Prager Kinos während des Protektorats

Vergangene Woche fand in Prag eine internationale Historikerkonferenz statt, die sich mit dem Alltagsleben okkupierter europäischer Großstädte während des Zweiten Weltkriegs befasste. Im nun folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte stellt Ihnen Katrin Bock einen Aspekt dieses Alltagslebens vor: das Kino.

Madla zpiva Evrope,  1940
Über 100 Kinos gab es während des Zweiten Weltkrieges in Prag, es fanden Konzerte und Ausstellungen statt, Cafes luden zum Nachmittagstee ein und bis Ende November 1944 spielten die Theater. Auch dies gehört zu den Details des Alltagslebens in vom Dritten Reich okkupierten Großstädten Europas. Mit diesem befassten sich vergangene Woche Historiker aus acht Ländern in Prag. Zu der internationalen Konferenz hatte das Archiv der Stadt Prag, das Institut für internationale Studien der sozialwissenschaftlichen Fakultät in Prag sowie das Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa an der Heinrich Heine Universität in Düsseldorf eingeladen. Dessen Leiter, Prof. Detlev Brandes erläutert das Ziel der Konferenz:

"Die Konferenz behandelt das Leben in den von den nationalsozialistischen Machthabern besetzten Großstädten in Europa. Zielrichtung ist es, ein bisschen wegzukommen von der allgemeinen Geschichte - sagen wir mal der Besatzungspolitik in Polen - hin zum Alltag der Menschen, also näher zu den Betroffenen. Und dafür eignet sich Stadtgeschichte besonders gut."

Ähnelte sich die Situation in den Städten? Gibt es irgendwelche Besonderheiten, die es nur in Prag gab?

"Es gab natürlich vieles, was gleich war: die nationalsozialistischen Machthaber, die Vernichtung der Juden, die Einschränkung des politischen Lebens, die Not der Menschen, sehr häufig litten sie an Hunger, in manchen mehr Städten wie Warschau und Athen starben 10.000e an Hunger. Das war in Prag nicht der Fall. Andererseits kann man sagen, dass wegen der rüstungswirtschaftlichen Bedeutung des Protektorats und auch der Stadt Prag das Regime seine Endziele während des Krieges nur in kleinen Schritten zu verwirklichen begann. Die Menschen sollten ruhig gehalten werden, um keinen Widerstand zu provozieren. Unterschiede gibt es wirklich sehr krasse, zum Beispiel zu Warschau."

Wir haben ein Referat gehört über Kinos während der Okkupation. In Prag gab es 110 - das war wahrscheinlich in anderen okkupierten Städten wie Warschau nicht der Fall?

"Wenn man so eine Rangfolge der Städte machen und die Städte zusammenfassen würde, in denen das Leben am unerträglichsten war, gehört da sicher Warschau dazu, und Belgrad, Minsk, Kiew. Im östlichen Europa ist das Leben in Prag im Alltag nicht ganz so unerträglich gewesen. Und diese Filme zum Beispiel, die in Massen gezeigt wurden und auch in Massen besucht wurden, sind ja nicht alle politische Filme gewesen. Und das Gleiche gilt für den Kunstbetrieb, der lief in einer bestimmten Form weiter. Die Politik war, eine Richtung zu unterstützen, die von dem damaligen Staatspräsidenten Hacha repräsentiert wurde: Also eine Richtung der Anpassung bei Beibehaltung gewisser nationaler Besonderheiten und Unterwerfung allerdings natürlich unter den deutschen Machtanspruch."

In Prag entstanden zwischen 1939 bis 1945 über 100 tschechische Filme - unter anderem auch jener aus dem Jahre 1940, aus dem die soeben gehörte Musik stammt. Gezeigt wurden diese Filme in den über 1100 Kinos des Protektorats. Auch im europäischen Vergleich ist diese Zahl sehr hoch. Mit der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren im März 1939 nahm die Zahl der Kinos keinen falls ab - es änderte sich jedoch die Besitzstruktur, wie der Historiker Dr. Petr Bednarik erläutert, der sich eingehend mit der Geschichte des Kinos vor und während des Protektorats beschäftigte.

"Die Zuschauer haben diese Veränderungen eigentlich nicht bemerkt - die Filme liefen weiter wie bisher. Einige Namen änderten sich allerdings. So wurde aus dem Kino Broadway zum Beispiel das Kino Viktoria. Die Deutschen hatten insbesondere Interesse an den großen Premierenkinos, die jüdischen Besitzern gehörten. Diese wurden gleich 1939 enteignet. Während des Protektorats hatten dann die UFA-Filme hier ihre Premieren. Die Kinos, die den nun verbotenen Turnvereinen Sokol und Orel gehört hatten, funktionierten unter deutscher Verwaltung bis Kriegsende weiter."

Während an den Fronten Tausende von Soldaten starben, vergnügten man sich im Protektorat im Kino - 1944 registrierten die Kinos in Böhmen und Mähren beispielsweise über 32 Millionen Zuschauer. Welche Politik stand hinter diesem scheinbaren Gegensatz?

"Ich glaube, in diesem Fall galt Goebbels Auffassung vom Kino als Quelle des Vergnügens und der Ablenkung. Die Deutschen hatten Interesse daran, dass viele Kinos funktionierten, damit die Leute dorthin gingen, sich zwei Stunden vergnügen und am nächsten Tag wieder arbeiten. Goebbels setzte auch im Deutschen Reich durch, dass vor allem Komödien und Musikfilme gedreht wurden und keine Propagandafilme. Im Protektorat liefen eigentlich keine deutschen Propagandafilme, lediglich die Wochenschauen vor dem Hauptfilm. Die bekanntesten Propagandafilme des Dritten Reichs wurden in Prag nur NSDAP-Mitgliedern und Wehrmachtssoldaten gezeigt."

Auch unter deutscher Besatzung entstanden tschechische Filme. Diese waren oftmals sehr patriotisch angehaucht. Der erfolgreichste Film jener Jahre war einer über den Komponisten Frantisek Kmoch, in dem viel tschechische Blasmusik zu hören war. In so gut wie jedem Film jener Zeit durften Aufnahmen von für Tschechen wichtigen nationalen Denkmälern wie der Karlsbrücke oder der Prager Burg nicht fehlen - ob sie nun zum Inhalt passten oder nicht. Dr.Petr Bednarik erklärt das Phänomen, dass diese national-tschechischen Filme nicht verboten wurden, folgendermaßen:

"Ich denke, die Deutschen wussten genau, was die Filme beinhalten. Im Filmreferat des Protektorats arbeiteten Sudetendeutsche, die Tschechisch sprachen und die Kultur kannten und Anspielungen in den Filmen bestimmt erkannten. Meiner Meinung nach wurden diese Filme deswegen erlaubt, damit der Zuschauer im Kino zwei Stunden lang das Gefühl hat, einen gewissen Widerstand gegen die Deutschen auszuüben, da er tschechische, nationale Dinge anschaut, und sich dabei an die nationale Tradition erinnert. Aber nach dem Ende des Films geht jeder dann schön nach Hause. Die Deutschen dachten sich: Lassen wir sie diese Filme drehen und im Kino mitfühlen. Besser Widerstand im Kino als in der Realität, denn wenn der Film endet, gehen sie nach Hause oder zur Arbeit."

Beliebt waren in jenen Kriegsjahren sowohl bei Tschechen als auch Deutschen vor allem Komödien und üppig inszenierte Musikfilme, in denen es weder Lebensmittelkarten, noch Bombenalarm oder Soldaten gab.

"Die Filme mit Heinz Rühmann waren auch beim tschechischen Publikum beliebt, ebenso wie die Musikfilme der Wienfilm mit Willy Forst. Während des Krieges entstanden immer weniger tschechische Filme - 1944 waren es noch 10 - und so schaute man sich die deutschen Komödien und Musikfilme an, die waren auch beim tschechischen Publikum sehr beliebt."

Während die Tschechen eher in den Prager Außenbezirken ins Kino gingen, hatten die Deutschen das Prager Zentrum fest in ihrer Hand, so Dr. Petr Bednarik:

"Aus Erinnerungen wissen wir, dass die Deutschen vor allem die Kinos im Prager Zentrum besuchten. Das Stadtzentrum war sehr beliebt bei den Deutschen, auch die Wehrmachtssoldaten gingen in ihrer Freizeit hier ins Kino. Die tschechischen Filme hatten zwar deutsche Untertitel, aber das Angebot an deutschen Filmen war so groß, dass an den tschechischen kaum Interesse bestand. Man kann sagen, dass hier in Prag die gleichen Filme wie in Deutschland liefen."

Einige der Kinos aus den 30er Jahren gibt es heute noch im Prager Zentrum. Und viele der während des Protektorats entstandenen tschechischen Filme gehören heute zum festen Bestandteil des Fernsehprogramms am Sonntagnachmittag.