Zeitzeuge Jiří Kosta, erster Teil: „Wie meine Familie tschechisiert wurde“

Jiří Kosta

In Prag aufgewachsen, von den Nazis wegen seiner jüdischen Herkunft verfolgt, den Holocaust überlebt, 1968 nach Deutschland emigriert und dort dann Wirtschaftsprofessor an der Frankfurter Goethe-Universität geworden: Jiří Kosta blickt auf ein sehr bewegtes Leben zurück, das er auch in einer Autobiografie niedergeschrieben hat. Stundenlang könnte man dem heute 88-Jährigen zuhören, wenn er aus seinem Leben erzählt. Wir starten nun eine kleine lockere Reihe, in der Jiří Kosta die Zeit ab den 30er Jahren bis zur Inhaftierung im KZ Theresienstadt schildert. Es ist die Zeit, in der Hitlers Truppen erst die Sudetengebiete und dann den Rest von Böhmen und Mähren besetzt haben. Im ersten Teil der kleinen Reihe geht es darum, wie aus der Familie Kohn die Familie Kosta wurde – es geht also um die schrittweise Tschechisierung der deutsch-jüdischen Familie.

„Meine Eltern gehörten eigentlich dem deutsch-jüdischen Bürgertum Prags an. Typisch: meine Mutter aus einer kleinen Unternehmerfamilie, Kunstblumenbranche, und mein Vater war, was man in Deutschland Studienrat nennt, hier nannte man es nach österreichischem Muster Mittelschulprofessor. Er unterrichtete am ziemlich prominenten Gymnasium in der Stephansgasse – Štěpánská. Mein Vater hatte Kontakte zum Prager Tagblatt. Franz Kafka kannte er nicht persönlich, der war auch eigentlich gar nicht so bekannt zu dieser Zeit. Aber es gab Kontakte zu Max Brod, mein Vater war sehr eng befreundet mit Egon Erwin Kisch, er gehörte also zu den linken Intellektuellen. Das Deutschsprachige hat dominiert, auch bei uns in der Familie. Wie ich groß geworden bin, hieß ich eigentlich Heinrich Georg, ich habe einen Doppelnamen. Auf Deutsch nannte man mich Heinz oder das Heinzerl. Das hat sich aber schon langsam in den 1930er Jahren, nach Hitlers Machtergreifung, etwas verändert. Mein Vater hat sehr an das liberale deutsche Bürgertum gedacht, er war der deutschen Klassik sehr verbunden: Heinrich Heine, auch die jüdische Seite, die sehr assimiliert war. Und er war darauf auch ein bisschen stolz. Zugleich hat er mir als Kind schon gesagt: ´Weißt du, die deutsche Tradition war immer etwas schwierig. Der eine Teil war eben das liberale Bürgertum bis hin zur Linken, und der zweite war das militante, militaristische, nationalistisch geprägte Deutschland.´ Aber da war von Hitler für uns noch nichts bekannt, ich war da etwa acht Jahre alt. Das ist die erste Zeit, an die ich mich bruchstückhaft erinnere.“


Jiří Kosta
„Der Bruch kam, als ich die Schule gewechselt habe. Ich war in der gleichen Schule, an der mein Vater unterrichtet hatte. Er ist dann in eine andere deutsche Schule versetzt worden. Ich bin bis zur Abiturklasse, bis zur siebten von acht Klassen, das heißt also bis zum Jahr 1938 in dem deutschen Gymnasium gewesen. Ich war auch sehr engagiert, so ein bisschen jugendbewegt, diesen linken Touch eben. Und dann kam fast über Nacht das Münchner Abkommen am 30. September 1938. Unmittelbar danach ist mein Vater vorgeladen worden auf das damals noch tschechische Kultusministerium. Und dort wurde ihm gesagt, dass die Situation der Deutschen, die in öffentlichen Institutionen oder Unternehmen beschäftigt seien, nicht mehr so stark unter dem Einfluss der eigenen tschechoslowakischen Regierung stünde. Es gebe bereits andere Einflüsse und da müsste man sich fügen. Und deswegen werde er nun zwangspensioniert. Er war 50 Jahre alt und es war für ihn ein Riesen-Schock, aber auch für die ganze Familie. Meine Eltern waren im Übrigen bereits seit 1935 geschieden und am Anfang klappte das nicht: Ich lebte bei meinem Vater und mein Bruder bei meiner Mutter. Besonders unter der drohenden Gefahr, die da heraufzog, gab es aber einen gewissen Solidarisierungseffekt.“


„Die Frage war jetzt also: Bleibe ich in der Schule? Nein! Es gab etliche jüdische Mitschüler, über den Daumen gepeilt war es etwa ein Drittel. Viele sagten: Wir bleiben nicht, wer weiß, was wird.´ Zudem haben sich auch einige Lehrer erst als verkappte Nazis und später ganz offen als Nazis entpuppt. Das war Anfang des Schuljahres 1938/39. Und wir haben dann ein tschechisches Gymnasium gewählt, das den Ruf hatte, ein Reformgymnasium zu sein. Es war sehr aufgeschlossen gegenüber Minderheiten, eben auch Juden. Während der Zeit an dem Reformgymnasium ist im März 1939 das Land besetzt worden, das Protektorat entstand. Da war ich bereits Mitschüler meiner tschechischen Kommilitonen, ich verstand mich gut mit ihnen. Ich habe dort dann meine Matura gemacht, also das Abitur. Dort begann, würde ich sagen, eine Tschechisierung unserer Familie und auch vieler anderer deutschsprachiger Juden vor allem meiner Generation, bei den Älteren war das schwieriger.“


„Wir waren ja zweisprachig aufgewachsen, auf der Straße hat man gemeinsam Fußball gespielt. Und wir hatten auch eine Haushälterin, die Tschechin war und mit der man Tschechisch sprach. Ich konnte also Tschechisch, das klappte gut, die Umstellung war nicht schwer. Als Einziges prägend war aber die Umgangssprache in der Familie. Wo vorher das Deutsche dominiert hat, ist man sicher nicht über Nacht, aber doch in diesem Jahr 1939 entscheidend hinübergewechselt, indem man sich untereinander Tschechisch verständigt hat. Das war nicht nur dadurch bedingt, dass man sich nicht mit den Nazis identifizieren konnte. Da war auch die Enttäuschung mit ihm Spiel über die große Mehrheit der Deutschen, die sich sowohl im Reich, als auch in den Sudeten Hitler angeschlossen haben. Dass es doch auch eine liberale und antifaschistische Gruppe geben müsste, die sich etabliert – das hat man nicht gespürt. Die sind meist emigriert, sind verstoßen worden, und in Deutschland war nichts mehr los, auch kulturell.“


„Von da an also: Tschechisch. Das hat sich nicht mehr geändert, im Krieg blieb das so, in der Zeit der Verfolgung, als ich im KZ war und in verschiedenen Lagern. Als ich dann das Glück hatte, befreit zu werden, habe ich mich erst recht in der tschechischen Gesellschaft wiedergefunden. Mein Bruder und ich haben tschechisch geheiratet, unsere Frauen sind keine Jüdinnen. Das ist so ungefähr die Entwicklung von dieser doch irgendwie deutschen Identität meiner Jugend hin zu der tschechischen Identität der größeren Zeit, die ich bisher erlebt habe.“

Autor: Till Janzer
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