Beziehung im Wandel: Tschechen haben meist keine Probleme mehr mit Deutschen

Vor 20 Jahren haben tschechische und deutsche Politiker vorausschauend gehandelt: Trotz vieler Differenzen unterschrieben sie eine gemeinsames Abkommen. Diese „Deutsch-Tschechische Erklärung“ von 1997 ist seitdem die Basis für eine Politik der Versöhnung und für eine Annäherung der Menschen beiderseits der Grenze. Die Frage ist: Konnten die Gräben der Vergangenheit tatsächlich überwunden werden? Wir haben uns informiert, wie Tschechen heute Deutschland und die Deutschen sehen. Der Beitrag ist der Auftakt zu einer fünfteiligen Serie über die tschechisch-deutschen Beziehungen bei Radio Prag.

Wer wissen will, wie es um die Tschechen und Deutschen steht, der kann zum Beispiel einfach mal in Prag auf der Straße nachfragen. Das ist natürlich nicht repräsentativ, aber ein erstes Bild ergibt sich dadurch trotzdem. Wie also sehen Tschechen Deutschland und die Deutschen?

Eine junge Frau ist offensichtlich überrascht, dass es in dem Bereich ein Problem geben könnte:

„Ich habe eine deutsche Mitbewohnerin, und wir kommen gut miteinander aus. Ich denke nichts Schlechtes, ganz normal halt. Deutschland ist vielleicht wirtschaftlich besser als wir gestellt, aber das ist auch alles.“

Ein Mann mittleren Alters stellt sich als Zdeněk vor:

Foto: Sara Prestianni,  CC BY 2.0
„Ich habe gegenüber keinem Volk Vorbehalte. Meiner Ansicht nach sollte aber kein Staat, und schon gar nicht ein Nachbarstaat, meine Heimat vor Probleme stellen. Damit meine ich beispielsweise, uns über die EU die Flüchtlingsquoten aufzuoktroyieren.“

Jana wiederum denkt bei der Frage gar nicht an Politik:

„Ich mag die deutsche Sprache sehr gerne, lerne auch schon länger Deutsch. Und ich habe deutsche Freunde. Ich sehe da keine Barrieren, etwa kulturell.“

Foto: MPD01605,  CC BY-SA 2.0
Aber auch Rentner Jaroslav zeigt sich offen:

„Das Verhältnis ist viel besser als früher. Meine Generation hat nicht mehr solch einen Hass wie die meiner Eltern. Ich habe Deutsch gelernt, spreche also die Sprache ein wenig. Meine Frau und ich fahren auch ab und zu dorthin. Meine Generation hat die Kriegsfolgen nicht mehr so erlebt, ich bin im Krieg geboren, aber leider zu bolschewistischen Zeiten aufgewachsen.“


Pavel Fischer  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Fundierte Erhebungen machen die Meinungsforscher. Was Tschechen über Deutschland, die Deutschen und die deutsche Politik denken, das fragt das Institut Stem regelmäßig in seinen Erhebungen. Und 2015 hat Stem auch eine große Umfrage für den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds ausgewertet. Pavel Fischer leitet das Meinungsforschungsinstitut, im Interview für Radio Prag verrät er mehr.

Herr Fischer, was halten die Tschechen von Deutschland und den Deutschen?

„Die Menschen in Tschechien sehen Deutschland als wirtschaftliche und politische Weltmacht. Aber die Ängste vor dem Nachbarland, die mit den Erfahrungen der Vergangenheit verbunden sind, werden immer schwächer. Aus unseren Daten erkennen wir, dass auch die Generation, die noch den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, nicht mehr so kritisch auf Deutschland schaut wie früher. Zudem hat sie nicht mehr dasselbe Gewicht wie früher. Und wir stellen auch ein erneutes Interesse an der deutschen Sprache fest. Wenn wir allgemein fragen, ob mehr Deutsch gelehrt werden sollte, dann antworten etwa 60 Prozent mit Ja. Das ist sehr gut. Mir scheint, dass das Bild von Deutschland nicht schwarz-weiß ist und ein Hunger nach Informationen besteht. Die Tschechen sind sich der Rolle Deutschlands bewusst, zugleich sind sie bereit, dem Nachbarland auch den entsprechenden Kredit als Führungsmacht einzuräumen.“

Bestehen beim Deutschlandbild Unterschiede in den Altersgruppen?

„60 Prozent der Tschechen würden, laut unseren Daten vom vergangenen Jahr, problemlos einen Deutschen in die eigene Familie aufnehmen.“

„Je nach Generation bestehen tatsächlich interessante Unterschiede. Zudem spielt die Bildung eine Rolle. Je höher das Bildungsniveau ist, desto offener sind die Menschen gegenüber Deutschland und desto positiver ist ihre Einstellung gegenüber dem Land. Zudem scheint es, dass die Jugend neuen Wind und Hoffnung für die Zukunft bringt. Dies beides spielt sicher eine Rolle. Aber ich würde gerne auf eine weitere Sache hinweisen: 60 Prozent der Tschechen würden, laut unseren Daten vom vergangenen Jahr, problemlos einen Deutschen in die eigene Familie aufnehmen. Es besteht also beim Intimsten, den Familienbeziehungen, eine große Offenheit. Einen Deutschen als Chef wiederum könnte sich ohne jegliche Probleme die Hälfte der Menschen hierzulande vorstellen. Das ist von Bedeutung und beruht sicher auch darauf, wie viele deutsche Firmen hierzulande aktiv sind.“

Sitz des Allensbach-Instituts für Demoskopie  (Foto: Zollernalb,  CC BY-SA 4.0)
Haben Sie auch danach gefragt, wie viele der Respondenten zum Beispiel bereits in Deutschland gelebt haben?

„Zusammen mit dem Allensbach-Institut für Demoskopie haben wir eine ganz neue Studie erarbeitet, die wir aber erst Ende des Monats vorstellen werden. Nur so viel: Es bestehen sehr interessante Unterschiede zwischen jenen Menschen, die Deutschland einmal, mehrmals oder überhaupt noch nicht besucht haben. Und diese gibt es auch zwischen jenen, die Deutsche bereits getroffen, mehrere Freunde aus Deutschland oder gar keine haben. Es zeigt sich, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen das Interesse, die Offenheit und die positive Einstellung katalysieren. Uns scheint, dass man nicht nur etwas machen sollte für jene, die keine Kontakte nach Deutschland haben, sondern man müsste auch den Synergie-Effekt der jungen Leute nutzen. Denn bei ihnen besteht ein hoher Faktor positiver Kennzahlen.“

Schloss Neuschwanstein ist einer der beliebtesten Reiseziele Deutschlands  (Foto: Thomas Wolf,  CC BY-SA 3.0 DE)
Sehen Sie in irgendeinem Bereich ganz allgemein einen Nachholbedarf?

„Reserven sehen wir bei Deutschland als Reiseziel. Nur 33 Prozent der Befragten haben Interesse, Deutschland touristisch besser kennen zu lernen. Das heißt: Es gilt noch zu entdecken, dass Deutschland nicht eintönig ist und nur aus den Autobahnen besteht, über die wir fahren. Sondern dass es um die Menschen dort geht, die in einem vielfältigen Land mit reicher Geschichte leben.“

Wenn wir zurückkommen zum allgemeinen Deutschlandbild: Gibt es da in den vergangenen zwei Jahren nicht vielleicht auch einen rückläufigen Trend? Damit spiele ich vor allem auf die Flüchtlingspolitik an…

„Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise hat sich die Einstellung zu Bundeskanzlerin Merkel verschlechtert.“

„Beim allgemeinen Deutschlandbild ist der Trend in den vergangenen Jahren eher konsequent positiv, also ansteigend. Ebenso trifft dies auf das Bild von den Deutschen zu. Zum Beispiel fragen wir regelmäßig danach, ob man sich einen Deutschen als Nachbarn vorstellen könne. Und jedes Jahr bekommen wir eine etwas höhere Zustimmungsrate. Allerdings hat sich seit dem Beginn dessen, was wir Flüchtlingskrise nennen, die Einstellung zu Bundeskanzlerin Angela Merkel verschlechtert. Ihre Wahl war früher von den Tschechen positiv aufgenommen worden. Aber auch in Bezug zu Deutschland sind die Befragten etwas zögerlicher geworden.“

Deutsch-Tschechische Erklärung  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus den allgemein positiven Zahlen?

„Unsere Zahlen zeigen unter anderem, dass die Menschen hierzulande mehr Informationen haben wollen darüber, wie die deutsche Gesellschaft mit der Flüchtlingswelle zurechtkommt. Interessant ist, dass eine Nachfrage nach vertrauenswürdigen Informationen besteht, und das in Zeiten von Fake News. Es ist uns Tschechen anscheinend nicht gleichgültig, was um uns herum geschieht. Und das ist eine gute Nachricht. Aber der allgemeine positive Trend scheint wiederum rückwirkend die Anerkennung zu sein für das politische Kapital, das in die tschechisch-deutschen Beziehungen investiert wurde. Für die Unterschrift unter die Deutsch-Tschechische Erklärung vor 20 Jahren war noch eine gehörige Portion Mut nötig gewesen. Aber es ist gelungen, daraus ein Versprechen für die Zukunft werden zu lassen.“