60. Jahrestag des Slowakischen Nationalaufstands

Die Schlacht um den Dukla-Pass

Im nun folgenden Kapitel aus der tschechischen Geschichte erinnert Katrin Bock ausnahmsweise an ein slowakisches Ereignis, das jedoch auch für die tschechische bzw. tschechoslowakische Geschichte von großer Bedeutung ist. Die Rede ist vom slowakischen Nationalaufstand, der vor 60 Jahren, am 29. August 1944, begann.

Als am 15. März 1939 Wehrmachtstruppen in Böhmen und Mähren einmarschierten und das Protektorat Böhmen und Mähren entstand, wurde in Bratislava die slowakische Republik ausgerufen. Für viele Slowaken hatte sich anscheinend ein Traum erfüllt: erstmals in der Geschichte hatten sie einen eigenen Staat. Doch dieser war ein Vasallenstaat des Dritten Reiches und völlig von diesem abhängig. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wuchs in der Slowakei die Unzufriedenheit mit der eigenen, faschistischen Regierung unter Kardinal Tiso. Die Soldaten der slowakischen Armee, die an der Ostfront auf Seiten der Wehrmacht kämpften, desertierten zu hunderten und schlossen sich der Roten Armee an. Die 1942 einsetzende Deportation slowakischer Juden erregte den Unmut der Bevölkerungsmehrheit. Widerstand formierte sich, doch dieser war nicht einheitlich. Es gab die Kommunisten, die Armeekreise und die Anhänger von Vorkriegsparteien. Jeder hatte andere Ziele und Vorstellungen. Ende 1943 entstand aus diesen Gruppen der illegale Slowakische Nationalrat. Widerstandskämpfer in der slowakischen Armee bereiteten seit Anfang 1944 in Zusammenarbeit mit der tschechoslowakischen Exilregierung in London einen Aufstand vor. Dieser sollte nicht nur die slowakische faschistische Regierung stürzen, sondern auch zur Wiederherstellung der Tschechoslowakei führen.

Der heute 83jährige Vaclav Vasko war im August 1944 Student in Bratislava:

"Als am 29. August der Aufstand ausbrach, war ich zunächst ziemlich verwirrt, weil der slowakische Rundfunk verkündete, dass die Kommunisten den Aufstand durchführen und mit denen wollte ich nichts zu tun haben. Später kamen andere Nachrichten hinzu. Ich bin dann zu meinen Eltern nach Banska Bystrica gefahren, wo das Zentrum des Aufstands war, und bin in das so genannte Hochschulregiment der Armee eingetreten, wo wir eine kurze militärische Ausbildung erhielten."

In der Tat herrschte zunächst einige Unklarheit darüber, wer wann den Beginn des Aufstands erklärt hatte. Denn der ursprüngliche Plan der illegalen slowakischen Armeeführung sah anders aus: man wollte der von Osten kommenden Roten Armee die Wege über die Gebirgspässe öffnen. So sollte die Slowakei als Ganzes relativ schnell befreit und von der Roten Armee besetzt werden. Doch - wie sooft - war die Realität anders:

Jozef Tiso
"Die Front näherte sich von Osten, die Rote Armee kam näher. Ihr kamen Fallschirmspringer voraus, die dann vor allem in der Ost- und Mittelslowakei als Partisanen wirkten. Denen schlossen sich vor allem kommunistisch orientierte Slowaken an. Die Armee, die den Aufstand vorbereitete, warnte, dass diese Gruppen ja nichts Unbedachtes unternehmen sollten, um den Plan nicht zu stören, doch die sowjetischen Partisanen richteten sich nicht danach. Und so kam es Ende August an verschiedenen Orten zu Überfällen auf Deutsche. Und dann hat die slowakische Regierung tatsächlich auf Druck Berlins die Wehrmacht um Hilfe gebeten und am 28. August kamen deutsche Truppen."

Bisher war die Slowakei nicht von Wehrmachtstruppen besetzt gewesen. Dies änderte sich nun. Und damit auch die Pläne der Aufständischen, dazu Vaclav Vasko:

"Der Plan der illegalen Armeeführung sah vor, dass der Aufstand beginnt, wenn die Rote Armee die slowakische Grenze erreicht. Es gab aber noch einige Alternativpläne. Einer sah vor, dass der Aufstand beginnt, wenn deutsche Truppen die Slowakei besetzen - und das war nun der Fall. Aber die Situation war damals ziemlich verwirrend und so versagten z.B. die beiden slowakischen Einheiten im Osten des Landes, die die Bergpässe sichern sollten, vollkommen und wurden schnell von der Wehrmacht entwaffnet und überwältigt."

Die Schlacht um den Dukla-Pass
Dies war für die näher rückende Rote Armee von verheerenden Folgen. Bei der am 9. September begonnenen Schlacht um den Dukla-Pass fielen 20.000 sowjetische und 2.000 Soldaten der tschechoslowakischen Einheit der Roten Armee in den Kämpfen mit der besser ausgerüsteten Wehrmacht.

Auf Seiten der Aufständischen standen rund 60.000 slowakische Soldaten und 20.000 Partisanen, hinzu kamen Tschechen, die die Grenze zwischen Protektorat und Slowakei überschritten, auch wenn für illegale Grenzübertritte die Todesstrafe drohte. Tschechen waren ebenfalls in den Reihen der tschechoslowakischen Einheit der Roten Armee, die am 6. Oktober erstmals die slowakische Grenze überschritt.

"Als der Aufstand begann, bat die Führung die Rote Armee um Hilfe, diese kam tatsächlich, über den Flughafen Tri Duby wurden Truppen abgesetzt. Diesen Flughafen steuerten auch amerikanische fliegende Festungen an, um Waffen und anderes Material zu liefern, aber die Sowjets protestierten dagegen. Eine amerikanisch-britische Militärkommission kam ebenfalls, aber deren Mitglieder wurden von der Gestapo verhaftet und später ermordet. Außerdem kämpften viele Franzosen auf unserer Seite. Die waren als Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene in der Slowakei und bildeten sogar eine eigene Kompanie."

Gen. Ludvik Svoboda,  Dukla-Pass,  1944
Zunächst sah es so aus, als ob der Aufstand erfolgreich wäre. Der Slowakische Nationalrat übte in dem von ihm beherrschten rund 20.000 Km2 großen Gebiet mit 1,5 Millionen Bewohnern die legislative und exekutive Gewalt aus. Politische Parteien und Gewerkschaften begannen mit ihrer Arbeit, ja sogar Zeitungen erschienen und ein Rundfunksender strahlte sein Programm aus. Am 17. Oktober begann jedoch die Gegenoffensive der Wehrmacht und SS-Einheiten, 10 Tage später besetzten diese das Zentrum des Aufstands, Banska Bystrice. Die Aufständischen zogen sich in die Berge zurück, wo sie bis Kriegsende einen Partisanenkampf gegen das deutsche Heer führten.

Für Vaclav Vasko endete der Aufstand Anfang November 1944 in Gestapo-Haft.

"Als im Oktober 1944 der Aufstand unterdrückt wurde und man sich in die Berge zurückzog, bekam unsere Studenteneinheit den Auftrag, den militärischen Stab des Aufstands mit den Oberbefehlshabern General Rudolf Viest und General Jan Golian über den Hron nach Ungarn zu bringen, wo die Rote Armee sich der slowakischen Grenze näherte - aber bei der Überschreitung des Flusses wurden wir erwischt. Die beiden Generäle wurden gefasst und später ermordet, ich kam in Gestapo-Haft in Banska Bystrica."

Jan Golian
Gemeinsam mit 10 anderen sollte Vaclav Vasko zu Sylvester 1944 hingerichtet werden, doch der örtliche Bischof und führende Politiker setzten sich für die Verurteilten ein - mit Erfolg.

"Das grenzt wirklich schon an ein Wunder, dass ich, meine Onkels und Cousins und alle aus unserer Familie den Krieg überlebt haben, denn meine Familie spielte eine recht große Rolle während des Aufstands. Zwei Brüder meiner Mutter waren in der Armee und gehörten zu den Hauptorganisatoren des Aufstands. Zusammen mit einigen führenden Politikern verfassten sie Erklärungen an das slowakische Volk und an die Armee, in denen sie die Wiederherstellung der Tschechoslowakei zum Ziel erklärten."

Während des Aufstands selbst waren schätzungsweise 5.000 Aufständische gefallen. Die Vergeltungsmassnahmen der Wehrmacht forderten weitere mindestens 5.000 Menschenleben. Dutzende von Bergdörfern wurden wegen ihrer angeblichen oder wirklichen Unterstützung der Aufständischen zerstört, deren Bewohner in KZs verschleppt oder erschossen.

Rote Armee,  Slowakei,  1944
Darüber, warum der Slowakische Nationalaufstand nach zweimonatigen Kämpfen niedergeschlagen wurde, gibt es verschiedene Meinungen. Die einen sehen die schlechte Vorbereitung und die Konflikte zwischen den beteiligten Gruppen als Grund, andere das langsame Vorgehen der Roten Armee und das zögernde Verhalten der westlichen Alliierten, die die Slowakei als sowjetischen Interessensraum betrachteten. Wiederum andere das überstürzte Verhalten der Partisanen. Eines ist sicher, seine Bedeutung hatte er trotzdem:

"Ich denke, der Aufstand war von großer Bedeutung - natürlich vor allem für die Slowakei, aber auch für die Tschechoslowakei. Denn so konnte die Exilregierung in London damit argumentieren, dass wir gegen die Nazis und auf Seite der Alliierten kämpfen. So gehörten wir nun zu den Siegermächten und zeigten allen, dass wir keine Faschisten sind und eine Erneuerung der Tschechoslowakei wünschen."

Auch für das nationale Selbstbewusstsein der Slowaken war der Aufstand von großer Bedeutung. In der nach Kriegsende wieder entstandenen Tschechoslowakei forderten sie eine gleichberechtigte Stellung neben den Tschechen und ein Ende des Prager Zentralismus. Vaclav Vasko arbeitete nach Kriegsende für das tschechoslowakische Außenministerium. Nach der Machtübernahme der Kommunisten saß der überzeugte Katholik Vaclav Vasko in den 50er Jahren im Zuchthaus und konnte später oftmals nur als Hilfsarbeiter tätig sein.