichtsrats-Vorsitzender wurde aber ein Oberst der Wehrmacht eingesetzt. Zur technischen Überwachung kamen zwei ehemalige deutsche Piloten nach Velešín. Es wurde eine neue Halle gebaut und in der Schweiz wurden die modernsten Maschinen gekauft. Zum Produktionsprogramm gehörten vor allem Schaltanlagen für das Militärflugzeug Junkers 88 und die Komponenten für die Raketen vom Typ V1 und V2. Zugleich aber pflegte der Fabrikant Kontakte mit der tschechoslowakischen Exilregierung in London. Von ihr sei er gebeten worden, Einzelheiten über das geheime deutsche Raketenprogramm in Erfahrung zu bringen, erzählt Eduard Železný.

Wernher von Braun  (Mitte). Foto: Bundesarchiv,  Bild 146-1978-Anh.030-02 / CC-BY-SA 3.0
„Deswegen hat sich mein Vater ein Problem ausgedacht und ein Treffen mit dem Konstrukteur Wernher von Braun ausgehandelt. Er ist mit dem Zug bis nach Peenemünde gefahren, wo schon zwei SS-Männer auf ihn gewartet haben. Sie haben ihm die Augen verbunden und ihn bis in Büro von Wernher von Braun gebracht. Dort haben sie ihm den Schal abgenommen. Dann hat mein Vater mit von Braun gesprochen und ist nach Hause gefahren. Nach ein paar Monaten hat er weitere Probleme erfunden und musste nochmals hinfahren. Diesmal ist er aber mit dem Auto und offenen Augen durch ganz Peenemünde gefahren. Er hat vieles gesehen und einen Bericht darüber geschickt.“

Die Übergabe der Berichte soll durch zwei Kanäle erfolgt sein. Der eine sei ein Güterzug gewesen, der Kaolingestein aus Böhmen nach Jugoslawien transportierte. An der Endstation warteten zwei britische Agenten, um die Sendung zu übernehmen. Der zweite Weg lief durch ein Tabakgeschäft in Prag, dessen Inhaber Mitglied einer Widerstandgruppe war.

Aktion in der Grauzone

Velešín
Eine weitere Aktivität von Antonín Železný war die finanzielle Unterstützung von Familien, bei denen jemand verhaftet oder hingerichtet wurde. Laut Železný junior seien es insgesamt 5 Millionen Kronen gewesen, die sein Vater aus der Firma herausgezogen hätte. Alles geschah dank dreier zuverlässiger Angestellten, die die Manipulationen in der Buchhaltung maskierten. Obwohl die Gestapo ihre Agenten in der Firma hatte, konnte sie nichts entdecken. Nur einmal war es wirklich ernst: 1944 verbreiteten sich Gerüchte, in den Wäldern um Velešín befänden sich zwei geflüchtete russische Soldaten. Der Fabrikant schickte seine Leute, um die Russen zu finden und ihnen etwas zu Essen zu bringen. Es war aber ein Problem, die Lebensmittel zu besorgen. Alles sei rationiert gewesen und die Verteilung sei streng kontrolliert worden, erinnert sich Eduard Železný:

Hermann Göring  (Foto: Public Domain)
„Der Chef der Kantine und der Chauffeur meines Vaters sind mit dem Auto durch verschiedene Dörfer gefahren und haben schwarz eingekauft. Sie haben die Lebensmittel dann in die Kantine gebracht und vorbereitet. Auf den Straßen gab es aber so genannte Wirtschaftskontrollen. Für einen solchen Fall hatten zwei Leute den Hinweis zu sagen, sie bringen die Lebensmittel für die Familie meines Vaters. Leider ist das tatsächlich geschehen und ihre Geschichte ist nicht aufgegangen. Sie wurden entlassen und mein Vater angeklagt.“

Antonín Železný wurde zu einem Jahr im Konzentrationslager verurteilt. Aber die zwei Beobachter, die mit der Kontrolle der Herstellung in Velešín beauftragt waren, sollen sich auf die Reise nach Berlin zum Hauptbefehlshaber der Luftwaffe Hermann Göring gemacht haben. Dort sagten sie, ohne Železný seien sie nicht in der Lage, die Qualität der Produktion weiter zu garantieren. Das Urteil gegen Železný wurde zwar nicht aufgehoben, aber die Deportation ins KZ wurde aufgeschoben, bis Deutschland den Krieg gewinnt. So wurde der Unternehmer freigelassen und konnte mit beiden Männern nach Hause fahren. Wie er sich selbst später erinnert haben soll, ließen die Männer ein Abteil in einem überfüllten Zug freimachen mit der Begründung, sie würden einen Protektoratsminister begleiten und für seine Sicherheit haften.

Verdeckter Berater der Kommunisten

Alte Fabrikhalle in Velesin  (Foto: Jvk,  CC BY-SA 3.0)
Obwohl der Velešíner Fabrikant formell für die Nazis arbeiten musste, galt er unter den hiesigen Menschen nicht als Kollaborateur. Im Gegenteil: Gleich nach dem Krieg wurde er zum Vorsitzenden des örtlichen Nationalausschusses gewählt, wie man damals das Gemeindeamt nannte. Doch am 24. Oktober 1945 wurde der Betrieb durch eines der so genannten Beneš Dekrete verstaatlicht, wie alle Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten. Dies hat aber nicht nur in Velešín ein wirtschaftliches Chaos zur Folge gehabt.



Bohumil Laušman  (Foto: Archiv des Regierungsamtes der Tschechischen Republik)
„Die Führung ist oft in sehr ungeschickte Hände gekommen. Deswegen sind die ehemaligen Fabrikanten und Chefs in den Firmen als Direktoren geblieben. Mein Vater wurde durch einen sozialdemokratischen Abgeordneten in Velešín zum Industrieminister Bohumil Laušman gebracht und wurde sein Berater. Dieser wiederum brachte ihn zum damaligen Ministerpräsident Antonín Zápotocký, und mehrere Jahre war er dessen Berater im Hintergrund. Er wollte die Dummheiten der Kommunisten ein bisschen beseitigen, damit alle Firmen nicht komplett zugrunde gehen.“

Zur Erklärung: Berater im Hintergrund bedeutete, dass es für den kommunistischen Regierungschef Zápotocký unmöglich war, einen ehemaligen Kapitalisten offiziell anzustellen. Železný durfte ihn daher nur privat treffen. Dies erfolgte zunächst in der Wohnung von Zápotockýs Hauptsekretär. Nachdem dieser aber unter ungeklärten Umständen erschossen wurde, trafen sich beide Männer in einer Konspirationswohnung der Staatssicherheit. So ging es bis 1953, bis Zápotocký Staatspräsident wurde. Danach arbeitete Antonín Železný in der Autoindustrie. Er starb 1969.