Design mit Geschichte - Tschechischer Kubismus im Leipziger Grassimuseum

Tschechischer Kubismus im Leipziger Grassimuseum für angewandte Kunst. Noch bis Anfang Oktober können über 500 kubistische Alltagsgegenstände der Künstler- und Designergenossenschaft Artěl bewundert werden. Von der Blumenvase über das Kinderspielzeug bis hin zum Kleinmöbelstück zählt allein das Design.

„Jeder Gebrauchsgegenstand ist uns so wichtig, dass wir seine Schönheit durch die Wahl einer zweckmäßigen Form und hochwertiger Materialien zum Vorschein bringen möchten.“ Mit diesem Aufruf wurde im Jahr 1908 die Künstler-Kooperative Artěl in der goldenen Stadt Prag ins Leben gerufen. Tschechischer Kubismus spiegelt sich vor allem in der Architektur der Hauptstadt wider. Ein spezifisch tschechisches Phänomen ist aber auch die Übertragung des kubistischen Designs auf gewöhnliche Alltagsgegenstände. In Zusammenarbeit mit dem Prager Kunstgewerblichen Museum ist die Ausstellung mit dem Titel „Tschechischer Kubismus im Alltag“ nun nach Sachsen geholt worden. Die Leiterin des Grassimuseums Anett Lamprecht, erzählt, was man alles bei einem Rundgang durch die Ausstellung entdecken kann:

„Der Schwerpunkt unserer Ausstellung ist ein spezifisch tschechisches Phänomen, nämlich die Dreidimensionalität kubistischer Werke. Diese Dreidimensionalität spiegelt sich beispielsweise in der Art déco, in Zackenornamenten in Keramiken oder in geschliffenen Gläsern, aber auch in Spielzeugen und anderen Alltagsgegenständen wider. Darüber hinaus präsentieren wir auch von geometrischen Formen bestimmte Mode oder kubistisch beeinflusste Möbelstücke.“

Künstler und Theoretiker wie Jaroslav Benda, Vratislav Hugo Brunner oder Helena Johnová wagten damals den mutigen Schritt in eine modernere Welt. Die Funktion eines Gegenstandes rückte in den Hintergrund und das Design wurde wichtiger. Die Museumskuratorin Sabine Epple hat sich in Vorbereitung auf die Ausstellung lang mit dem Schaffen der tschechischen Avantgardekünstler auseinandergesetzt:

„Artěl ist eine Kooperative, die 1908 in Prag gegründet worden ist. Sie bestand damals aus jungen, engagierten Künstlern, Architekten und Kunsttheoretikern. Sogar ein Betriebswirt, der auf die finanzielle Situation der Künstlergenossenschaft ein Auge warf, war mit von der Partie. Leider muss man aber zugeben, dass die Finanzierung nie richtig geglückt ist. Artěl war finanziell immer sehr unsicher und erlebte sowohl Höhen als auch Tiefen. Die Gruppe bestand ja auch von 1908 bis 1936, was ein sehr langer Zeitraum ist. Das Ganze lässt sich schwer verallgemeinern. In diesem Zeitraum gab es unglaublich viele stilistische Richtungswechsel.“

Die Ausstellung ist auch ein Spiegel dieses ständigen Auf und Ab von Stil- und Richtungswechseln innerhalb der Gruppierung. Die zunächst streng eingehaltene kubistische Richtung drückt sich vor allem in der Keramik aus. Durchbrochen wird die Strenge wiederum von folkloristischen Momenten. So unterschiedlich die vielen Werke auf den Betrachter wirken mögen, eine Gemeinsamkeit verbindet sie alle. Sie sind Symbol für die Identitätssuche tschechischer Künstler und Designer. Besonders festlich wirkt auch die Räumlichkeit, in der die Ausstellung präsentiert wird. Anett Lamprecht:

„Die Ausstellung findet in einer ganz besonderen räumlichen Umgebung statt, nämlich in unserer Pfeilerhalle. Das ist ein ganz spezieller Ausstellungsraum. Er ist der einzige im öffentlichen Bereich so ausgestaltete Art déco-Saal in ganz Europa. Dreieckspfeiler prägen die Saalstruktur. In diese Dreieckspfeiler sind messinggerahmte Vitrinen eingebaut. Der ganze Saal erstrahlt in einem prächtigen, expressiven Farbklang von blau, rot und gold. Dadurch gehen die Objekte, die aus Prag zu uns gekommen sind, hier natürlich eine ganz besondere Verbindung mit dem Raum ein.“

Diese Harmonie von Form und Inhalt lassen die Ausstellung zu einem wirklich besonderen Erlebnis werden. Stilistisch geht die Architektur des in den ebenfalls zwanziger Jahren entstanden Saals mit den Ausstellungsstücken Hand in Hand. Sabine Epple verrät, was ihre Lieblingsausstellungsstücke sind:

„Ich persönlich mag die Arbeiten von Pavel Janák sehr gern. Er hat eine Menge Keramiken gefertigt. Das sind Stücke, die meines Erachtens sehr konsequent dieser kubistischen Linie treu bleiben. Seine Keramiken sind überwiegend kristallin ausgeprägt. Ein Beispiel ist diese berühmte kleine Dose, die wahrscheinlich jeder Tscheche schon einmal gesehen hat. Dieses Döschen ist auf allen Seiten noch einmal dreidimensional ausgebuchtet.“

In einem schlichten schwarz-weiß präsentiert sich Pavel Janáks Dose. Das wohl einzig Schlichte an diesem Döschen, das er im Jahr 1911 fertiggestellt hat. Tatsächlich kennen viele Tschechen die berühmte Box, die mittlerweile als Symbol des tschechischen Kubismus gefeiert wird. Doch das ist bei weitem nicht das einzige Ausstellungshighlight, weiß Anett Lamprecht:

„Besonders hübsch sind diese zauberhaften Spielzeuge. Artěl ging es beispielsweise auch um die Erneuerung der Volkskunst. Die einfachen Dinge hatten es ihnen angetan. Wir stellen wunderbare Keramikgefäße, -services und –vasen von Pavel Janák oder geschliffene Gläser von Josef Rosipal, Jaroslav Horejc oder Ladislav Sutnar aus. Sutnar ist mit seinen Baukastensätzen schon damals in den zwanziger und dreißiger Jahren auf unseren hauseigenen Grassimessen und verschiedenen Ausstellungen zu Gast gewesen.“

Ein Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Ausstellung. Das des Teufels. Man entdeckt ihn auf Glas- oder Holzgegenständen, als Herrn im Frack oder als gemütlichen, molligen Geistlichen. Vor allem Kinder erfreuen sich an dem immer wiederkehrenden Bild. Ob jung oder alt, die Besucher loben die Ausstellung, erzählt Anett Lamprecht:

„Das Feedback ist außerordentlich erfreulich. Es gibt Tage, da stehen die Besucher sogar an, um den tschechischen Kubismus sehen zu können. Die meisten sind verblüfft. Sie kennen zwar ähnliche Künstlervereinigungen wie die Wiener Werkstätte oder die Künstlerkolonie Mathildenhöhe, aber Artěl ist hierzulande weitgehend unbekannt. Insofern sind sie immer wieder davon überrascht, dass es auch in Prag so ausgeprägte Reformbewegungen mit einem so unverwechselbarem Charakter gegeben hat.“

Die Ausstellung verzeichnet seit Anfang März über 8000 Besucher. Vorschnelle Vergleiche werden von den Betrachtern viele gezogen, zum Beispiel auch mit dem Bauhaus. Sabine Epple meint dazu:

„Die meisten kennen den tschechischen Kubismus aus der Architektur. Auf dieses Thema gehen wir in dieser Ausstellung nicht ein. Architekturfotos stellen wir nicht aus. Wir präsentieren ausschließlich kleine, dreidimensionale Objekte. Da gibt es besondere Eigenarten. Diese spiegeln sich am deutlichsten in der Keramik wider. Die innovativen und modernen Formen des tschechischen Kubismus waren dem Bauhausdesign um einiges voraus. Die tschechischen Künstler haben sich sehr stark auf die Geometrie ihrer Arbeiten konzentriert. Funktionell konnten die Stücke nur selten überzeugen. Oft galten sie nur als ein Statement für Modernität.“

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schwappte die Idee von der Kunst als Handwerk wie eine Welle über Europa und beeinflusste eine Vielzahl von Künstlerbewegungen. In Leipzig wird nun diese Idee noch einmal aufgegriffen und verarbeitet. Anett Lamprecht fasst in knappen Worten das Ziel der Ausstellung zusammen:

„Uns ist wichtig, dass wir die Leistungen der tschechischen Reformer als einen gleichberechtigten, spezifischen Beitrag zur internationalen Designentwicklung präsentieren und ins öffentliche Bewusstsein tragen können.“


Das Grassimuseum für angewandte Kunst ist täglich, außer am Montag, von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Mehr Informationen über das Grassimuseum oder das Rahmenprogramm der Ausstellung finden Sie unter: www.grassimuseum.de.

Autor: Iwi Hagenau
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