"Karel hat alles eher kapiert als wir"

Karel Kryl

Anfang März haben wir anlässlich des 10. Todestages von Karel Kryl am 3. März ein kurzes Portrait des berühmten tschechischen Liedermachers gesendet. Am 12. April wäre Karel Kryl 60 Jahre alt geworden. Grund genug, noch einmal an sein Leben, seine Lieder und seine Zeit im Exil zu erinnern. Melanie Agne blickt zurück:

Karel Kryl war nichteinmal fünfzig, als er vor zehn Jahren völlig unerwartet in seiner Münchner Wohnung starb. Der tschechische Liedermacher und Dichter wäre am 12. April sechzig Jahre alt geworden. Er hinterließ 19 Platten und 21 Bände mit Gedichten und anderen Schriften.

Wenige der Heimkehrer aus dem Exil erregten eine solche Aufmerksamkeit wie Karel Kryl: wohl deshalb, weil er Lieder geschrieben hatte, die zwanzig Jahre Verbot überlebt hatten und die praktisch jeder kannte. Als Kryl am 30. November 1989 nach zwanzig Jahren Exil zum ersten Mal wieder in die Heimat kam, fuhr er vom Flughafen aus direkt zur ersten Pressekonferenz in den überfüllten Klub der Tageszeitung Mlada Fronta. Auf die Frage, was er weiter tun wolle, antwortete Kryl:

"Zunächst mal, mir nicht die Revolution stehlen lassen".

Seine zweite Frau Marlene sieht darin ein Bekenntnis des zurückgekehrten Exilanten zu seinen Landsleuten:

"Ich denke, wenn er damals sagte, dass er sich die Revolution nicht stehlen lassen wolle, so wollte er damit wohl auch ausdrücken: hier bin ich und ihr könnt mit mir rechnen."

Dennoch klang dieser Satz in der damaligen Euphorie für viele befremdlich - man hatte vergessen, dass Karel Kryl den Ruf eines pessimistischen Propheten hatte. Und der stammte schon aus den Zeiten des Prager Frühlings.

Karel Kryl kam aus einer berühmten Buchdrucker-Familie in mährischen Kromeriz / Kremsier. Als Junge musste er mit ansehen, wie die Druckerei des Vaters von den Kommunisten liquidiert wurde und wuchs fortan in ärmlichen Verhältnissen auf. Die Tageszeitung Lidove Noviny schrieb über ihn, er sei nicht das einzige Kind gewesen, das so harte Erfahrungen machen musste, aber er habe zu denjenigen gehört, die sie niemals vergaßen: Die Lieder, die er ab 1962 schrieb, klangen stets ein wenig düster und vor allem trotzig. Deshalb ist er seinen Fans auch als Sänger von Protestsongs in Erinnerung. Die Zeitung Lidove Noviny hat kürzlich ein Zitat veröffentlicht, wie Karel Kryl seine Lieder selbst sah:

"Als ich einmal meine Lieder in Teplice im Schlosskeller vor jungen Zuhörern sang, sagte mir einer von ihnen nach der Vorstellung, das seien Protestsongs. Ich wusste damals noch nicht so genau, was das ist. Er erzählte mir von Bob Dylan, Donovan und Tom Paxton, die Protestlieder singen. Später spielte er mir welche vom Grammophon vor. Erst als ich ihre Übersetzungen durchlas, habe ich verstanden, dass ich eigentlich auch protestiere."

Im Refrain der Pasazova revolta / Passagenrevolte rief er rotzig:

"Auch in unserer Generation / haben wir schon Augenzeugen / und die eigene Emigration / und eigene Märtyrer / und mit verdroschenem Maul / sind wir heute stumm geblieben / nein, wir sind nicht auf den Knien / Wir hauen die Fresse in die Erde!!"

Das Lied entstand bereits im Sommer 1968, noch bevor die Russen den Prager Frühling beendeten und brachte Kryl den erwähnten Ruf eines überspannten Pessimisten ein.

Berühmt wurde er aber mit einem anderen Lied, das er 1968, zwei Tage nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen geschrieben hatte: "Brüderchen, mach das Tor zu!" Es avancierte in den folgenden Monaten fast zu einer Hymne. Mit ein paar Akkorden und einer eingängigen Melodie traf Karel Kryl den Nerv dieser Zeit, in der sich die Menschen schicksalhaft verbunden fühlten. "Brüderchen, mach das Tor zu!" wurde zum Symbol des tschechischen rebellischen Folks.

Damals im Frühjahr 1969 nahm Kryls Popularität enorm zu. Doch dann kam der Frost. Die so genannte Normalisierung, Verbote. Karel Kryl sah für sich keine Zukunft mehr in der Tschechoslowakei. Im September 1969 fuhr er zu einem Musik-Festival nach Deutschland und sollte erst zwanzig Jahre später wieder zurückkehren.

Die folgenden Jahre lebte er in München und Passau. Dort arbeitete er für Radio Freies Europa, schrieb Erzählungen, illustrierte Bücher, studierte Kunstgeschichte, schrieb Gedichte und gab sie heraus. Kryl nahm auch weiter Platten auf, die sogar nach Tschechien geschmuggelt wurden.

Anfang der 70er Jahre lernte er in München Eva Sedlarova, die Tochter tschechischer Emigranten, kennen und heiratete sie. Doch die Ehe hielt nur kurze Zeit. Kryl trug schwer an dem Ende dieser Beziehung und traf in dieser Zeit - gewissermaßen am Bankschalter - auf seine spätere Frau Marlene:

Marlene Krylova,  Foto: CTK
"Als ich Karel Kryl zum erstenmal sah, war seine damalige Frau Eva in seiner Begleitung. Sehr hübsch, sehr harmonisch das Paar! Bald aber schon kam er allein in die Bank und sein Freund Lubo" Kavalek erzählte mir dann von den Hintergründen um diese tragische Liebe. Als Bankerin hat man gewissermaßen einen Vertrauensvorschuss bei seinen Kunden und so erfuhr ich auch, dass Karel stark unter diesen "Umständen" litt. Später, es war wohl in der Zeit, als wir im Olympischen Dorf in München wohnten, verstand ich ganz allmählich, was da wohl in ihm vorgegangen sein muss. Meine Aufgabe sah ich damals vorrangig darin, die Scherben aufzufegen und ihn wieder lebensfähig zu machen. Es begann dann, so ab ca. 1978, eine wirklich schöne und erlebnisreiche Zeit."

Als der Liedermacher im November 1989 mit Vaclav Havel auf dem Balkon des Melantrich-Gebäudes auf dem Prager Wenzelsplatz stand, riefen die Demonstranten unter ihren Transparenten: "Karel, wir hauen die Fresse nicht mehr in die Erde!". Da war der Refrain seines längst verklungenen Liedes zurückgekehrt. Auch zwanzig Jahre Verbot hatten ihm nichts anhaben können.

Doch nach der Samtenen Revolution begann für Karel Kryl eine schwierige Zeit. Karel Kryl war für sein Publikum eine Art Legende geworden. Seine neuen Lieder und Texte wurden aber kaum beachtet. Diese Situation hatte er selbst klar erfasst und sagte einmal:

"Es gibt nichts Peinlicheres als ein lebender Klassiker zu werden."

Auch seine Frau Marlene erinnert sich noch an ernüchternde Augenblicke in Kryls Leben nach der Wende:

"Dass keiner ihn dann später haben wollte, Kritik an ihm ja fast zum täglichen Brot wurde und er da mit ansehen musste, wie die anderen hofiert und eingeladen wurden, das enttäuschte ihn maßlos."

Kryls plötzlicher Tod 1994 ließ seine Fans ratlos zurück. Man spekulierte, ob er sich das Leben genommen habe. Diese Spekulationen wurden vorwiegend aus dem Umstand genährt, dass Kryl nach der Wende als unbequemer Zeitgenosse galt, weil er kein Blatt vor den Mund nahm. Sein jüngerer Bruder Jan erinnerte sich kürzlich in einem Interview an die Reaktion seines Bruders, als Vaclav Havel bei seiner ersten Amtshandlung im Dezember 1989 mit viel zu kurzen Hosen in der Öffentlichkeit auftrat:

"Karel hat alles eher kapiert als wir. Er war bei mir, als Havel in den berühmten kurzen Hosen zu dem Empfang ging. Er sprang aus dem Sessel und brüllte: So eine Scheiße, das ist eine Schande! Wir sagten zu ihm: bist du verrückt geworden, er trägt halt kurze Hosen. Wir sind froh, dass wir so einen Präsidenten haben können. Aber Karel erwiderte, dass wir nicht Recht hätten. 'Wenn an der Spitze des Staates ein Mensch steht, der sich nicht einmal einen Schneider sucht, der ihm sagen würde: 'Vasek, so kannst Du nicht gehen', der wird sich genauso wenig einen Berater nehmen, der ihn in den wichtigeren Dingen berät'. Das wusste Karel gleich. Jetzt muss ich ihm wirklich Recht geben und es ist schade, dass er nicht mehr hier ist."

Bis zum 12. April sind noch Ausstellungen zu sehen, die Folgendes zeigen:

Kryls Beitrag zur Tschechoslowakischen Musikszene der 60er Jahre, sein Schaffen im Exil und die Rückkehr nach der Wende

Musik-Club Vagon (Hudebni klub Vagon), Narodni Trida (bei Tesco, gegenüber Cafe Louvre)

Das christliche Motiv in den Liedern und Gedichten Karel Kryls

Katholische Zentralbibliothek (Centralni katolicka knihovna ), Thakurova 3, Prag 6 (Dejvice), täglich von 9 bis 17 Uhr.

12. April, Konzert

Hier wird gezeigt, was mit Kryls Liedern alles möglich ist. Es spielen: Oskar Petrs Akustikfabrik, Pavla Mlcova und Petr Binder, die Gruppe Echt!, Jablkon, Zaha, die Punkgruppe E ! E, die jüngere Gruppe Kamil Jasmin Band und die Karel Kryl Rock Band

Musik-Club Vagon (Hudebni klub Vagon), Narodni Trida (bei Tesco, gegenüber Cafe Louvre), 21 Uhr

14. April und an weiteren Terminen

Aufführung von Marta Ljubkovas Theaterinszenierung nach Karel Kryls Buch "Slovicka". Die Beziehungsgeschichte zwischen einer Frau und einem Mann spielen Jitka Nerudova und Lukas Juza.

Divadlo Inspirace, Malostranske namesti 13, Praha 1. Tel 261 21 85 70 oder 602 680 035, 19 Uhr

Bis zum 16. April

Karel Kryls literarische Tätigkeit. Zu sehen sind unter anderem seine Gedichtsammlungen

Nationalbibliothek (Narodni knihovna), Klementinum 190, Prag 1, täglich (außer an den Osterfeiertagen vom 10. bis 12. April) von 9 bis 17 Uhr

Autor: Melanie Agne
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