Hoffnung in Zeiten des Holocaust: Die Geschichte der "Mädchen von Zimmer 28"

Von links: Helga Kinsky, Hannelore Brenner-Wonschick

Die Geschichte der "Mädchen von Zimmer 28" im KZ Theresienstadt zeigt, dass auch in Zeiten des Schreckens Freundschaft und Hoffnung existierten. Und das Kunst, Musik und Bildung dabei eine zentrale Rolle spielten. Katharina Borberg berichtet für unsere Sendereihe Begegnungen von einer ganz besonderen Schicksalsgemeinschaft.

Von links: Helga Kinsky,  Hannelore Brenner-Wonschick
Heute treffen sie sich meist einmal im Jahr um Neuigkeiten auszutauschen, aber auch um die Erlebnisse ihrer Kindheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. "Die Mädchen von Zimmer 28", einem Kinderschlafsaal im damaligen KZ Theresienstadt. In diesem Zimmer waren von 1942 - 1944 ca. 60 Mädchen untergebracht. Nach dem 2. Weltkrieg, den nur 15 der Mädchen überlebten, trennten sich zunächst ihre Wege. Erst 40 Jahre nach dem Krieg trafen sie sich wieder. Eine Begegnung, die für alle etwas ganz Besonderes war, wie Helga Kinsky, eine der Überlebenden, berichtet:

"Unser Treffen war so großartig, wir haben geweint und getanzt. Und es war als hätten wir uns eigentlich nie aus den Augen verloren. Das war als wäre es Gestern gewesen, dass wir uns getrennt haben."

Die außergewöhnliche Geschichte der "Mädchen von Zimmer 28" kann man im gleichnamigen Buch sowie in einer Wanderausstellung, die gerade in Prag zu sehen ist, nachverfolgen. Das Buch erzählt die Lebensgeschichten einzelner Mädchen und beschreibt ihre gemeinsamen Erlebnisse im Ghetto von Theresienstadt.

"Wir hatten dort Stockbetten mit drei Etagen. Wir waren dort ungefähr 28 bis 30 Mädchen. In der Mitte waren ein Tisch, ein Ofenrohr, zwei Bänke, aber an denen hatten wir nicht alle Platz. Und wir hatten einen kleinen Platz hinter dem Bett wo wir unseren Koffer hinlegten, da hatten wir unser Hab und Gut. Wir versuchten den Raum irgendwie schön zu machen, zum Beispiel ein paar Bilder aufzustellen."

So beschreibt Helga Kinsky, die heute in Wien lebt, die damalige Lebenssituation der Kinder. Die Mädchen schrieben Tagebuch, malten Bilder, verfassten Briefe. Kopien dieser Dokumente sind in der Ausstellung zu sehen. Sie veranschaulichen sehr deutlich unter welchen Bedingungen die Mädchen leben mussten. Im Ghetto Theresienstadt wurden bis zum Ende des Krieges ca. 140.000 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht. Mehr als 33.000 Menschen starben noch vor Ort, auf Grund von Mangelernährung oder Krankheiten wie Gelbsucht, Lungenentzündung, Scharlach. Etwa 88.000 wurden in Vernichtungslager wie Auschwitz deportiert, für die Meisten der Weg in den sicheren Tod. Der Alltag der Mädchen in Theresienstadt bestand allerdings nicht alleine aus schrecklichen Erfahrungen. Engagierte Erwachsene unterrichteten die Kinder, sangen und malten mit ihnen. Kunst und Kultur spielten in dieser Zeit eine wichtige Rolle für die Menschen in Theresienstadt, so Helga Kinsky:

"In Theresienstadt war so eine Anhäufung von Spitzenleuten der jüdischen Gesellschaft: Komponisten, Musiker, Universitätsprofessoren, Maler. Sie mussten zwar am Tag arbeiten, aber um ihr eigenes Los zu vergessen, haben sie abends gerne Musik gespielt oder Vorträge gehalten. Und viele haben sich der Jugend gewidmet."

Die Erwachsenen setzten auf die Kinder. Ihre Zukunft war ihnen wichtig, wie Hannelore Brenner-Wonschick erklärt. Sie hat sich als Autorin des Buches über die Mädchen von Zimmer 28 lange mit diesem Thema auseinandergesetzt.

"Es ist erstaunlich, es gab wirklich ganz engagierte Pädagogen in Theresienstadt. Es gibt Vorträge von Pädagogen aus dem Ghetto, die kann man nachlesen. Sie haben sich wirklich Gedanken darüber gemacht was man tun kann um die Jugend vor diesem Schrecken zu retten. Der Versuch, die Kinder vor der Entwertung des Guten zu retten musste unternommen werden."

Für die Kinder im Ghetto war dies inmitten all der Schrecken eine sehr positive Erfahrung, so Helga Kinsky:

"Für mich war das wie wenn ein Wunder geschehen wäre. Denn ich bin, als Hitler Österreich besetzt hatte, aus Wien in ein kleines Städtchen gekommen und dort gab es keine Kultur, es hat sich ja auch niemand darum gekümmert. Ich glaube ich hätte nirgendwo auf der Welt so viel Kultur auf einmal erlebt wie ich in Theresienstadt erlebt habe. Für mich, die aus einem kleinen Städtchen kam in dem es überhaupt nichts gab, war das eine Offenbarung."

Hannelore Brenner-Wonschick
Durch die Beschäftigung mit Kunst und Kultur wurde auch die ungewöhnliche Schicksalsgemeinschaft der Mädchen im Zimmer 28 stark geprägt. Der Unterricht lenkte die Kinder von ihrer unmenschlichen Situation ab. Gleichzeitig hatten sie die Möglichkeit sich weiterzubilden wie Helga Kinsky erzählt:

"Es gab den heimlichen Unterricht, der sehr oft gewechselt hat. Denn häufig mussten diejenigen, die sich freiwillig als Lehrer zur Verfügung gestellt hatten, antreten zum Transport. Dann wurde wieder etwas anderes unterrichtet. Einmal haben wir Iwrit gelernt, dann haben wir Englisch gelernt, dann wechselte das wieder. Die einzigen Lehrer die uns während der ganzen Zeit begleitet haben, waren Frau Friedel Dicke-Brandeis die Zeichenprofessorin und die heißgeliebte Frau Dr. Brumlik, die uns Geschichte, Literatur und alles Mögliche beigebracht hat. Und natürlich die Hauptbetreuerin, Ella Pollack, die wir Tella nannten. Sie war Klavierlehrerin und hat viele der Konzerte und Opern in Theresienstadt begleitet und sie hat einen Kinderchor geleitet."

Die Kinderoper Brundibar von Hans Krasa, der ebenfalls in Theresienstadt interniert war, wurde insgesamt 55-mal von den Kindern im Ghetto aufgeführt. Die gemeinsame Arbeit formte ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das über die Zeit in Theresienstadt hinaus andauert. Auch aus diesem Grund war es den Überlebenden ein besonderes Anliegen, die im Holocaust ermordeten Kinder und die Erlebnisse dieser Zeit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wie Hannelore Brenner-Wonschick erklärt:

"Die Frauen wollten ein Denkmal setzen für die Kinder, die den Krieg nicht überlebt haben. Das Buch und die Ausstellung sollten auch so etwas wie eine Hommage an die Betreuer sein. Weil die Überlebenden wirklich für etwas dankbar sind. Und aus diesem Grund sind das Buch und auch die Ausstellung entstanden."

Hannelore Brenner-Wonschick steht seit 1999 in Kontakt mit den Überlebenden Frauen. Bei der Zusammenarbeit wurde besonders ein Aspekt zum Leitmotiv des Projektes: Die Bedeutung von Kunst, Kultur und Erziehung zur Menschlichkeit in einer unmenschlichen Zeit hervorzuheben.

"Ich glaube heute, seit jeher und auch noch morgen sind Kunst, geistige Orientierung, ethische Orientierung, diese ganz einfache humane Orientierung immer sehr wichtig. Und irgendwo trägt dieses Projekt all diese Aspekte weiter, für mich jedenfalls. Und ich denke auch für die Frauen, das ist auch der Grund warum sie so engagiert sind."

Die Ausstellung "Die Mädchen von Zimmer 28" ist noch bis 22. September im Goethe-Institut in Prag zu sehen. Das gleichnamige Buch ist auf Deutsch und Tschechisch im Buchhandel erhältlich.

Fotos: Autorin