Zurück in Prag - "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" im Divadlo Komedie

Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (Foto: www.prakomdiv.cz)

Als erster tschechischer Regisseur überhaupt inszenierte er für die Salzburger Festspiele, das war im Jahr 2005. Seither wurde Dusan D. Parizeks Version von Robert Musils "Verwirrungen des Zöglings Törleß"über dreißig Mal aufgeführt. Jetzt kam der Törleß zurück nach Prag.

Die Koproduktion der Salzburger Festspiele, des Deutschen Theaters Berlin und des Pragers Divadlo Komedie hat eine wahre Erfolgsgeschichte erlebt. In Salzburg bejubelt, in Prag das erste Mal im November 2005 aufgeführt und in Berlin über dreißig Mal so gut wie ausverkauft, wurde der Törleß am Wochenende nach über einem Jahr wieder in Prag gespielt. Auch hier waren beide Vorstellungen ausverkauft und der Beifall am Ende zeigte deutlich, dass das Prager Publikum sich über die Rückkehr des Törleß freute.

Das Young Directors Project, für das Parizek den Törleß ursprünglich auf die Bühne gebracht hatte, soll Nachwuchsregisseuren bei den Salzburger Festspielen Raum geben. Es stand 2005 unter den noch frischen Eindrücken der EU-Osterweiterung. "Wir, die Barbaren - Nachrichten aus der Zivilisation", so lautete das Motto. Der Direktor des Prager Divadlo Komedie Dusan D. Parizek fand dieses Thema in Robert Musils Roman "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß" wieder:

"Es ist eine wahnsinnig interessante Studie über Mechanismen, über didaktische Mechanismen, die an jungen Menschen ausprobiert werden. So kann man die Kernfrage dieses, für mich, sehr, sehr wichtigen Romans am besten wiedergeben. Die Kinder einer gesellschaftlichen Elite werden zur zukünftigen politischen Elite herangezogen. Sie sind Studenten einer Militärakademie und in dem Moment, in dem sich einer von ihnen eine Blöße gibt, sich als Dieb offenbart, wird das, was man beigebracht bekommen hat, ausgenutzt, an diesem Menschen ausprobiert. Das heißt in den jungen Studenten werden die Politiker, die Machthaber von morgen wach und sie exerzieren das jeder aus ganz anderen Gründen."

Jede der beteiligten Figuren entwickelt ihre eigene Art der Gewalt. Törleß erkennt das Ganze dabei zwar als Fehler, ist aber von der Situation psychologisch fasziniert und rutscht schließlich selbst auf die Schiene der Gewalt ab.

"Ich habe das Ganze einmal in einem Gespräch für den Almanach der Salzburger Festspiele als Psychogramm einer sich langsam entwickelnden Gesellschaft, einer im Werden begriffenen Gesellschaft, einer politischen Elite, einer gesellschaftlichen Elite von Morgen bezeichnet. Und genau das ist dieses Thema, das vor mehr als hundert Jahren, 1906 ist der Roman erschienen, Musil zu einem genialen Seher machte. Über das Mitläufertum von allen ist diese ganze torlose, auswegslose Existenz und Geisteshaltung Törleß' geschrieben. Und ich habe das Gefühl, dass wir gerade wieder in so einem Zustand sind, wo wir ein neues Europa entwickeln wollen. Insofern ist das Thema, ist das Stück, ist die Aufführung eines solchen Romans, als Theaterstück dramatisiert, von Tschechen und Deutschen gemeinsam, etwas, was dieses europäische Thema widerspiegelt."

Europäische Integration am eigenen Leib erfahren, das konnten auch die Darsteller, die im Törless spielen. Drei Rollen sind mit deutschen Schauspielern vom Deutschen Theater Berlin besetzt - Alexander Khuon, Gabor Biedermann und Niklas Khort - zwei mit tschechischen, Jiri Cerny und Gabriela Micova. Alexander Khuon, der den Törleß spielt, glaubt, dass alle Beteiligten von der Arbeit an dem Stück sehr profitiert haben.

"Mit Dusan Parizek arbeite ich ja schon länger zusammen, mit ihm habe ich ja mein allererstes Stück überhaupt nach der Schauspielschule gemacht. Das war "the Shape of Things" von Neil LaBute. Er spricht ja sehr gut Deutsch, insofern gibt es da schonmal keine Sprachhürde. Die war aber mit den anderen Kollegen zu nehmen, mit Jiri Cerny und Gabriela Micova, die immer parallel noch gedolmetscht werden mussten. Es ist natürlich ein ganz anderes Lebensgefühl und es sind ganz andere Lebensumstände hier in Prag. Ihre Erfahrungen bringen die tschechischen Beteiligten natürlich mit nach Deutschland und wir bringen unsere mit nach Prag. So ist das schon eine grundsätzlich andere Voraussetzung um miteinander zu arbeiten, weil man eben aus unterschiedlichen Lebenszusammenhängen kommt. Das ist aber auch sehr reizvoll, weil da unterschiedliche Welten, im wahrsten Sinne des Wortes, aufeinanderprallen."

Für die beiden tschechischen Darsteller war es nicht nur die andere Welt, mit der sie konfrontiert wurden, sondern auch eine fremde Sprache, in der sie sich nicht nur verständigen, sondern auch Theater spielen mussten. Das Stück allerdings profitiert davon, wie Parizek erläutert:

"Man konnte lernen, dass europäische Integration absolut kein Problem ist, dass Sprachbarrieren oder vermeintliche Sprachbarrieren etwas unglaublich Förderliches und Konstruktives sein können. Die zwei jungen tschechischen Kollegen, die mitspielen, haben allein aufgrund der Tatsache, dass ihre Aussprache sie ganz klar als Slawen outet, den Text von Anfang an perfekt und authentisch gesprochen. Die komplizierteste Sprache, die minutiösesten Gedankengänge von Musil in komplizierteste deutsche Sprache gefasst, klang in ihrer Art zu sprechen absolut natürlich. Da mussten sich die deutschen Kollegen ranhalten um da überhaupt erstmal hinzukommen. Das hat der ganzen Arbeit wahnsinnig gut getan."

Dass das Zusammentreffen verschiedener Kulturen aber nicht nur positive Effekte hat, wie sie Schauspieler und Regisseur erlebt haben, wird dem Zuschauer im Theaterstück brutal vor Augen geführt. Die Sprache als Herrschaftsinstrument, das ist ein wichtiger Aspekt der Theaterfassung von Musils Roman. Dusan Parizek:

"Die Idee war, einfach auszuprobieren, was die Sprache als Herrschaftsinstrument, und das war das Deutsche in der Habsburger-Monarchie, anstellt mit Menschen, auf die sie aufgepfropft wird. Genau das passiert in dieser Inszenierung. Wenn Sie sich das ansehen, können Sie an einer Lektion teilnehmen, die dem Täter Basini von den Übertätern Beineberg und Reiting erteilt wird, die ihm - ausgehend von dem Satz, 'Ich bin ein diebisches, schweinisches Tier.' - eine ordentliche Aussprache beibringen."

Kann man die Brücke schlagen, von Musil zur Situation Europas in unserer Gegenwart? Alexander Khuon mit einem Versuch:

"Die unterschiedlichen Welten, die etwas elaborierte und arroganten Welt dieser Zöglinge, die in diesem Internat leben und die Welt der Bozena, dieser Prostituierten, die den Jungs immer mal wieder Erleichterung verschafft, sowie die des Opfers Basini, die Musil beschreibt - das sagt schon auch einiges über die Welt, wie wir sie im Moment in Europa und speziell jetzt mit der Erweiterung mit Bulgarien und Rumänien erleben. Da prallen Welten aufeinander, auch unterschiedliche Kulturen und unterschiedliche Möglichkeiten, natürlich auch finanzieller Natur."

Eine Lösung freilich für die vielen Probleme, mit denen ein entstehendes vereintes Europa zu kämpfen hat, oder eine Erklärung für das Gewaltpotential, das jede Gesellschaft in sich zu tragen scheint, bietet auch die Bühnenfassung des Törleß nicht. Und so bleibt der Zuschauer am Ende des Stücks allein mit einem der letzten Sätze des Törleß:

"Wenn sie mich fragten, warum hast Du Basini misshandelt, so müsste ich antworten: Weil mich dabei ein Vorgang in meinem Gehirn interessierte, ein Etwas, von dem ich heute trotz allem nur wenig weiß und vor dem alles, was ich darüber denke, belanglos erscheint."

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