Zeitzeugin Pavel über Studentenmarsch 1989: Es war eine schreckliche Angst in mir

17 ноября 1989г., Прага

Der Sturz des kommunistischen Systems in der Tschechoslowakei wurde durch eine Studentendemonstration am 17. November 1989 eingeleitet. Originalaufnahmen von dem Protestmarsch sind in der Regel entweder von schlechter Qualität oder ideologisch verfärbt. Radio Prag gibt deswegen den Bericht einer Augenzeugin wieder.

Samtene Revolution im Prager Nationalstrasse  (1989)
„Wir bogen in die Nationalstraße ein. Wir waren dann noch ungefähr 2000 Leute, die anderen kamen da gar nicht mehr rein. Wir guckten uns um und hinter uns näherte sich so eine Wand von Polizisten mit weißen Helmen und Schutzschildern – wir waren umzingelt. Wir kamen weder nach rechts noch nach links raus, noch nach vorn zum Wenzelsplatz. Es war damals eine wahnsinnige Kälte, jedenfalls habe ich das so empfunden. Es war eine schreckliche Angst in mir.“

Mit diesen Worten schilderte die Deutsche Ingrid Pavel ihre Eindrücke von der Studentendemonstration in Prag, die vor fast genau 20 Jahren zum Auslöser der Samtenen Revolution in der damaligen Tschechoslowakei wurde. Die von den kommunistischen Machthabern nicht gebilligte Demonstration war ursprünglich ein Gedenkmarsch, um an die Ermordung des ehemaligen Studentenführers Jan Opletal durch die Nazis 50 Jahre zuvor zu gedenken. Aus dem Gedenkmarsch wurde jedoch ein Protestmarsch gegen das Regime und der Zug schwoll an bis zu einer Stärke von 50.000 Menschen:

Samtene Revolution
„Ich glaube, da war jeder überrascht, und jeder fragte sich, wie er den Mut gefunden hat, sich diesem Zug anzuschließen. Aber diese Kraft, die von diesen überwiegend jungen Leuten ausging, die war wahrscheinlich so groß, und die Leute fühlten sich irgendwie so angesprochen und so sicher, dass sie sich sagten, ich kann da einfach nicht zurückstehen“, sagt Ingrid Pavel, die seit über 30 Jahren in Prag lebt und vor 20 Jahren als Journalistin für die Prager Volkszeitung arbeitete. Von dem Protestmarsch am 17. November 1989 hatte sie von einer Freundin erfahren. Noch heute weiß sie, dass die tschechischen Studenten zu ihrer Aktion auch von den damaligen Ereignissen in Deutschland, insbesondere vom Fall der Berliner Mauer inspiriert waren:

„Sie hatten Transparente, sie trugen Kerzen in den Händen. Wir gingen zum Beispiel an der DDR-Botschaft vorbei, also dem Gebäude, in dem sich heute das Goethe-Institut befindet. Jeder hatte ja die Ereignisse in der damaligen DDR verfolgt, und als wir hier vorbeizogen, da riefen alle: ´Prag grüßt Berlin!´ Dabei fühlten sich alle auch ein bisschen bestätigt, denn es war ja auch in den anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks einiges los, und daher musste auch hier einfach irgendetwas geschehen.“

Heute wissen wir: Es ist etwas geschehen. Aus der ČSSR wurden erst ein demokratischer Staat, dann später Tschechien und die Slowakei, zwei demokratische Länder, die inzwischen in der EU und der Nato sind. Für Ingrid Pavel aber bleiben die Ereignisse von 1989 in emotionaler Erinnerung:

„Ich war damals 1968 zufällig hier, als die Russen einmarschiert sind, und ich war am 17. November 1989 dabei. Im Nachhinein muss ich schon sagen: Ich bin froh, dabei gewesen zu sein, denn es ist doch schließlich ein Stück Geschichte.“