Fall der Berliner Mauer ist in CSSR auf zwiespältige Reaktion gestoßen

Am 9. November 1989, also vor genau 15 Jahren, ist inmitten der heutigen deutschen Hauptstadt die Berliner Mauer gefallen. Ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung, dass auch in der damaligen Tschechoslowakei nicht ohne Widerhall geblieben ist. Welchen Einfluss es seinerzeit vor allem auf die jungen Tschechen ausgeübt hat, darüber sprach Lothar Martin mit dem damaligen Gymnasiasten und heutigen Politologen Robert Schuster.

Die Berliner Mauer am 9. November 1989
Herr Schuster, heute vor 15 Jahren ist in Berlin die gleichnamige Berliner Mauer gefallen. Kann man aus Ihrer Sicht sagen, dass der Mauerfall in Berlin auch eine Art Fanal für die tschechischen Bürger war, vor allem für die jungen Tschechen, etwas hier in ihrem eigenen Land zu unternehmen, oder hat man das eher als eine reine deutsche Angelegenheit angesehen?

Schuster:"Nein, ich denke nicht. Sicherlich war es so, dass die Öffnung der Berliner Mauer schon von vielen Angehörigen meiner Generation - ich war damals 15 Jahre alt - als etwas wirklich ganz Neues und in dieser Form auch als etwas Unerwartetes angesehen wurde. Man muss es so sehen: Keine andere Grenze war ja damals mehr oder weniger undurchdringlicher und dichter als eben die Berliner Mauer, also jene Mauer, die West- und Ostberlin geteilt hat. Und dass dann gerade in diesem Teil des damaligen Ostblocks die Tore bzw. Schranken geöffnet wurden, das war vor allem für uns Jugendliche ein wirklich großes Erlebnis."

Hat der Fall der Berliner Mauer eine Art Symbolcharakter für den Zusammenbruch des kommunistischen Regimes, oder ist er vielleicht sogar der Höhepunkt gewesen von dem Umbruch, den man damals zunächst nicht für möglich gehalten hat?

Berliner Mauer
Schuster:"Er hat auf jeden Fall Symbolcharakter gehabt, denn diese Grenze war wirklich inmitten der Stadt, und ich denke, damals am 9. November 1989 ist die erste Vorentscheidung gefallen, dass es früher oder später zu einer langsamen Verschmelzung bzw. Vereinigung dieser beiden Länder kommen wird. Was ich von vor 15 Jahren persönlich noch in Erinnerung habe, ist folgendes: Ich war damals Gymnasiast und meine Mitschüler und ich haben seinerzeit natürlich viel über dieses Ereignis gesprochen, das sich ja nur eine Woche vor Beginn der Revolutionstage in der ehemaligen Tschechoslowakei abgespielt hatte. Und ich habe damals die Erfahrung gemacht, dass einige meiner Mitschüler die Meinung vertraten: ´Gut, das heißt, jetzt fällt die Berliner Mauer, das heißt, es wird bald zur Wiedervereinigung Deutschlands kommen, und das heißt, dass wieder an der Westgrenze unseres Landes ein neuer, potentieller Gefahrenherd auftauchen wird´. Das heißt, da wurde quasi von einigen meiner Mitschüler schon wieder das Bild des hässlichen, des großen und des gefährlichen Deutschlands an die Wand gemalt. Da sieht man doch, wie weit die Vorstellungen seinerzeit schon in einigen jungen Köpfen gereicht haben. Natürlich ist es dann zum Glück ganz anders gekommen, aber diese Ängste und Assoziationen sind damals, beim Erblicken des buchstäblichen Mauerfalls, tatsächlich bei mehreren Tschechen aufgekommen."

Also kann man zusammenfassend sagen, dass der Mauerfall in der damaligen Tschechoslowakei mit zwiespältigen Gefühlen aufgenommen wurde - zum einen als Symbol der Überwindung des alten Regimes, zum anderen sah man schon wieder die Neubildung eines Landes, mit dem man in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht hat...

Berliner Mauer Heute
Schuster:"...Exakt! Man hat es gesehen und daher gemeint: Also, wenn jetzt schon die Berliner Mauer aufgeht, dann kann es ja auch bei uns nicht mehr allzu lange dauern. Und es war ja dann in der Tat so, dass schon einige Tage später das Regime in der Tschechoslowakei seinem Ende entgegen sah bzw. mehr oder weniger besiegt wurde. Das war das Eine. Aber das Andere, wenn ich jetzt so im Nachhinein darüber nachdenke, hat mich im negativen Sinne schon überrascht. Nämlich dass Leute in meinem Alter schon damals von diesen alten Denkmustern erfasst wurden, die sie wahrscheinlich von zu Hause, von den Eltern mitbekommen haben: Also Vorsicht, da im Westen entsteht jetzt ein neues, ein großes und damit auch ein gefährliches Deutschland. Da sieht man wieder, wie oft eigentlich von zu Hause aus, ja von Klein auf Kinder und Jugendliche in einer gewissen Sichtweise erzogen wurden. Das hat dazu geführt, dass sie gerade in den ersten Jahren, als es noch keine objektiven Informationen gegeben hat, sehr stark von dieser Erziehung beeinflusst wurden und dass ihre Meinungen und Standpunkte dementsprechend geprägt waren. Das ist heute zum Glück ganz anders."