Leben im gottvergessenen Ort Ostmährens im Wahljahr 2006

Gemeinde Zitkova (Foto: www.zitkova.cz)

Vor genau einer Woche haben in Tschechien Parlamentswahlen stattgefunden. Radio Prag hat, wie viele von Ihnen wissen, am Samstag ausführlich über das Geschehen rund um die Wahlen informiert. Zum Teil auch vor Ort, nämlich aus einigen Parteizentralen in Prag, sowie aus Wahllokalen. Eindrücke sammelten wir via Telefon aber auch aus einer weit von der Hauptstadt entfernten Ortschaft, um etwas mehr über das Wahlgeschehen zu erfahren. Aus aktuellem Anlass hat sich Jitka Mladkova jedoch auch für das dortige Leben allgemein interessiert. Gemeinsam mit ihr können Sie jetzt in der neuen Folge unserer Sendereihe Panorama.CZ die beinahe gottvergessene Ortschaft Zitkova in Ostmähren besuchen:

Der Ortsname "Zitkova" ist hierzulande keineswegs allgemein bekannt. Und das trotz der Tatsache, dass sich die Schriftstellerin Kveta Legatova in dieser kleinen Gemeinde zu ihrer Novelle "Zelary" hat inspirieren lassen, die verfilmt und anschließend 2004 auch für den Auslandsoscar nominiert wurde.

In Zitkova, 320 Kilometer östlich von Prag, kann man das Gefühl haben, ans Ende der Welt geraten zu sein. Ans Ende Tschechiens sowieso, denn die Straße, die nach Zitkova führt, endet hier auch. Nur einen Steinwurf entfernt ist am Horizont hinter den steilen tief abfallenden Hängen die Slowakei zu sehen. Mitten in der wunderschönen Natur der Weißen Karpathen stehen hier 200 Häuser mit etwa 250 Bewohnern, davon 165 Wählern wohl gemerkt. Das Leben von heute unterscheidet sich in mancher Hinsicht nicht viel von dem in der Zwischenkriegszeit, das Kveta Legatova in ihrem Buch Zelary beschrieben hat. Nicht nur im Buch, sondern auch im realen Leben gab es in der Gemeinde noch in den ersten Nachkriegsjahren keinen Strom und bis 1950 verkehrte kein Bus bis nach Zitkova.

Film Zelary
Wie es heute in dem kleinen Dorf aussieht und wo der sprichwörtliche Schuh seine Bewohner drückt, das habe ich von der Bürgermeisterin Hana Hargasova erfahren. Im Zusammenhang mit den gerade stattfindenden Wahlen fragte ich sie, ob auch in Zitkova wie in den Oberetagen der hohen Politik die "Steuerreform" das bestimmende Wahlthema war:

"Die Steuern waren bei uns selbstverständlich nicht das Hauptthema. Auf der anderen Seite aber sind die Steuern für die Gemeinde sehr wichtig. Wissen Sie, die Steuersenkung freut uns nicht, denn damit sind die Möglichkeiten des Gemeinderates, etwas für die Dorfbewohner zu tun, beschnitten. Mit der Steuersenkung sinken auch die Einnahmen in der Gemeindekasse. Aus Sicht der Bürger ist es natürlich positiv, für das Dorf insgesamt ist es aber ein großer finanzieller Verlust."

Ja, auch 100 000 Kronen, etwa 3000 Euro, seien für ein kleines Dorf sehr viel, geschweige denn 200.000 oder 300.000, sagt die Bürgermeisterin. Sie habe sich bei Treffen mit Vertretern verschiedener Parteien wiederholt dafür interessiert, in wie weit sie im Bilde sind, welche Folgen reduzierte Steuereinnahmen für die kleineren Gemeinden hätten. Und was hat sie erfahren?

"Einige Parteien sagten: Ja, wir wissen es und wollen versuchen, einen Ausweg zu finden, damit die Gelder für die Budgets dieser Gemeinden gerecht zum Wohle ihrer Entwicklung umverteilt werden. Und daran haben sich unsere Wähler zum Teil auch orientiert und jene Parteien gewählt, die etwas versprochen haben."

Für den Wahlsieger, die Demokratische Bürgerpartei (ODS) sieht Hargasova einen optimalen Koalitionspartner:

"Die Christdemokraten haben vor der Wahl versprochen, sich auch auf das Steuerthema zu konzentrieren, um die faktische Liquidierung der kleinen Gemeinden zu verhindern."

Die Christdemokraten (KDU-CSL) sind in Zitkova als Siegerpartei aus den Wahlen hervorgegangen. Kleinen Gemeinden geht es in der Tat ums Überleben.

Denn die Steuereinnahmen der tschechischen Gemeinden, die je nach Einwohnerzahl in insgesamt 14 Kategorien aufgeteilt sind, fallen sehr unterschiedlich aus. Wobei als Faustregel mehr oder weniger die einfache Arithmetik gilt: Je weniger Einwohner, desto geringer sind auch die Zuschüsse. Frau Hargasova spricht von negativen Konsequenzen, die diese Situation für kleine Kommunen hat:

"Damit wird wirtschaftlicher Druck auf die kleinen Gemeinden ausgeübt, sich wieder in die größeren zu integrieren, wie es früher war. Nicht etwa durch direktive Leitlinien, sondern mittels ökonomischer Instrumente treibt man uns in eine Situation hinein, in der uns nichts übrig bleibt als eines schönen Tages zu sagen: Es tut uns leid, aber wir können nicht weiter überleben und müssen uns mit einem größeren Partner vereinen. Unsere Bürger wollen das aber nicht, da sie mit diesem Modell in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht haben."

Was sind die schlechten Erfahrungen aus der Vergangenheit, hake ich gleich ein. Die Antwort kommt sozusagen postwendend:

"Bei uns hat man eine lange Zeit nichts gebaut: Keine Straßen, keine Straßenbeleuchtung, keine Wasserleitung usw. Kurz gesagt, die Dörfer, die nur als Satelliten überlebten, hatten keine Möglichkeit sich zu entwickeln."

Negative Folgen hatte für Zitkova auch die Teilung der Ex-Tschechoslowakei in zwei selbständige Staaten. Es war keine Ausnahme, dass ein Bewohner von Zitkova ein Haus auf der tschechischen und ein Grundstück auf der slowakischen Seite hatte, doch beides war nur über eine Straße auf slowakischem Gebiet erreichbar. Frau Hargasova erinnert sich:

"Vor der Teilung der ehemaligen Tschechoslowakei in zwei selbständige Staaten war der untere Teil der Gemeinde Zitkova nie an das staatliche Straßennetz angeschlossen. Für die Einwohner bedeutete das, dass sie vier Kilometer weit zur nächsten, im oberen Teil der Gemeinde gelegenen Bushaltestelle laufen mussten. Einige mussten um halb vier oder um drei Uhr in der Früh aufstehen, um den 5-Uhr-Bus zu erreichen, der sie zur Arbeit brachte."

Kompliziert sei es auch für die Schulkinder gewesen, zur Schule zu kommen, vor allem im Winter, sagt Hargasova. Paradoxerweise hat diese Situation anschließend auch etwas Positives mit sich gebracht. Zitkova ist letzten Endes nicht von der Außenwelt abgeschnitten geblieben. Erst im vergangenen Jahr wurde die Verbindung der Gemeinde mit dem Hauptstraßenzug der Region durch eine drei Kilometer lange Straße vollendet. Renoviert wurde auch das kommunale Straßennetz, was für die Bewohner von großer Bedeutung ist. Schließlich sind die Häuser auf einer Fläche von 610 Hektar verstreut! Die Bürgermeisterin ist aber unüberhörbar stolz auf jeden Erfolg bei der Umsetzung des Ausbauprojektes ihres Dorfes. Ihre Aufzählung geht folgendermaßen weiter:

"Unser Gemeinderatshaus wurde von Grund auf renoviert, wobei im Dachboden auch drei neue Wohnungen errichtet worden sind. Für unsere geringe Einwohnerzahl bei uns ist das, denke ich, ein positiver Beitrag. Wir bemühen uns auch um die Erweiterung des Wasserleitungs- und Straßenbeleuchtungsnetzes. Um unsere Mitbürger auf dem Laufenden zu halten, was in der Gemeinde vor sich geht, haben wir bei uns ein Radionetzwerk angelegt. Renoviert wurde auch der Fußballplatz. Unsere kleine Gemeinde hat nämlich einen Fußballklub, dem wir unter die Arme greifen. Zuletzt wurde die Garderobe für unsere Fußballer renoviert. Das sind wohl Kleinigkeiten, aber für uns sehr wichtige."

Probleme und Erfolge der ostmährischen Gemeinde Zitkova waren die Schwerpunkte des Gesprächs mit der Bürgermeisterin Hana Hargasova. Abschließend habe ich sie um eine kleine Visitenkarte ihres Dorfes gebeten, eine Visitenkarte von Zitkova, die potentielle Besucher anlocken könnte. Gerade auf den Tourismus, einen gemäßigten wohlgemerkt, will man dort in absehbarer Zukunft setzen:

"Zur Besichtigung bietet sich unsere schöne Natur im Naturschutzgebiet der Weißen Karpaten an. Nicht nur Ausländer, sondern auch viele Tschechen kennen dieses Gebiet nicht. Wenn sie dann zu uns kommen, wundern sie sich, dass es hierzulande so etwas überhaupt noch gibt, nämlich absolut saubere Natur. Unser "Vorzeigeartikel" sind die wunderschönen Wiesen mit unter Naturschutz stehenden Pflanzen, vor allem aber mit Wiesenorchideen. Einige zum Teil auch bedrohte oder kritisch bedrohte Pflanzenarten sind faktisch nirgendwo anders in Tschechien zu finden, als bei uns!"

Ein kleines touristisches Zentrum mit einer Kapazität von 15 Betten soll bald in Zitkova zur Verfügung stehen. Mehrere Fahrradtrassen werden schon seit einiger Zeit von tschechischen und slowakischen Touristen genutzt. Und ganz zum Schluss ein Versprechen: Nachdem wir heute einen kleinen Blick nach Zitkova geworfen haben, möchte ich Sie in einer der nächsten Ausgaben der Sendereihe Panorama CZ in das Naturschutzgebiet "Weiße Karpaten" einladen.