Europa verschiedener Geschwindigkeiten? Tschechien ist skeptisch

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Die 27 EU-Staats- und Regierungschefs wollen am Samstag feiern. Dort, wo vor 60 Jahren die sogenannten Römischen Verträge unterzeichnet wurden, planen sie eine gemeinsame Erklärung. Sie soll ein Bekenntnis zur Europäischen Union sein, die ja aus den Römischen Verträgen hervorgegangen ist. Doch es herrscht Streit im Verbund – wegen der Idee eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten. Was hält man in Tschechien von diesem Ansatz?

Jean-Claude Juncker  (Foto: Rastislav Polák,  EU2016 SK,  CC0 1.0)
Anfang März hat Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sein Konzept vorgestellt, wie die EU ihre Krise überwinden kann. Das sogenannte Weißbuch war mit Spannung erwartet worden. Fünf mögliche Szenarien hat Juncker dort entworfen. Eines, das er favorisiert, ist die Idee eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten. Was aber ist mit dieser Vorstellung gemeint? Petr Kaniok ist Politologe an der Masaryk-Universität in Brno / Brünn:

„Dies ist eine Reaktion auf die Folgen der Osterweiterung der EU. Einige der neuen Staaten haben nicht alle Werte, die die traditionellen EU-Länder teilen, auch für sich akzeptiert. Weil im Europäischen Rat meist im Konsens entschieden wird, blockieren besonders die östlichen Staaten einige der Entscheidungen. Die Idee von Jean-Claude Junckers ist zwar nicht, Staaten von etwas auszuschließen. Aber jene Staaten, die sich in einigen Bereichen stärker integrieren wollen, sollen dazu auch die Chance erhalten.“

Petr Kaniok  (Foto: Archiv der Masaryk-Universität in Brno)
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande haben Junckers Ideen begrüßt. Nun findet sich sogar eine entsprechende Erwähnung im Entwurf zu jenem Text, den die Staats- und Regierungschefs am Samstag in Rom unterzeichnen wollen. Dort heißt es unter anderem, man werde in der EU gemeinsam vorangehen, aber wo nötig, könne dies auch in unterschiedlichem Tempo und in unterschiedlicher Intensität geschehen.

Vor allem in Warschau ist das nicht gut angekommen. Polen droht nun, die Party in Rom zu sprengen. Werde am Freitag keine Einigung über den Text erzielt, wolle man ihn nicht unterschreiben, ließ Premierministerin Beata Szydlo wissen. Tschechien ist mit Polen in der Visegrad-Gruppe verbunden. Welche Meinung hat man also in Prag?

„Die derzeitige tschechische Regierung hat sich zur Idee eines Europas verschiedener Geschwindigkeiten eher reserviert geäußert. Sie und die anderen Visegrad-Staaten befürchten, dass jene Länder, die derzeit nicht an allem teilnehmen wollen, außen vor sein könnten bei einer weiteren Integration in späteren Jahren. Zugleich ist sich die tschechische Regierung bewusst, dass bereits seit den 1980er Jahren de facto ein Europa mehrerer Geschwindigkeiten existiert“, so Kaniok.

Bohuslav Sobotka  (Foto: ČTK)
Der Politikwissenschaftler nennt dabei den Schengenraum und die Eurozone. Doch der angedachte Text der Erklärung würde über dies hinausgehen, sagt Petr Kaniok:

„Ich verstehe die Befürchtungen der tschechischen Regierung. Es wäre etwas Neues, wenn in einer gemeinsamen Erklärung die Unterschiede und die Flexibilität als Hauptmodus für die EU bezeichnet würden. Dieses Prinzip könnte dann unkontrolliert auf weitere Aktivitäten innerhalb der Europäischen Union übergreifen.“

Premier Bohuslav Sobotka (Sozialdemokraten) wird Tschechien in Rom vertreten. Schon am Dienstag hatte er sich gegenüber Senatoren zu den Ideen von Juncker, Merkel und Hollande geäußert. Seine Regierung „begrüße derzeit nicht ein Europa mehrerer Geschwindigkeiten“, so Sobotka.