Folk-Musiker mit Kochmaske, Leipziger Buchmesse und Wohnkatastrophen

Obří broskev (Foto: YouTube)

Das Tschechische Zentrum Berlin lädt diesmal nicht nur zu Veranstaltungen in der Bundeshauptstadt. Denn die meiste tschechische Literatur gibt es im März ganz einfach in Leipzig. Was sonst noch so ansteht, dazu mehr im Interview mit Christina Frankenberg, der stellvertretenden Leiterin des Zentrums.

Obří broskev  (Foto: YouTube)
Frau Frankenberg, beginnen möchte ich mit einer Veranstaltung aus Ihrer Reihe Wilhelmstraße unplugged. Am Donnerstag, 17. März, kommt nämlich ein interessanter Künstler ins Tschechische Zentrum nach Berlin. Kittchen nennt er sich, und er tritt gerne maskiert auf. Im Übrigen ist er auch der Frontmann der Band Obří broskev. Was ist noch zu ihm und zum Konzert zu sagen?

„In unserer Reihe Wilhelmstraße unplugged stellen wir in unregelmäßiger Reihenfolge tschechische Musiker oder Musikprojekte vor. Einer von Ihnen wird nun ‚Kittchen‘ sein. Er hatte in den letzten Jahren sehr große Erfolge in Tschechien. Bisher hat er drei Platten veröffentlicht. Sein Genre bezeichnet er als ‚Industrial Folk‘. Man muss davor aber keine Angst haben, die Melodien sind recht eingängig und etwas melancholisch. Wie Sie erwähnt haben, versteckt sich ‚Kittchen‘ hinter einer großen Kochmützen-Maske. Das hat damit zu tun, dass er wohl nicht erkannt werden möchte als der Musiker ‚Kittchen‘. Sein neustes Album heißt ‚Kontakt‘, das wir hier im Tschechischen Zentrum vorstellen. Es wird auch der Regisseur David Mencl anwesend sein, mit dem er ein gemeinsames Video zum Song ‚ Sudety ‘ gedreht hat. Auch dieses Video werden die beiden hier im Tschechischen Zentrum vorstellen. Erwähnen möchte ich außerdem noch, dass ‚Kittchen‘ für die wichtigsten Musikpreise des vergangen Jahres in Tschechien nominiert wurde. Es waren der ‚Anděl‘, der ‚Apollo‘ und der ‚Vinyla‘.“

„Dominik Lang hat unsere Galerie ganz neu gestaltet.“

Kittchen tritt bei Ihnen in der Galerie auf. Dort zeigen Sie aber auch eine Ausstellung von Künstler Dominik Lang. Sie nennt sich „Haus der Wohnirrtümer“. Worum geht es dabei, und wer ist Dominik Lang?

„Dominik Lang ist ein inzwischen international sehr bekannter Künstler. Er hat das erste Mal auf sich aufmerksam gemacht mit der Arbeit ‚The sleeping city‘ bei der Biennale in Venedig 2011. Er hatte dann 2013 eine Ausstellung in der Wiener Secession und ist inzwischen mit dem ‚Jindřich-Chalupecký-Preis‘ in Tschechien ausgezeichnet worden. Im letzten Jahr hat er ein Berlin-Stipendium der hiesigen Akademie der Künste erhalten. Die Ausstellung, die gerade bei uns in der Galerie zu sehen ist, spielt mit gestalterischen und architektonischen Elementen des Gebäudes, in dem wir sitzen. Vielleicht ist den Hörern bekannt, dass das Tschechische Zentrum sich jetzt im Gebäude der Botschaft der Tschechischen Republik in Berlin befindet. Das Gebäude wurde 1974 bis 1978 von dem Ehepaar Věra und Vladimír Machonin errichtet. Der Künstler Dominik Lang greift gestalterische Elemente und Funktionsräume dieses speziellen Botschaftsgebäudes in seiner Ausstellung auf. Er spielt darin auch auf ein weiteres Gebäude an, das die Architekten in Prag errichten haben. Nämlich das ‚Haus der Wohnkultur‘, das scherzhaft auch ‚Haus der Wohnkatastrophen‘ genannt wurde. Für diese Ausstellung hat Dominik Lang unsere Galerie ganz neu gestaltet. Er hat zum Beispiel ein eigenes kleines Zimmer geschaffen, für welches er Originalmaterial aus der Botschaft verwendet hat. Zu diesem Raum führt ein kleiner geheimer Gang hinter einer Ausstellungswand. Allgemein konterkariert Dominik Lang die übliche Logik eines Ausstellungsdisplays. Die Arbeiten werden bei ihm nicht offen zur Schau gestellt, sondern sie werden versteckt oder in Einzelteile zerlegt. So können die Besucher unserer Galerie eine eigene Entdeckungsreise unternehmen. Wenn sie dabei Anleitung brauchen, dann werden sie in den nächsten Wochen auch die Möglichkeit haben, sich der Führung der Kuratorin der Ausstellung anzuvertrauen. Bettina Klein wird nämlich noch einmal unsere Besucher durch die Ausstellung führen. Das genaue Datum werden wir in den nächsten Tagen auf unserer Homepage veröffentlichen. Die Ausstellung ist noch bis zum 9. April zu sehen.“

Foto: Reclam-Verlag
Ich komme zur Literatur. Nächste Woche findet die Leipziger Buchmesse statt, und wie auch in den Jahren zuvor sind wieder einige tschechische Autoren dabei. Vielleicht können Sie auf den einen oder anderen hinweisen…

„Als Erstes möchte ich erwähnen, dass das Tschechische Zentrum zusammen mit dem Reclam-Verlag, die von Antonin Brousek neu in Deutsche übersetzte Erzählungen von Jaroslav Hašek präsentieren wird. Dieser Band ist im letzten Herbst erschienen, unter dem Titel ‚Die Praktikanten der Speditionsfirma Kopkan‘. Antonin Brousek wird einige dieser Erzählungen in Leipzig vorstellen und aus ihnen lesen. Er wird aber vor allem auch über den Autor Hašek sprechen und weniger bekannte Seiten des Schriftstellers beleuchten. Dann wird zum Beispiel Jaroslav Rudiš seine ‚Nationalstraße‘ in Leipzig vorstellen, die gerade in deutscher Übersetzung beim Luchterhand-Verlag erschienen ist. Es ist auch der Autor Petr Stančík eingeladen. Er wird seinen historischen Krimi aus dem Prag des Jahres 1866 vorstellen, mit dem tschechischen Titel ‚Mlýn na mumie‘. Der Band hat im vergangen Jahr den Preis ‚ Magnesia Litera‘ erhalten. Extra für die Leipziger Buchmesse ist ein Auszug aus dem Buch ins Deutsch übersetzt worden. Ebenfalls extra für die Buchmesse wurde eine Übersetzung angefertigt von Milena Slavickás Band ‚ Hagibor ‘. Darin greift die Autorin das Schicksal von drei Generationen einer Familie aus der Tschechoslowakei auf und zeigt die politische Entwicklung des Landes im späten 20. Jahrhunderts. Sie thematisiert auch Immigration, den Widerstand gegen das Regime und das Schicksal derjenigen, die im Land geblieben sind und sich mit dem realen Sozialismus auseinandersetzen mussten. Ganz interessant wird sicherlich auch die Veranstaltung mit Jiří Padevět. Er wird seinen neuen Band vorstellen, in dem er sich auch mit der Zeit des ‚Protektorats Böhmen und Mähren‘ beschäftigt hat, also mit der Zeit zwischen 1939 und 1945. Padevět hat sich die Ereignisse des Frühjahrs und Sommers 1945 herausgegriffen. Er zeigt eine Zeit der extremen Gewalt und der historischen Umbrüche auf dem Territorium der Tschechoslowakei.“

In der Reihe Doku-Montag gibt es am 21. März bei Ihnen einen Film, der auch eine gewisse tschechisch-deutsche Dimension hat. Porträtiert wird die Schauspielerin und Performerin Halka Třešňáková. Was ist zudem interessant zu wissen über den Film und den Regisseur?

„Blick in das Innenleben von Immigranten“

„Der Film stammt von Saša Dlouhý, er ist aus dem Jahr 2013 und beschäftigt sich mit der Lebensgeschichte von Halka Třešňáková. Sie ist erst 1972 geboren und also bei Weitem noch keine alte Frau. Ihr Schicksal ist aber insofern interessant, dass sie aus einer tschechischen Dissidentenfamilie stammt. Ihre Eltern sind aus politischen Gründen aus der Tschechoslowakischen Republik ausgewiesen worden, in der Zeit nach dem Prager Frühling. Und so ist Halka als Immigrantin in Deutschland groß geworden. Sie hatte wohl ziemlich viele Probleme, in ihrer neuen Heimat anzukommen und hier Fuß zu fassen. Gleich nach der Samtenen Revolution ist sie auch zurück nach Prag gegangen und hat dort ihr Leben als Schauspielerin und Performerin begonnen. In der Eigenschaft als Performerin ist sie des Öfteren nach Berlin zurückgekehrt und hat an deutsch-tschechischen Projekten gearbeitet. In der heutigen Zeit hat der Film eine neue Dimension gewonnen, weil er den Blick in das Innenleben von Immigranten gewährt.“

Foto: Elfenbein-Verlag
Wir hatten bisher Veranstaltungen im März. Es gibt aber auch noch ein Ereignis im April, auf das Sie bereits hinweisen möchten?

„Und zwar werden wir am 7. April einen Roman eines tschechischen Autors vorstellen, der erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde, obwohl er bereits vor vielen Jahrzehnten erschienen ist. Es handelt sich um Ferdinand Peroutkas Roman ‚Wolke und Walzer‘. Das Buch wurde im vergangenen Jahr im Berliner Elfenbein-Verlag herausgegeben, in einer ersten deutschen Übersetzung. Dieser Roman ist der erste Roman über die deutsche Okkupation und über die Schicksale der Verschleppten und Ermordeten nach dem Zweiten Weltkrieg. Er wurde 1947 veröffentlicht und ging hervor aus einem Theaterstück, das damals in Prag aufgeführt wurde. Ferdinand Peroutka war ein großer Journalist und Schriftsteller. Er war auch Chefredakteur der Zeitschrift ‚ Přítomnost‘ und eine moralische Instanz. Nach Jahr 1948, also nach der Machtübernahme durch die Kommunisten, verließ er die Tschechoslowakei und emigrierte in die USA. Dort war er maßgeblich an der Gründung von Radio Free Europe beteiligt, und dort erschien auch der Roman ‚Das erste Mal‘ im Jahr 1969 bei ‚68 Publishers‘. Bei unserem Abend werden wir den Verleger und Leiter des Elfenbein-Verlags, Ingo Držečnik, im Tschechischen Zentrum haben. Die Übersetzerin Mira Sonnenschein wird ebenfalls hier sein und über die Übersetzung sprechen. Außerdem freuen wir uns auch über einen Gast aus Tschechien, nämlich Martin Groman. Er ist Vorsitzender der Ferdinand-Peroutka-Vereinigung – sie verleiht jedes Jahr den Ferdinand-Peroutka-Preis, einen Journalistenpreis, der sehr hoch angesehen ist. Alle drei werden über den Roman und über die Persönlichkeit von Ferdinand Peroutka sprechen.“

Autor: Till Janzer
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