Besuch im ersten tschechisch-deutschen Kindergarten

Wissen Sie was "Guten Morgen" oder "Guten Appetit" auf Tschechisch heißt? Wenn nicht, dann sollten sie vielleicht mal ihre jüngsten Kinder fragen, vorausgesetzt, sie bringen sie oder ihn in den richtigen Kindergarten. Dass eine zweisprachige Erziehung von Kindern den Kleinen einen kulturellen Vorsprung gegenüber anderen bietet, ist kaum bestritten. Was seit mehreren Jahrzehnten an der deutsch-französischen Grenze funktioniert, kommt jetzt auch nach in die deutsch-tschechische Grenzregion. Über ein bislang einmaliges sächsisch-tschechisches Kindergartenprojekt berichtet Danilo Höpfner.

Das ist die kleine Charlotte. Charlotte Modra ist 5 Jahre jung und ist Tschechin. Und jetzt: noch einmal Charlotte.

"Ich bin eine kleine Zitrone, weißt du wo ich wohne? Ich wohne am blauen Meer, dort ist es heiß, von dort komme ich her. Und ein großes Schiff mit braunen Matrosen bringen zu dir und nun bin ich hier."

Das Gedicht von der kleinen Zitrone hat Charlotte im Kindergarten gelernt, allerdings nicht in irgendeinem Kindergarten, sondern in einem Kindergarten in Sachsen. Genauer gesagt, im ersten und bisher einzigen deutsch-tschechischen Kindergarten, der sich im 3.500 Einwohner zählenden erzgebirgischen Grenzort Oberwiesenthal befindet. "Regenbogen" heißt die kleine Kindertagestätte der Johanniter, in der die Kleinsten aus Sachsen und Böhmen zusammen spielen, lernen und sich kennen lernen.

"Also wir sind nicht so, Deutsch bleibt Deutsch, Tschechisch bleibt tschechisch, wir mixen jetzt."

Sylvia Weisbach, die Leiterin der deutsch-tschechischen Kindertagesstätte.

"Es ist wirklich Wahnsinn wie schnell die Kinder lernen, und vor allem wie unsere deutschen Kinder mit denen auch umgehen, das interessiert die nicht, welche Sprache die haben, das passt auch so."

Die Idee von einem bi-nationalen Kindergarten kam ihr und ihren Kollegen schon vor drei Jahren, als der Kindergarten im nur einen Kilometer entfernten tschechischen Grenzort BoziDar wegen niedriger Kinderanzahl schließen musste. Die Freude über die neuen Kinder jedoch, hielt sich anfangs in Grenzen:

"Wir, sprich die Erzieher, wir hatten Angst. Wir haben gedacht, oh Gott was soll das werden, wir verstehen die Kinder nicht. Aber die Kinder haben uns eines besseren belehrt, die Kinder sehen das ganz locker. Die haben uns zwar vielleicht nicht ganz komplett verstanden, aber ein netter Gesichtsausdruck, die Kinder mal streicheln und drücken, einfach die Gestik einsetzten, das bringt´s auch, und die Kinder haben innerhalb von einem Jahr perfekt Deutsch gelernt."

In absehbarer Zeit soll es auch tschechische Erzieherinnen geben, die den deutschen Kindern die tschechische Sprache beibringen. Seit einem Jahr besuchen Sylvia Weisbach und ihre Kolleginnen einen Tschechischkurs, um erste Grundkenntnisse der tschechischen Sprache vermitteln zu können. Zu ihnen gehört auch Christine Wittmann:

"Wir singen z.B. das Morgenlied, dann wünsche ich den Kindern Guten Appetit, aber nicht auf deutsch, sondern auf tschechisch, und die Kinder antworten dann auch auf tschechisch, danke.

Die Deutschen Kindern werden vertraut gemacht mit ganz einfachen Umgangsformen, z.B. Lernen die Dobry den, Dobre rano, also guten Tag, guten Morgen, dass die Kinder auf spielerische Art vertraut gemacht werden mit der Sprache."

Vor allem die Eltern der Kinder, dies- und jenseits der Grenze stehen hinter dem deutsch-tschechischen Projekt. Mit Wohlwollen betrachtet auch der Freistaat das Projekt, Deutsche mit ihren Nachbarn schon im Kindergarten zusammenzuschweißen und so Vorurteilen regelrecht vorzubeugen und übernimmt einen Teil der Kosten sowohl für die deutschen als auch für die tschechischen Eltern. Auch die Europäische Union greif dem Kindergarten nun finanziell unter die Arme. 1,1 Millionen Euro wird die baulich heruntergekommene Kindertagesstätte im Rahmen der Interreg-Förderung für einen Neunbau erhalten. Und ganz nebenbei, aber dennoch spürbar hat sich das deutsch-tschechische Kinderprojekt zu einer Initiative unter den Erwachsenen, sprich den Erzieherinnen und den Eltern der Kinder, entwickelt. Über Generationen lebendige Vorurteile sind nun auch im persönlichen Bereich ins Wanken geraten. Noch einmal Leiterin Sylvia Weißbach:

"Ich habe keine Beklemmungen mehr nach Tschechien zu fahren, ich weiß, dass dort Leute wohnen die genauso denken wie ich und die im Prinzip genauso mit den Tücken des Alltags zu kämpfen haben wie wir auch, also ich sehe es doch ein wenig anders und hab´ die Menschen auch mehr schätzen gelernt, wo ich dann sagen muss, als Deutscher war man doch am Anfang etwas arrogant. Und das hat sich im ganzen Haus bemerkbar gemacht, da das ganze Personal umgedacht hat. Und seit wir die tschechischen Kinder haben und der Kontakt mit den Eltern da ist, muss ich sagen, es ist, als ob sie nicht aus einem anderen Land kommen, es ist, als ob die einfach bei uns mit dazu gehören, und so ist es auch."

Kritische Stimmen zum deutsch-tschechischen Kindergarten in Oberwiesenthal gab es nun erstmals in der tschechischen Lokalpresse in Nordböhmen. In einem Kommentar kritisiert ein Journalist, dass die tschechischen Kinder in einem deutschen Kindergarten ihre Herkunft vergessen würden und die tschechische Identität und Sprache zugunsten des Deutschen verloren gehen kann. Doch diese Stimmen sind bisher recht selten. Nach Redaktionsschluss erreichte uns übrigens noch die Nachricht, dass es künftig auch an der bayrisch-tschechischen Grenzregion, und zwar in Franken, einen tschechisch-deutschen Kindergarten geben wird.