Roma: Kultur als Nachteil?

'Zolotye cygany' (Goldene Roma), Russland, Khamoro 2004 (Foto: Jana Sustova)

Ist Roma-Kultur ein Benachteiligungs-Faktor? Das internationale Prager Roma-Kultur-Festival "Khamoro" lockt nicht nur Musikfreunde. Es fordert auch den Diskurs in einer Gesellschaft, die Roma nach wie vor diskriminiert. Ist Roma-Kultur ein Benachteiligungs-Faktor? Über die Expertenrunde am Donnerstag berichtet Daniel Satra.

'Zolotye cygany'  (Goldene Roma),  Russland,  Khamoro 2004  (Foto: Jana Sustova)
Roma. Laut einem Bericht von Amnesty International sind sie in Tschechien weiterhin diskriminiert. Sie sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen, Roma-Kinder besuchen in der Mehrzahl Sonderschulen. Eine Expertenrunde beim "Khamoro"-Festival fragte: Warum? Marek Jakoubek, Anthropologe an der Universität Pilsen:

"Der Kern der traditionellen Roma-Kultur und damit der größte Unterschied zur Tradition der Mehrheitsgesellschaft liegt nicht in Folklore, in Liedern, im Tanz und nicht einmal in der Sprache, sondern in der sozialen Organisation der traditionellen Roma-Gemeinschaft."

Verwandtschaft und Familie als zentrale Institutionen im Leben der Roma stehen nach Jakoubeks Ansicht einer auf Wirtschaft und Politik ausgerichteten tschechischen Gesellschaft gegenüber. Eine traditionelle Roma-Familie, geprägt durch ihren Zusammenhalt, wehre sich gegen die Emanzipation einzelner Mitglieder. Diese, so Jakoubeks These, hätten in einer Gesellschaft, die den Einzelmenschen und seine Karriere im Mittelpunkt sieht, keine Chance auf sozialen Aufstieg. Neziri Nedzmedin von der Roma-Union ehemaliger Jugoslawen (URYD) widerspricht: Zwar spiele Familie im Alltag der Roma eine wichtige Rolle. Die ungleiche soziale Ausgangslage der Roma in Europa führt Nedzmedin jedoch auf die politischen Rahmenbedingungen zurück: Die Politik sei es, die Diskriminierung Vorschub leistet. Lalla Weiss, Sinti und Roma-Sprecherin aus den Niederlanden, zu der Frage: Ist Roma-Kultur ein Benachteiligungs-Faktor?

'Ziringaglia',  Italien,  Khamoro 2004  (Foto: Jana Sustova)
"Ich dachte: Wer stellt sich diese Frage? Sinti und Roma selbst? Wenn das der Fall ist, dann lese ich dies nicht als den Titel eines Seminars, sondern als einen Hilfeschrei. Die Ursache für eine solche Frage liegt in unseren Erfahrungen, in unserer Vergangenheit und in unserer Geschichte. Sinti und Roma sind schon über 1000 Jahre in Europa."

In einem Europa, dass sie zuerst gastfreundlich empfangen hatte. Später - verunglimpft und misstrauisch beäugt - galten Sinti und Roma als die Spione gegnerischer Armeen. Die Kirche warnte im Mittelalter vor ihnen: Wahrsager und Naturheiler - alles Gesandte des Teufels. Das Bild, das Sinti und Roma als so genannte "Zigeuner" abbildet, entstand im 18. und 19. Jahrhundert, und gilt für viele bis heute, sagt Weiss. Schmutzig, faul, unehrlich - "Zigeuner" eben. Die Verfolgung im Dritten Reich war grausame Folge einer Stigmatisierung, die auf eine lange Geschichte zurückblickt. Und heute? Ist Roma-Kultur ein Benachteiligungs-Faktor? Eine alleingültige Antwort gab die Expertenrunde nicht. Dafür einen guten Überblick darüber, wo Ursachen eines brisanten sozialen Problems in Tschechien gesucht und gefunden werden können.