Über das Woanders-Hingehen

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Wochenende in Deutschland, ein kleine Stadt, irgendwo. Abends mit Freunden in der Kneipe, im „Avocado“: nicht zu laut, das Licht gedämpft, das Bier in Ordnung, dazu ein paar kleine Speisen, das alles nicht zu teuer und die Bedienung freundlich - kurzum: es ließ sich aushalten, ganz gut sogar.

Irgendwann aber kam der Moment der Stille, wenn die erste Runde der Geschichten erzählt ist, wenn sich alle fürs erste müde gelacht haben - ein Durchatmen, ein Neuaufstellen zum nächsten Akt. Und mitten hinein ganz unvermeidlich der Satz, den ich in vier Jahren in Tschechien nicht ein einziges Mal gehört habe:

„Wir können ja noch woanders hingehen.“

Diesmal war es also Sophie. Die hatte bereits das Avocado ausgewählt. Und schon das war nicht leicht gewesen, schließlich gilt es vieles zu beachten: Die Vorlieben der Freunde und ihre aktuellen Stimmungen, durch die sich die Vorlieben vielleicht vorübergehend ins Gegenteil verkehrt haben könnten. Die Atmosphäre der Kneipe, die aber wiederum nach Wochentag und Tageszeit zu unterscheiden ist. Das Publikum. Schlechte Erfahrungen der Vorwoche. Ein neuer Tipp von Jochen.

„Jochen ist im Puschkin“, sagt Bob.

Das Puschkin: Samstag ab Mitternacht unschlagbar, lerne ich, aber um zehn Uhr noch völlig unmöglich.

„Das Golgatha?“, versucht Bob. „Heute ist Samstag!“, erwidert Sophie, als wäre das eine Antwort. Ich verstehe: Samstags geht man nicht ins Golgatha.

Mir fällt ein Abend in Berlin ein, als Peter mich mit auf ein Bier nehmen wollte. Wir sind dann erstmal zwanzig Minuten mit der Straßenbahn gefahren. Die Kneipe: weißes Neonlicht, Plastikhocker, und alle Gäste sahen aus wie Peter. Die gleiche Brille, die gleiche Tasche, die gleichen Sneaker. Bier gab´s aus Drei-Deziliter-Flaschen. In Berlin war das wohl modern.

Und mir fallen meine Kneipen in Prag ein, die nach Kaisern heißen, nach Adlern, Ochsen und Nilpferden, die grüne löchrige Tischdecken haben, und den immer reservierten Stammtisch neben dem Ausschank. Wo nie jemand darüber nachdenkt, ob man noch woanders hingehen könnte. Wo niemand auf die Idee käme, Bier in kleinen Flaschen zu verkaufen. Wo Studenten sitzen, Müllmänner in voller Montur, Verkäuferinnen nach Ladenschluss, Kartenspieler aus der Nachbarschaft. Ein seltsamer Professor mit Hut und zu kurzen Hosen.

Sophie schiebt uns in Joe´s Keller. Hämmernde Bässe. Die Luft ist schon lange aus, jetzt gibt es auch keine Biergläser mehr. Man könnte ja noch woanders hingehen, denke ich mir. Und wünsche mich in meine Prager Kneipen.