Die jüdische Gemeinde in Prag im 20. Jahrhundert

Das 20. Jahrhundert ist das Jahrhundert des Holocaust, von dem auch die tschechischen Juden nicht verschont blieben - nur ca. 15 Prozent der jüdischen Bevölkerung in den Böhmischen Ländern überlebte den Zweiten Weltkrieg. Dies hatte natürlich auch Auswirkungen auf das Leben der jüdischen Gemeinden, denen im 20. Jahrhundert nur wenige Jahrzehnte der ruhigen Entwicklung gegönnt waren.

Laut der ersten Volkszählung in der Tschechoslowakei von 1921 lebten 127.000 Juden in den Böhmischen Ländern, diese Zahl sank bis 1930 auf 117.000. Ein Grund für diese Abnahme war neben der schwachen Geburtenrate die zunehmende Assimilierung der Juden, die in Volkszählungen ihren Glauben nicht mehr angaben. Die Zeit der ersten Republik war eine Zeit, in der es zu vielen Kirchenaustritten kam - bei Christen ebenso wie bei Juden. Die jüdische Bevölkerung integrierte sich und bildete einen unteilbaren Bestandteil der Gesellschaft. Juden gehörten wie selbstverständlich zu den Eliten in Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Dabei bildeten sie keine homogene Masse, es gab Liberale und Konservative, Deutsch- und Tschechischsprechende, Kommunisten und Nationalisten unter ihnen.

1939-1945

Nach der Errichtung des Protektorats im März 1939 begannen auch die Juden in den Böhmischen Ländern die Folgen der Nürnberger Gesetze zu spüren. Bereits im Oktober 1939 verließ ein erster Transport das mährische Ostrava- Ostrau Richtung Osten. Im November 1941 traf der erste Transport aus Prag in Theresienstadt ein, das zum Ghetto wurde. Bis Mai 1945 wurden hier 75.000 Juden aus den Böhmischen Ländern interniert, die wenigsten von ihnen überlebten. Vor Beginn der Deportationen aus Prag im November 1941 lebten hier 39.400 Juden - 7540 von ihnen überlebten den Krieg. Viele Hoffnungen der Zurückgekehrten erfüllten sich nach Kriegsende nicht. Wiedersehen mit überlebenden Familienangehörigen und Freunden waren äußerst selten, hinzu kam, dass von den Nazis konfisziertes Eigentum nun im Besitz des Staates oder tschechischer Privatpersonen war. Die Hoffnung auf eine Rückgabe dieses Eigentums starb mit der Machtergreifung der Kommunisten im Februar 1948 endgültig.

Die Überlebenden fanden 1945 in der Tschechoslowakei eine veränderte Heimat vor - die Deutschen waren vertrieben, die Tschechoslowakei wurde ein Nationalstaat ohne Minderheiten. Dr. Blanka Soukupova von der Prager Karlsuniversität beschreibt die Situation wie folgt:

"Den Juden in den Böhmischen Ländern wurde als einzige Alternative des weiteren Schicksals angeboten, sich mit dem tschechischen Volk zu identifizieren. Die so genannte Aussiedlung der Deutschen, die Bemühung um eine ethnische Homogenität des Raumes fanden bei den nachkriegerischen jüdischen Repräsentation eine eindeutige Zustimmung."

Die jüdische Gemeinde in Prag nahm gleich nach Kriegsende wieder ihre Tätigkeit auf, doch viele der Überlebenden traten nicht mehr ein und zogen eine völlige Assimilierung vor. Die Anfänge der jüdischen Gemeinde schildert Dr. Blanka Soukupova:

"Schon vom Mai 1945 erfüllte die Gemeinde ausgedehnte Sozialfunktionen. Sie zahlte den Rückkehrern einmalige Unterstützungen, den Bedürftigen Sozialunterstützungen. Sie verteilte Lebensmittel und Kleidergeschenke aus dem Ausland. Weiter errichtete sie eine Databasis der Zurückgekehrten und eine Rechtsberatungsstelle. Die Kultabteilung erneuerte Hochzeitsabhandlungen, die Distribution der Ritualgegenstände."

1948-1968

Die kurze Zeit der Konsolidierung wurde durch die Machtergreifung der Kommunisten im Februar 1948 unterbrochen. Die damalige Leitung der jüdischen Gemeinde sah keinen Grund, gegen den Regierungswechsel zu protestieren, wie Dr. Soukupova anführt:

"Den Februar Umsturz 1948 begrüßte die personal abgeänderte Judenrepräsentation loyal. Den kommunistischen Präsidenten Gottwald nahm sie positiv an. Auch die Beziehung zu Juden in Palästina und die Tatsache, dass Gottwald 1948 den ersten Gesandten des Staates Israel annahm, wurde geschätzt. Faktisch natürlich kam es schon in den Nachfebruartagen zur Liquidation der Judenkorporationen."

1948 war die Tschechoslowakei eines der ersten Länder, das Israel anerkannte. Den Kampf um die Errichtung des Landes hatte Prag unterstützt, man lieferte Waffen, bildete Piloten in der Tschechoslowakei aus, gründete sogar eine Freiwilligeneinheit, die für ein unabhängiges Israel kämpfte. Die guten Beziehungen trugen ihre Früchte. Von 1948 bis 1951 wanderten tausende Juden aus der Tschechoslowakei nach Israel aus.

Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts stellen jedoch ein dunkles Kapitel in den tschechisch-jüdischen Beziehungen dar. Unter dem Einfluss der Sowjetunion erlebte das Land eine antisemitische Welle, Juden wurden aus kulturellen und politischen Leben ausgeschlossen - Höhepunkt waren politische Schauprozesse gegen ehemals führende Kommunisten jüdischen Ursprungs. Stellvertretend für alle sei an den ehemaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Rudolf Slansky, erinnert, der 1952 hingerichtet wurde. Die jüdische Gemeinde selbst verhielt sich zu jener Zeit loyal, dazu Dr. Blanka Soukupova:

"Die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts waren der Zeitabschnitt, wann die Judenrepräsentation durch den Tausch für eine unbedingte Loyalität zum Regime kleine Zugeständnisse im Gebiet des Religions- und Gesellschaftslebens gewann. Z.B. in Prag fungierte Mikwe, Fleischversorgung aus den Ritualschlachtung, Ritualrestaurant, ein Judenaltersheim; Religionsunterricht wurde geduldet."

Zu einer Belebung des jüdischen Lebens kam es während des Prager Frühlings Mitte der 60er Jahre. Man wagte, sogar Forderungen zu stellen und die Gesellschaft zu kritisieren, wie Dr. Blanka Soukupova erläutert:

"Erstmals erklang öffentlich die Beschuldigung der Majoritätsgesellschaft und der Regierung wegen ihrer Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern der Shoah, des Mangel an Pietät zu Opfern von Hitlers Rassenpersekution. Erstmals öffentlich schrieb man vom Antisemitismus der 50er Jahre. Die Juden forderten eine öffentliche Verurteilung des Antisemitismus in den politische Prozessen Ende der 40 er und der ersten Hälfte der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts."

1968 bis heute

Doch auch diese Hoffnungen wurden wie so viele andere jener Zeit am 21. August 1968 von sowjetischen Panzern zerstört. Es setzte eine Emigrationswelle ein, von der auch die jüdischen Gemeinden betroffen waren:

"Aus der Tschechoslowakei emigrierten 4.000 Juden, vorwiegend nach Israel. Im Frühling 1969 führte Gustav Husak einen harten normalisierenden Druck mit der notwendigen antisemitischen und gegenisraelitischen Stimmung ein."

Während jener Normalisierung wurde der Holocaust offiziell angezweifelt, den Juden wurde sogar eine Zusammenarbeit mit den Nazis vorgeworfen. Jüdische Kulturdenkmäler, Friedhöfe und Synagogen verfielen. Der Staat kümmerte sich nicht um das Vermächtnis dieser Kultur und des Holocaust. Die Samtene Revolution von 1989 kam für die jüdische Gemeinde in Prag kurz vor 12. Damals hatte sie nur 700 Mitglieder, das Durchschnittsalter lag dabei bei 80 Jahren.

"Das Jahr 1989 traf die nichtzahlreiche Judenminorität meinungsvereinigt. Im Verlauf der ersten drei Jahre nach dem Umsturz verankerte sich die Minorität in der gesellschaftlichen Realität. Es begann aber ihre Meinungsdifferentiation, die bis heute fortsetzt. Wichtig wurde der Widerspruch zwischen der rechtgläubigen und der liberalen Auffassung bei der Aufnahme in die Gemeinde."

Heute hat die jüdische Gemeinde in Prag rund 1.600 Mitglieder, das Durchschnittsalter sank auf 57 Jahre. Die erwähnten Meinungsverschiedenheiten führten in den letzten Monaten zu einer erbitterten Auseinandersetzung in der Gemeinde, die durch Neuwahlen des Vorstands dieser Tage beigelegt werden soll.