Schluss mit der Aufrechnung - deutsche Initiative als Signal für die Nachbarn

Helga Hirsch (Foto: Bernard Osser)

In dieser Woche hat die polnische Tageszeitung Gazeta wyborcza ein von der deutschen Journalistin Helga Hirsch verfasstes Schreiben veröffentlicht, das als ein Signal und zugleich auch als ein Aufruf zu verstehen ist, im Verhältnis zwischen den Deutschen und ihren Nachbarn mit der gegenseitigen Aufrechnung Schluss zu machen - bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Rechts auf Erinnern. Helga Hirschs Initiative haben bereits 70 renommierte Politiker bzw. Intellektuelle Deutschlands mit ihren Unterschriften unterstützt. In der nun folgenden Sendereihe Begegnungen hören Sie ein Telefongespräch, das Jitka Mladkova mit Helga Hirsch führte:

Frau Hirsch, die Vertriebenen-Organisation Preußische Treuhand will durch Klagen deutscher Vertriebenen deren Entschädigung erreichen. Sie haben 70 Unterschriften prominenter Persönlichkeiten Deutschlands unter einem Schreiben gesammelt, die trotz eigener Erfahrungen mit der Vertreibung auf jegliche Klagen verzichten wollen. Inwieweit hängt Ihre private Initiative mit den jüngst artikulierten Reparationsforderungen des polnischen Parlaments zusammen und wen wollen Sie eigentlich mit dieser Initiative ansprechen bzw, erreichen?

"Ich muss dazu sagen, dass die Initiative nicht erst jetzt erfolgt ist, als das polnische Parlament am letzten Freitag die Kriegsreparationen von Deutschland gefordert hat. Die Stimmung zwischen Deutschen und Polen schaukeln sich ja schon eine Zeitlang auf und mir war klar, dass in Polen ein Deutschland-Bild existiert, das mit der Realität nichts zu tun hat und dass sowohl das Zentrum gegen die Vertreibungen eine dämonische Institution wurde und erst recht diese Preußische Treuhand. Wenn so ein Bild existiert, dann muss man es irgendwie entkräften. Das ist also der eine Grund. Die Erklärung ist vor allem, also in meiner Intention, an die Nachbarn gerichtet an die Nachbarn gerichtet. Sie sollen sehen, dass es in Deutschland andere Kräfte gibt als die, die man üblicherweise in Deutschland vermutet und die mit dem angeblichen Wiederaufleben von Revisionismus in Verbindung gebracht werden."

Wenn Sie Nachbarn sagen, dann heißt das wohl, dass diese Initiative auch den Tschechen gilt!?

"Sicher gilt sie auch den Tschechen, obwohl ich sagen muss, dass die Reaktion in Tschechien immer differenzierter war als aus Polen. Z.B. Herr Bohumil Dolezal, der gerade am letzten Samstag sogar vom Bund der Vertriebenen ausgezeichnet wurde, hat mir mit seiner Haltung, immer sehr imponiert, indem er in erster Linie immer darauf reflektiert hat, was haben wir gemacht, wofür müssen wir Tschechen uns Rechenschaft ablegen und wie sind wir gut beraten unser Verhältnis zu den Nachbarn zu gestalten. Im Grunde gehe ich ja ähnlich vor. Ich möchte, dass wir uns mit uns beschäftigen und dass wir uns endgültig sagen: Wir werden dieses Eigentum und wir wollen es nicht zurückbekommen, weil die Realität nach 60 Jahren eine andere ist. Ich möchte die volle Akzeptanz der Realität."

Wollen Sie vielleicht auch eine "sudetendeutsch-deutsche Debatte" initiieren?

"Ich denke und hoffe, dass auch im BdV die Diskussion sich jetzt verstärkt, Ich denke, dass wir sehr häufig den Verzicht auf materielle Sachen, also auf Eigentum, mit dem Recht auf Erinnern durcheinander bringen. Ich bin ausgesprochen für das Recht auf Erinnern. Ich bin auch dafür, dass wir das Zentrum gegen Vertreibungen aufbauen, weil die Menschen das Recht auf Trauer haben. Ich denke sogar, wenn wir dieses Bedürfnis nicht erfüllen, dass man über ihr Schicksal spricht, dass man es wahr nimmt und dass man auch ihren Schmerz auch wahrnimmt, dass dann im Grunde so etwas wie ein Verzweiflungsakt auftritt und sie in diese materielle Forderung flüchten, weil das Recht unserer juristischen Grundlage ihnen ja noch die Möglichkeit dazu gibt."

Die Errichtung des Zentrums gegen Vertreibungen hat, wie Sie wohl wissen, viele Gegner. Nun frage ich Sie, ob das Recht auf Erinnern, das Sie erwähnen, mit der Entstehung des Zentrums erfüllt wäre?

Das möchte ich eben. Dazu ich möchte aber auch sagen, diese unglückselige Alternative, die immer zwischen nationalem und europäischem Erinnern aufgestellt wurde, die sehe ich nicht so. Es ist natürlich so, dass ein Deutscher der das Kriegsende erlebt hat, völlig anders fühlt als ein Tscheche oder ein Pole, und dem ist Rechnung zu tragen. Aber in einer Weise, die den Nachbarn nicht verletzt. Und deswegen wünsche ich mir auch eine ganz große öffentliche Diskussion über die Konzeption dieser Ausstellung, die in dem Zentrum sein soll. Es soll in einer Weise dargestellt werden, die den Nachbarn nicht auf die Anklagebank setzt, sondern versucht, die beiden Geschichtsbilder, die sicher unterschiedlich sind, trotzdem sozusagen nebeneinander auszuhalten, damit wir uns gegenseitig besser respektieren."

Sehen Sie also die Möglichkeiten, dass sich die an diesem Problem beteiligten Nationen auf halbem Wege irgendwann treffen?

"Ich habe gemerkt, dass heute die Initiative von Polens größter Zeitung Gazeta wyborzca sehr positiv und wie eine Erleichterung aufgenommen worden ist. Ich denke, in der Politik ist es immer so, dass man Kompromisse schließen muss. Wir Deutsche, ich sage mal ganz pauschal "wir", wir sind in einer ungleich bessere Position. Selbst die Vertriebenen, trotz allen Schmerzes, trotz Heimatverlustes, haben sich in der Regel gut arrangiert und auch in der DDR ganz gut integriert. Auch in der Bundesrepublik, wo sie den Lastenausgleich bekommen haben. Ich denke, wir Deutschen tun uns schwerer mit der Erkenntnis, dass nicht alles in der Geschichte gerecht wieder gut gemacht werden kann. Kleinere Völker, die sehr viel häufiger große Mächte erfahren mussten, versöhnen sich vielleicht mit dieser Erkenntnis etwas leichter."

Wie weit entfernt ist Ihrer Meinung nach der Zeithorizont, an dem wir uns auf dem halben Wege treffen könnten?

"Ich hoffe ganz stark, dass wenn, ich weiß nicht wann genau in den nächsten Monaten, die Konzeption für die Ausstellung präsentiert wird, da hoffe ich wirklich stark darauf, dass wir Debatten führen können, zu denen wir tschechische und polnische Historiker einladen, und vielleicht sogar auch Betroffene, die dann miteinander diskutieren und miteinander aushandeln - und das wäre der Kompromiss - wie denn so ein Zentrum ausgestaltet werden könnte."

Frau Hirsch, Sie sind Mitglied des Kuratoriums des Zentrums gegen Vertreibungen, wie z.B. auch Frau Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen. Worauf sind die krassen Unterschiede in der Auffassung der möglichen Aussöhnung zwischen den Vertriebenen auf der einen und Tschechen, Polen und anderen Nationen auf der anderen Seite zurückzuführen?

"Man kann generell feststellen, dass Frau Steinbach eigentlich nicht die Rolle im BdV spielt, die ihr von Polen und Tschechen zugeschrieben wird. Ich habe es besonders in Polen erfahren. Ich weiß nicht, ob es seinerzeit auch in der Tschechoslowakei so war, aber in Polen waren Czaja und Hubka Symbol des Bösen. Sie wurden in jeder Fernsehnachricht, wenn es um Vertriebenenbelange ging, gezeigt. Diese Tradition, die damals von der kommunistischen Macht aufgebaut wurde, ist auf Frau Steinbach im Gefühl der Menschen übergegangen. Deswegen konnte Polen nicht wahrnehmen, dass Frau Steinbach als Präsidentin des BdV eine Veranstaltung zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstands gemacht hat. Das war sozusagen ein Versuch, das leidende Polen in Deutschland mehr ins Bewusstsein zu bringen. Auch das gehört dazu, dass wir von unseren phantasierten Ängsten, die mit Geschichtsbildern zusammenhängen und deswegen verständlich sind, zu einer realen Beurteilung der Lage kommen."

Sie haben mittlerweile 70 Unterschriften prominenter Politiker und Intellektueller in Deutschland gesammelt. Wollen Sie diese Initiative fortsetzen und weitere Unterschriften sammeln?

"Ich werde nicht weiter sammeln. Das war jetzt eine private Initiative. Ich habe nur unter Freunden und Bekannten gesammelt und dann auch bei Politikern, von denen ich wusste, dass sie aus den Ostgebieten stammen. In der Regel wissen wir ja nicht, woher jemand kommt. Es sollte ein Signal sein. Um jetzt weiter zu sammeln, dazu bräuchte ich eine Sekretärin. Das halte ich für unrealistisch, aber ich habe z.B. schon gehört, und wenn das wirklich geschehen würde, wäre das eine wunderbare Maßnahme, dass ein ganzes Dorf etwas südlich von Danzig mit den jetzigen Vertriebenen, die sich immer noch in einem Heimatkreis treffen, eine entsprechende Erklärung verabschieden und die in der dortigen Lokalpresse veröffentlichen wollen. Das heißt, dass sie sagen, wir die vertriebenen Deutschen versichern euch, die ihr jetzt da lebt, wir werden eure Häuser nicht nehmen. Wenn es Nachahmer gibt, wenn es sich vervielfältigt, das fände ich wunderbar."

Frau Hirsch, ich danke Ihnen recht herzlich für das Gespräch.