Neuer deutscher Roman über Vertreibung in Prag vorgestellt

"Die Unvollendeten" heißt das bereits 13. Buch des Berliner Schriftstellers Reinhard Jirgl. Mit seinem in diesem Jahr erschienen Roman traf der 50jährige ins Schwarze: Thema seiner Familiesage ist unter anderem die Vertreibung aus Böhmen. Vor kurzem stellte Jirgl seinen Roman in Prag vor. Katrin Bock war bei der Lesung:

Reinhard Jirgl schildert in seinem Roman "Die Unvollendeten" das Schicksal von vier Frauen dreier Generationen sowie eines Sohnes bzw. Enkels. Die Geschichte beginnt im Sommer 1945 mit der Vertreibung der Frauen aus dem nordböhmischen Komotau-Chomutov.

" Und ich? Warum habt ihr damals auf mich nicht gewartet? Ausgerechnet an diesem Tag, von dem ihr doch wusstet, dass ich aus dem Lager heimkommen würde. Weil Vater ein Tscheche war - er ist zwar schon tot gewesen damals - galtest du, Mutter, trotzdem bei den Behörden zumindest als Halbtschechin, und darauf achtete man selbst noch bei diesen Wilden Vertreibungen. Vaters Nationalität als Tscheche, das hätten sogar die noch respektiert!"

Der 1953 zur Welt gekommene Berliner Schriftsteller arbeitet mit diesem Roman seine eigene Familiengeschichte auf. Bei seiner aus Komotau-Chomutov stammenden Großmutter verbrachte er die ersten zehn Lebensjahre in einer DDR-Kleinstadt. Ihre Erzählungen von der alten Heimat kannte er zu genüge, doch besucht hat er Komotau-Chomutov bisher noch nie - um sich die von der Großmutter geschaffene Märchenwelt nicht zu zerstören. Mit dem Thema der Vertreibung traf Reinhard Jirgl in diesem Jahr ungewollt ins Schwarze. Den Stoff für den Roman "Die Unvollendeten" sammelte er bereits Ende der 70er Jahre. Die Gräueltaten während der wilden Vertreibungen der Sudetendeutschen aus den Böhmischen Ländern schildert Jirgl ohne Wertung - sein gesamten Roman ist in dieser Hinsicht wertungsfrei - es wird lediglich beschrieben, was geschah. Als autobiographisch ist der Roman keinesfalls zu betrachten, erklärte der Auto während einer Lesung in Prag, vielmehr sei es ihm darum gegangen, die "Vertriebenenmentalität" darzustellen und das Problem der Heimatsuche. Da Reinhard Jirgl einen eigenen Schreibstil besitzt, in dem die so genannte Zeichenebene eine große Rolle spielt, werden seine Bücher so gut wie gar nicht übersetzt. Ob eine Übersetzung seines neuesten Romans "Die Unvollendeten" ins Tschechische ansteht, ist deshalb ungewiss.

Für alle die Interesse haben: der Roman "Die Unvollendeten" von Reinhard Jirgl ist in diesem Jahr im Hanser-Verlag erschienen.